tun Professionelle der Sozialen Arbeit, Sozialpädagogen und Sozialarbeiterinnen? Sie beraten und unterstützen z. B. Familien mit Erziehungsproblemen in deren Alltag, oder sie erziehen Kinder, die vorübergehend oder für längere Zeit nicht mehr in ihrer Herkunftsfamilie leben können; sie vermitteln materielle Unterstützung und machen Schuldenberatung; sie begleiten Menschen, welche ihre Gefängnisstrafe abgebüßt haben; sie realisieren Bedarfsanalysen in Stadtteilen und Gemeinden und konzipieren dort gemeinsam mit den Bewohnerinnen neue Angebote; sie begleiten und assistieren Menschen mit Entwicklungsbeeinträchtigungen; und sie beraten Menschen mit Suchtproblemen, sie realisieren Gewaltpräventionsprojekte in der Schule … Die Liste der Aufgaben und Tätigkeiten könnte noch lange weitergeführt werden. Professionelle der Sozialen Arbeit können offenbar vieles, das Arbeitsfeld ist äußerst breit. ›Vielfältig und spannend‹ – so könnte der erste Eindruck bei einem pragmatischen, tätigkeitsorientierten Zugang zur Sozialen Arbeit lauten. Wenn wir hingegen einen theoretischen Zugang wählen und den Gegenstand Sozialer Arbeit beschreiben wollen, dann lautet ein erstes Fazit wahrscheinlich ›komplex und schwierig zu fassen‹. Der Hintergrund dieser Einschätzung soll im Folgenden dargelegt und dabei dennoch der Versuch unternommen werden, den Gegenstand theoretisch zu beschreiben.
2.1.1 Historische Wurzeln: Sozialpädagogik und Sozialarbeit
Die Schwierigkeiten, den Gegenstand der Sozialen Arbeit zu fassen, zeigen sich bereits bei der Begrifflichkeit. Soziale Arbeit hat sich etwa seit Beginn des 21. Jahrhunderts als neuer Leitbegriff etabliert. Mit diesem Begriff wird versucht, das gesamte, vielfältige Arbeitsfeld begrifflich zu rahmen und ein einheitliches Funktionssystem abzugrenzen (z. B. gegenüber dem Medizinsystem oder Rechtssystem, vgl. u. a. Thole 2012a:22). Daneben werden jedoch auch weiterhin andere Begriffe verwendet, insbesondere Sozialarbeit und Sozialpädagogik. Diese beiden Begriffe verweisen auf die unterschiedlichen historischen Traditionslinien, welche in der Sozialen Arbeit integriert werden. Während Sozialpädagogik für die pädagogisch-erziehungswissenschaftliche Linie steht und die Wurzel für die heutige Kinder- und Jugendhilfe darstellt, so steht die Sozialarbeit als ›Fürsorgewissenschaft‹ in der sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Tradition und ist die Wurzel der Sozialhilfe (vgl. u. a. Gängler 2012:610; Thole 2012a:22). Im Hinblick auf Theoriebildung und Argumentationskultur könne ›Sozialarbeit‹ als Erbe der bürgerlichen Frauenbewegung im ausgehenden 19. Jahrhundert, ›Sozialpädagogik‹ hingegen als Erbe von Reformpädagogik und bürgerlicher Jugendbewegung im frühen 20. Jahrhundert gelesen werden, so Niemeyer (vgl. 2012:146). Die beiden Traditions- und Entwicklungslinien werden nachfolgend skizziert.
Sozialpädagogik
Die Sozialpädagogik hat einen bildungstheoretischen Ursprung, der in den Beginn der europäischen Moderne zurückgeht. Damals hat sich die Idee eines eigenständigen, freien, bildsamen Individuums etabliert, eines Individuums also, das sich selbst bilden und entwickeln kann. Indem die traditionelle Ständeordnung an Bedeutung verlor, entstand nicht nur die Möglichkeit individueller Entwicklung, zugleich wurden Menschen auch aus diesen ständischen Bindungen freigesetzt. Als Reaktion darauf entstanden pädagogische Gemeinschaftsbegriffe, um das Individuum wiederum an soziale Sphären zurück zu binden. Genau dies ist das Thema der Sozialpädagogik: Sie befasst sich mit dem Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft und fragt nach Möglichkeiten und praktischer Gestaltbarkeit der Vermittlung zwischen Individuum und Gemeinschaft, zwischen Mensch und Gesellschaft. Wie können Menschen sich entwickeln und bilden, ihr Leben eigenständig gestalten und sich selbst verwirklichen, autonom handeln – und zugleich in ein soziales Gefüge eingebettet, in eine Gemeinschaft integriert sein und an gesellschaftlichen Errungenschaften teilhaben? Historisch gesehen wurde Gemeinschaft als pädagogische Aufgabe immer dann virulent, wenn das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft als problematisch wahrgenommen wurde – denn die Gemeinschaft ist das entscheidende Medium sozialer Integration. Das sozialpädagogische Nachdenken über das Verhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft erfolgte stets im Sinne einer Anwaltschaft für das freie, selbsttätige Subjekt (vgl. Reyer 2002:27 f.; Hochuli Freund 2005:174 f.).
