Ross Welford

Das Kind vom anderen Stern


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eine Stunde hier sind. Mir ist echt langweilig, außerdem friere ich und mir sitzt noch der Schreck in den Knochen von dem Etwas, das sich am Ende bloß als Baumstamm entpuppte.

      Und dann bewegt sich die Boje plötzlich.

      »Hast du das gesehen …«

      »Ja.«

      Wir springen auf und schauen hinüber zur Boje, die wieder ruhig im Wasser liegt, aber winzige Wellen breiten sich in alle Richtungen aus.

      »Was meinst du?«, frage ich. Iggy zieht sich bloß die Mütze vom Kopf und fährt sich nachdenklich durchs rote Zottelhaar.

      Ein paar Minuten lang rühren wir uns nicht, dann sagt er: »Wir gucken mal nach«, und macht sich daran, die Leine einzuholen. »Vielleicht hat sich was anderes den Köder geschnappt oder er ist abgefallen. Mist!« Die Leine hängt fest. »Könnte sich im Schilf verfangen haben oder an einem Stamm.«

      Je stärker Iggy zieht, desto weniger tut sich. »Komm«, stöhnt er und steigt ins Kanu, »wir müssen die Leine freikriegen.«

      »Wir?«, murmele ich, steige aber trotzdem ein.

      Iggy pfeift Suzy wie einen Hund zu sich. Gehorsam hüpft sie zu uns ins Kanu. Dann setzt sich Iggy die Mütze auf, schiebt sich die Brille hoch und wir paddeln zur tanzenden Boje zurück.

      Bevor wir da ankommen, gibt es auf einmal diese riesige Fontäne. So gigantisch, als hätte jemand von der anderen Seite des Stausees aus großer Höhe ein Auto ins Wasser geschleudert.

      Natürlich ist es kein Auto. Und genauso wenig glaube ich in dem Moment, dass es ein unsichtbares Ufo ist. Ich bin ja nicht verrückt geworden.

      Aber es wird sich herausstellen, dass es genau das ist.

      4. Kapitel

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      Ein paar Sekunden später schießt eine zweite, etwas kleinere Fontäne in die Höhe, aber sie ist immer noch gewaltig. Im Licht des aufgehenden Mondes glitzern unzählige herabfallende Wassertropfen. Kurz darauf folgt eine dritte, dann eine vierte Fontäne, jedes Mal ein Stückchen näher, als würde ein riesiger unsichtbarer Stein auf der Wasseroberfläche zu uns herüberspringen. Die fünft e Fontäne schießt nur noch wenige Meter vor uns hoch und bringt das Kanu heftig ins Schwanken.

      »Was ist da los?«, rufe ich mit schriller Stimme.

      Dann trifft uns das Spritzwasser und wir ducken uns schutzsuchend ins wild schaukelnde Boot. Auch wenn ich nichts sehe, spüre ich, dass etwas knapp über unsere Köpfe hinwegfegt. Suzy kreischt alarmiert auf.

      »Was ist das?«, brülle ich.

      Iggy reagiert nicht.

      Als ich den Kopf hebe, schießt die sechste Fontäne jenseits des Kanus hoch. Die siebte ist schon viel kleiner. Was auch immer das ist, es verliert an Kraft. Mit der achten Fontäne schwappt eine Wasserwelle über den Steg und dann … ist da nichts mehr. Nur noch der dunkle Himmel, der lila See und der schwarz-grüne Wald ringsherum …

      … und Stille, die lediglich von den kleinen kräuseligen Wellen durchbrochen wird, die gegen das Kanu klatschen.

      Schließlich richtet Iggy sich auf. »Mein Gott! Hast du das gesehen?« Aber weil ich nicht weiß, was überhaupt, bewege ich bloß wortlos die Lippen.

      Jetzt ist nichts mehr auszumachen. Was immer diese Fontänen verursacht hat, muss etwa zehn Meter vorm Ufer gesunken sein, da wo das Wasser flacher und klarer ist.

      Gemeinsam paddeln Iggy und ich zu der Stelle. Ob wir in der Dunkelheit was erkennen werden? Vielleicht wenn wir mit einer Lampe ins Wasser leuchten?

      Als wir uns nähern, habe ich so ein Surren im Ohr. Wir ziehen die Paddel ein und lassen uns treiben. Ich lausche.

      »Hör mal«, zische ich. »Das ist es! Das Geräusch habe ich auch gehört, als Tammy verschwunden ist.«

      Da ist es wieder. Ein tiefes, kaum vernehmbares Surren, wie bei einer Biene hinter einer Fensterscheibe.

