Ursula Hochuli Freund

Kooperative Prozessgestaltung in der Sozialen Arbeit


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und der Professionalität in der Sozialen Arbeit behandelt (u. a. Harmsen 2004; Klatetzki 2005; Pfadenhauer 2005; Combe/Helsper 2011; Dewe et al. 2011), andererseits entstanden viele Veröffentlichungen zur Thematik der Theorie-Praxis-Transformation, insbesondere Sammelbände zu Diagnostik und Fallverstehen in der Sozialen Arbeit (u. a. Peters 1999; Ader et al. 2001; Henkel et al. 2002; Heiner 2004; Schrapper 2004), in jüngerer Zeit außerdem Gahleitner et al. 2013, Buttner et al. 2018, Buttner et al. 2020. Der Diskurs zu Professionalität ist seit gut zwei Jahrzehnten in vollem Gange.

      Trotz der erwähnten Vielzahl an Publikationen bestand, als wir an der ersten, 2011 erschienenen Auflage dieses Lehrbuchs arbeiteten, zumindest im deutschsprachigen Raum – auf den wir uns beziehen und den wir überblicken – u. E. eigenartigerweise ein Mangel. Es gab und gibt mittlerweile einige sog. ›Methodenbücher‹, welche jeweils im Titel auf diesen Fokus verweisen: Angefangen vom ›Sozialpädagogischen Können‹ von Müller (2017, 1. Ausgabe 1993) über sog. ›Arbeitshilfen‹ (u. a. Schilling 2005; von Spiegel 2013; Michel-Schwartze 2009) zu Methodensammlungen, die eher als Landkarten unterschiedlicher Konzepte zu verstehen sind (Galuske 2013, teilweise auch Stimmer 2012), oder zu Methodiken mit einer spezifischen theoretischen Ausrichtung (Cassée 2019; Geiser 2013) bis hin zum Entwurf eines methodenintegrativen Modells (Zwilling 2007) finden sich unterschiedliche methodische Zugänge. Manche Arbeiten (u. a. Schwabe 2019; Pantuček-Eisenbacher 2019) verweisen auf Methoden, Techniken und Instrumente, nehmen aber nur ansatzweise Bezug auf ein umfassendes Verständnis professionellen Handelns. Die große Vielfalt an Begrifflichkeiten – wie z. B. Methode, Verfahren, Methodik, Konzepte, Techniken, Instrumente –, die darüber hinaus sehr unterschiedlich verwendet werden, trägt auch nicht zu einer Klärung in der Methodendiskussion bei, wie beispielsweise Krauss (2006) und Galuske (2013) feststellen. Im Fachdiskurs wurde in den letzten Jahren immer wieder darauf hingewiesen, dass bisher keine Standards und Verfahren entwickelt worden sind, die in der Praxis Anwendung finden könnten und es große Defizite im Methodenwissen und dessen Umsetzung in der Praxis gebe (vgl. u. a. Verein für Kommunalwissenschaften e. V. 2005:1). Versuche übergreifender Systematiken zum Methodischen Handeln in der Sozialen Arbeit seien nach wie vor eher die Ausnahme, konstatiert Zwilling im Jahre 2017 (vgl. :1). Im Hinblick auf eine theoretisch reflektierte Methodenintegration, welche eine Verknüpfung unterschiedlicher handlungstheoretischer Ansätze ermöglicht, sei die Situation noch problematischer. Die Methodenentwicklung und -reflexion sei im Diskurs der Sozialen Arbeit – sowohl innerhalb der Disziplin wie auch der Profession – vernachlässigt worden, konstatiert er (vgl. ebd.:2). Sein eigener Entwurf eines Modells zur Methodenintegration bleibt jedoch eng ausgerichtet auf ausgewählte Praxisfelder und wenige Methoden (wie z. B. klassischer sozialarbeiterischer Beratungskontext). Heiner beschrieb diese Lücke im methodischen Fachdiskurs 2004 wie folgt: »Die Soziale Arbeit in der Bundesrepublik und im deutschsprachigen Europa verfügt derzeit nicht über ein tätigkeitsfeldübergreifendes, erfolgreich erprobtes, getestetes und weitgehend konsensfähiges Diagnoseverfahren« (2004:7).