Eine weitere Wurzel der Sozialpädagogik liegt in den wirtschaftlichen und sozialen Folgen der industriellen Revolution, welche im 19. Jahrhundert zur Verarmung und Verelendung breiter Bevölkerungskreise geführt hat. Mit den Anstalten zunächst für arme, verwaiste und gefährdete Kinder und – in der zweiten Jahrhunderthälfte auch für verwahrloste Jugendliche – entstand jenes Praxisfeld, das später Heimerziehung genannt wurde (vgl. Hochuli Freund 1999). Die Anstalten verstanden ihren Auftrag als Erziehung von Kopf, Herz und Hand (gemäß Pestalozzi), als Rettung im religiösen Sinne sowie als Rettung aus verkommenen gefährdenden Verhältnissen, und schließlich – und dies war in der Realität wohl am bedeutsamsten – als Disziplinierung mit dem Ziel gesellschaftlicher Anpassung. Sozialpädagogik kann also auch verstanden werden als gesellschaftliche und pädagogische Antwort auf die sozialen Probleme des 19. Jahrhunderts, als Versuch, diesen mit Mitteln der Erziehung zu begegnen (vgl. Hochuli Freund 2005a:174 f.).
Die Praxisfelder der Sozialpädagogik sind im Verlaufe des 20. Jahrhunderts vielfältiger und breiter geworden. Sozialpädagogik als Kinder- und Jugendhilfe befasst sich mit den Entwicklungsproblemen von jungen Menschen beim Hineinwachsen in das gesellschaftliche Umfeld und mit angemessenen Unterstützungsangeboten zur Bewältigung dieser Schwierigkeiten. Darüber hinaus beansprucht die Sozialpädagogik zunehmend Zuständigkeit für den ganzen Lebenslauf, indem sie sich auf ein erweitertes Sozialisationskonzept als Metakonzept bezieht, das Bildung als lebenslange Aufgabe ansieht; Chassé/von Wensierski (2004a:8) bezeichnen dieses Phänomen als ›Sozialpädagogisierung der Lebensphasen‹. Entsprechend vielfältig sind heute die sog. sozialpädagogischen Praxisfelder. Böhnisch bezeichnet die Sozialpädagogik einerseits als erziehungswissenschaftliche Disziplin und gleichzeitig als Theorie besonderer Praxisinstitutionen, insbesondere der Jugendhilfe. Als Disziplin beschäftige sie sich »mit jenen sozialstrukturell und institutionell bedingten Konflikten zwischen subjektiven Antrieben und Vermögen der Kinder und Jugendlichen und gesellschaftlichen Anforderungen, wie sie in Familie, Schule, Arbeitswelt und Gemeinwesen vermittelt sind. Sie versucht, diese Konflikte aufzuklären, ihre Folgeprobleme zu prognostizieren und in diesem Kontext die Grundlagen für erzieherische Hilfen zu entwickeln« (Böhnisch 1979:22 zit. in Hamburger 2003:14).
Sozialarbeit
Die Sozialarbeit hingegen hat sich aus der Armenfürsorge entwickelt und steht im Kontext der Herausbildung des Sozialstaates in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Hintergrund war auch hier die Entstehung der Industriegesellschaft und der mit ihr verbundenen sozialen Problemen. Das Armutsproblem verschärfte sich und verwandelte sich in die sog. ›soziale Frage‹, der allein mit polizei- und ordnungspolitischen Strategien nicht mehr begegnet werden konnte. Zuvor war die Armenpflege seit langer Zeit kommunal organisiert gewesen. Die Gemeinden waren zur Unterstützung der Hilfsbedürftigen verpflichtet. Voraussetzung allerdings war die Prüfung der Anspruchsberechtigung. Die materielle Unterstützung war knapp bemessen und an diskriminierende Umstände gebunden (vgl. Müller 2013:756, Hammerschmidt/Tennstedt 2012:74).
Bürgerliche Reformbestrebungen führten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – zumindest in den größeren Städten Deutschlands – dazu, dass diese materielle Hilfe ergänzt wurde durch eine individuelle Hilfe und Begleitung durch ehrenamtliche Bürger als sog. Armenpfleger. Durch diese kommunal organisierte und ehrenamtlich realisierte Hilfe von ›Mensch zu Mensch‹ veränderte sich die Armenfürsorge zur socialen Fürsorge: Dies war der erste Schritt auf dem Weg hin zur Sozialarbeit. In der Schweiz basierte die freiwillige Fürsorge für Arme auf privater, philanthropisch und religiös motivierter Wohltätigkeit von Einzelpersonen – oftmals bürgerlicher Frauen – und von karitativen Organisationen (z. B. ›Hilfsgesellschaften‹), die ebenfalls auf Privatinitiative zurückgingen. Der zweite Schritt bestand in der Einbindung der kommunalen Wohlfahrtspflege in den Wohlfahrtsstaat (vgl. Hammerschmidt/Tennstedt 2012:73 ff.). Im Zuge der Etablierung der Sozial- und Wirtschaftspolitik im ausgehenden 19. Jahrhundert wurde die Armenfürsorge zunehmend zur Aufgabe des Staates. Diese Veränderung ist eng verknüpft mit den Anfängen der Sozialpolitik, welche die wichtigsten Daseinsrisiken durch Versicherungsleistungen abzudecken suchte. Die sog. Sozialversicherungen