      Mir kommt die Wasseroberfläche vorm Steg irgendwie anders vor, so seltsam glatt, als läge eine große Glasscheibe darüber. Aber vielleicht bilde ich mir das nur ein, im Licht des Halbmonds ist das nicht gut zu erkennen.

      Langsam treibt das Kanu auf die Stelle zu. Auf einmal stoßen wir mit der Spitze irgendwo gegen. Im ersten Moment denke ich, es ist wieder ein Baumstamm, doch ich sehe keinen. Nicht mal einen Felsen. Ich schnappe mir das Paddel und ziehe es durchs Wasser, aber es gibt nur wieder einen Rums und wir kommen nicht weiter. Etwas ist uns im Weg. Dem Geräusch nach zu urteilen, ragt das Ding vor uns aus dem See, aber das ist eigentlich unmöglich, denn es ist nichts zu sehen, bloß Luft.

      »Was ist das? Warum kommen wir nicht weiter, Tait? Wo stoßen wir gegen?«

      Als das Kanu zum dritten Mal gegen das Nichts prallt, ändere ich die Richtung und paddle außen um dieses Dreieck aus glattem Wasser herum. Kurz vorm Ufer bremse ich ab.

      »Gib mir mal den Laserköder«, sagt Iggy.

      Vorsichtig, um nicht in die scharfen Haken zu greifen, nimmt er mir das spitze Ding ab und drückt den winzigen Knopf, mit dem man das Blinklicht einschaltet, das die Fische anlocken soll. Dann richtet er den Strahl vor uns auf das unsichtbare Ding.

      »Ich glaub’s nicht. Sieh dir das an!«

      Das grüne Licht strahlt auf den See hinaus, wird aber nach links abgelenkt und beschreibt eine Kurve, bevor es weiter geradeaus leuchtet. Das bleibt auch so, als Iggy den Laserköder hin und her schwenkt, das Licht wird von etwas gebrochen, das wir nicht sehen können.

      Im Kanu liegt ein Stein, den werfe ich auf das Ding. Es macht pling. Der Stein springt zurück und landet im Wasser, als hätte ich eine Glasscheibe getroffen. Nur ist da keine Scheibe.

      Ich werfe einen weiteren Stein. Wieder dieses Pling. Nun krame ich aus Iggys Anglertasche ein Bleigewicht hervor und schmeiße das, diesmal härter. Gleiches Ergebnis.

      Iggy und ich sind schon kurz vorm Durchdrehen. Da wird aus dem Surren auf einmal ein Brummen, das Wasser wird aufgewirbelt und das unsichtbare Etwas bewegt sich auf unser Kanu zu.

      »Schnell weg!«, brüllt Iggy.

      Als wir beide nach demselben Paddel greifen, kentert das Kanu. In einer einzigen Bewegung werden Iggy und ich ins dunkle Wasser gekippt. Nicht mal mehr schreien können wir.

      Die Kälte spüre ich nicht sofort, doch als ich untergehe, schlucke ich Wasser. Prustend tauche ich wieder auf, die schweren Klamotten ziehen mich hinab. Nur mit Mühe und Not kann ich den Kopf über Wasser halten. Da erst trifft mich die Kälte, sie raubt mir fast den Atem.

      Immer wieder schnappe ich nach Luft und rufe: »Ig-Iggy!«

      Wir tragen keine Rettungswesten, denke ich voller Angst.

      Neben mir taucht erst ein roter Haarschopf und dann Iggys erschrockenes Gesicht auf.

      »Ah … ah … Hier bin ich.« Er hält sich an mir fest. »Los … los, weg hier. Das Dingsbums ko-ko-kommt näher.« Vor Kälte kann er kaum sprechen. Er macht ein paar Züge aufs Ufer zu, hält inne. »W-wo ist Suzy?«

      Da rumst es unter dem gekenterten Kanu.

      »Suzy!«, schreit Iggy verzweifelt. Und bevor ich einen Ton rausbringe, ist er schon untergetaucht.

      Die Sekunden verstreichen, meine Klamotten werden immer schwerer. Ich habe panische Angst.

      »Iggy!«, brülle ich und schwimme im Kreis. »Iiiiiggyyyy!«

      Da taucht Iggy endlich neben dem Kanu auf, mit ihm die verstörte Suzy. Ihr braunrotes Federkleid ist triefnass.

      Ich bin näher am Steg als Iggy und mir fällt das Schwimmen auch leichter, denn ich habe ja nicht noch ein Huhn im Schlepptau. Schwerfällig hieve ich mich die glitschige