      Aus dem Anspruch, nicht nur ein erprobtes und weitgehend konsensfähiges Diagnoseverfahren zu entwickeln, sondern dieses zu einem umfassenden Modell zu erweitern, haben wir – als Wissenschaftler und Wissenschaftlerin mit langjähriger Berufserfahrung in verschiedenen Praxisfeldern der Sozialen Arbeit – über Rahmenbedingungen und Möglichkeiten des Handelns mit und für Klienten innerhalb institutioneller Rahmenbedingungen von Praxisorganisationen der Sozialen Arbeit nachgedacht. Wir haben bestehendes Methodenwissen systematisiert und selbst weiterentwickelt – Wissen, das die Grundlage bildet für die Ausbildung von Kompetenz und das Professionellen der Sozialen Arbeit ermöglichen soll, ihre Unterstützungsprozesse sinnvoll zu gestalten. Dazu haben wir ein Konzept entwickelt – ›Kooperative Prozessgestaltung‹ (KPG) – das sich auf professionelles Handeln in der Sozialen Arbeit insgesamt bezieht. Davon ausgehend, dass Soziale Arbeit im Spannungsfeld von Individuum und Gesellschaft an unterschiedlichsten Brennpunkten, Lebenslagen und Orten und auf verschiedenen Ebenen soziale Probleme von Einzelnen, Gruppen und Gemeinwesen zu bearbeiten und einer Lösung zuzuführen hat, nimmt die Methodik Bezug auf alle Praxisfelder der Sozialen Arbeit und ist praxisfeldübergreifend einsetzbar. Wir verstehen das Konzept Kooperative Prozessgestaltung als Antwort auf die speziellen Anforderungen in der Sozialen Arbeit, die durch die konstitutiven Rahmenbedingungen professionellen Handelns charakterisiert sind (wie z. B., dass Zuständigkeiten für die Lösung komplexer Problemlagen oftmals unklar sind und dass das Handeln nicht standardisiert werden kann, image Kap. 3.2.1 und image Kap. 3.2.3). Angesichts der Komplexität möglicher Themen- und Problemstellungen und der latenten Verstrickung der eigenen Person in Hilfeprozesse ist an eine technologische Anwendung erworbener Wissensbestände nicht zu denken. Die in diesem Lehrbuch hergeleitete und aufbereitete Methodik orientiert sich an diesen Rahmenbedingungen. Im Zentrum steht ein verstehender Zugang zu Klienten und Problemlagen – denn nur auf der Grundlage eines vertieften Verständnisses von Entstehungsbedingungen, aktueller Lebenslage, Ursachen für ein Verhaltensmuster etc. können sinnvolle Interventionen geplant und umgesetzt werden. Im Konzept werden die grundlegenden Strukturen von Unterstützungsprozessen (in der Bundesrepublik Deutschland meist Hilfeplanung genannt) sowie ausgewählte Methoden und Instrumente herausgearbeitet und in einer Systematik geordnet dargestellt. Damit wird eine Übersicht über einzelne Schritte sozialarbeiterischer und sozialpädagogischer Tätigkeit ermöglicht und zugleich deren innerer Zusammenhang dargelegt. Ziel ist, dass Professionelle das eigene Handeln entlang eines roten Fadens strukturieren können, dass sie erkennen und begründen können, was sie tun, wenn sie etwas tun, und dass sie in Transparenz das planen können, was auch tatsächlich planbar ist. Ebenso wird das Strukturmerkmal der sog. Koproduktion berücksichtigt, das besagt, dass Professionelle und Klientin stets gleichzeitig und gemeinsam an der Lösung eines Problems arbeiten (image Kap. 3.2.4). Unterstützungs- und Vernetzungsprozesse werden gemäß unserem Konzept immer in Kooperation mit Klientinnen, Klientensystemen und größeren sozialen Systemen realisiert. Die Bezeichnung des Konzepts weist auf den hohen Stellenwert und die grundlegende Bedeutung der Kooperation in der Gestaltung von Unterstützungsprozessen hin.

      Dreh- und Angelpunkt des Konzepts ist ein Prozessmodell. Dieses bietet eine Struktur für die Gestaltung des professionellen Handelns, bei der die Komplexität in einem Fall in einzelnen Prozessschritten stets angemessen berücksichtigt und immer wieder auch so reduziert wird, dass sie handhabbar wird und keine wesentlichen Aspekte wegfallen. Es geht einerseits um den Prozess des Nachdenkens auf der Fachebene (d. h. einer Fachkraft allein, aber auch in einem Team und in der Kooperation mit anderen Professionen und Hilfesystemen) und andererseits um die Gestaltung eines Such- und Problemlösungsprozesses gemeinsam mit einem Klienten, allenfalls auch dem Klientensystem, manchmal auch mit einer Gruppe. Das methodenintegrative Lehrbuch zeigt auf, in welcher Weise – vor dem Hintergrund von Wissen aus der Sozialen Arbeit und relevanter Nachbarsdisziplinen sowie einem professionellen Selbstverständnis – methodisches Wissen, reflektiertes Erfahrungswissen und Kompetenzen gewinnbringend in einen Hilfeprozess eingebracht werden können.

      Dazu haben wir den aktuellen Stand des Diskurses zu professionellem Handeln in der Sozialen Arbeit im deutschsprachigen Raum aufgearbeitet und aufgenommen (und bei jeder neuen Auflage auch wieder aktualisiert). So haben wir die erwähnte Vielfalt der Publikationen kritisch durchforstet und versucht, das Durcheinander der Begrifflichkeiten und Zugänge zu lichten und einen Überblick zu schaffen. Wir wählten dabei Methoden aus, die wir als relevant erachten und die grundsätzlich auf jeden Kontext der Sozialen Arbeit bezogen werden können. Eine besondere Bedeutung messen wird jenen Methoden zu, die dazu dienen, einen Fall zu analysieren und die Fallthematik herauszuarbeiten oder zu erklären und zu verstehen, was schwierig ist für Klienten, welches die Hintergründe und Entstehungsbedingungen für eine Problematik sein können. Leitgedanke bildet dabei nach Dilthey, dass Fallverstehen einen hermeneutischen Zugang erfordert (vgl. Müller 2017:17). Dazu haben wir selbst die Diagnosemethode ›Theoriegeleitetes Fallverstehen‹ entwickelt,