sie erneut und wurde von ihrer Tochter unterbrochen.
»Ich weiß selbst, was ich zu tun und zu lassen habe!« Das Mädchen sprang auf und warf ihre Serviette auf den Tisch. Unglücklicherweise landete sie mitten in der Soßenterrine, und die Spritzer verteilten sich auf der weißen Damastdecke. »Wenn ich mich richtig erinnere, Mama, warst du kaum älter als ich, als du Papa geheiratet hast. Mir ist der Appetit vergangen, ich gehe ins Bett.«
Hoch erhobenen Hauptes verließ Frederica das Speisezimmer. Für einen Moment erwartete Maureen, Frederica würde hinter sich die Tür laut ins Schloss fallen lassen, aber Frederica beherrschte sich im letzten Augenblick.
»Sie hat recht, du warst in ihrem Alter, als du deine Familie verlassen und mit mir fortgegangen bist«, stellte Philipp sachlich fest. »Es ist erschreckend, wie schnell die Zeit vergeht. Unsere Tochter ist eine kleine Schönheit geworden, und wir werden uns langsam an den Gedanken gewöhnen müssen, dass sich die Verehrer die Klinke in die Hand geben werden.«
»Aber nicht George Linnley!« Maureen schob ihren Teller zur Seite. Ihr war der Appetit vergangen.
»Ich verstehe wirklich nicht, was du gegen den jungen Mann einzuwenden hast.«
Maureen schüttelte missbilligend den Kopf. »Meine Empfindungen sind in diesem Fall unwesentlich. Frage dich lieber, was Lady Esther von dem Gedanken hält, Frederica als ihre Schwiegertochter in die Arme zu schließen. Nämlich gar nichts! Sie gab mir heute mehr als deutlich zu verstehen, dass ein Linnley niemals eine Trenance heiraten wird. Sie hat für ihren geliebten George schon längst eine reiche Erbin auserkoren. Wir werden sie auf dem Gartenfest kennenlernen.«
Erstaunt bemerkte Philipp: »Ich dachte immer, unsere Familien sind in Freundschaft verbunden.«
»David Linnley ist jedermanns Freund, der mit ihm belanglose Konversation betreibt und ihn sonst in Ruhe lässt. Außerdem hat er in der Angelegenheit, wen sein Sohn zur Frau nimmt kein Wort mitzureden. Lady Esther führt das Regiment, und George Linnley ist genau wie sein Vater ein Schwächling und ein Versager.«
Philipp seufzte und fuhr mit einer Hand durch sein dichtes, blondes Haar. Nur bei offiziellen Anlässen trug er eine der modischen gepuderten Perücken.
»Lady Esther wird niemals vergessen, nicht wahr?«
In seiner Stimme lag so viel Hoffnungslosigkeit, dass Maureen zusammenzuckte. Sie wünschte, Philipp würde sie in die Arme nehmen und ihr versichern, ihm sei das Gerede der Nachbarn gleichgültig. So, wie er es früher getan hatte, aber diese Zeiten waren schon lange vorbei, und Maureen konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann die Veränderung eingesetzt hatte. Was war aus ihrer bedingungslosen Liebe geworden? Ein höfliches Miteinander, aus der sich die Leidenschaft langsam, aber sicher davonstahl. Sie durfte aber nicht undankbar sein. Sie hatte ein schönes Heim, frei von finanziellen Problemen und – das war das Wichtigste von allem – eine gesunde und bezaubernde Tochter. Philipp erhob sich, Maureen stand ebenfalls auf und machte einen Schritt auf ihren Mann zu. Leicht berührte sie ihn am Arm.
»Philipp?«
Er beachtete die Geste nicht, ging zum Fenster und starrte in die Dunkelheit hinaus.
»Vielleicht sollte ich Frederica mit nach London nehmen, wenn ich das nächste Mal in die Stadt muss. Das passende Alter, um in die Gesellschaft eingeführt zu werden, hat sie erreicht. In Cornwall weiß doch jeder über dein Leben Bescheid, und wer nicht, der wird von Lady Esther so schnell wie möglich aufgeklärt. Für Frederica wird es nicht leicht werden, einen Mann ...«
Er brach ab, aber Maureen wusste, mit welchen Gedanken er sich beschäftigte. Jedes seiner Worte hatte sich wie eine Messerspitze in ihr Herz gebohrt. Ihre Vergangenheit, an der sie selbst keine Schuld trug, würde sich auch auf ihre Tochter auswirken. Solange Frederica ein kleines, niedliches Baby und später ein entzückendes Kind mit einem wachen Verstand gewesen war, hatte niemand Anstoß an der Herkunft ihrer Mutter genommen. Jetzt war aus Frederica Trenance eine junge Frau im heiratsfähigen Alter geworden, die eine gute Mitgift zu erwarten hatte. Trotzdem würde kein Angehöriger des Hochadels Frederica zur Frau nehmen. Auch wenn Maureens Abstammung vielleicht nicht überall bekannt war, wäre es doch unehrenhaft, die Vergangenheit einem Anwärter auf Fredericas Hand zu verschweigen. Maureen konnte sich den Eklat gut vorstellen, der unweigerlich folgen würde, wenn jemand anderer, wahrscheinlich Lady Esther, die betreffende Familie über die nicht standesgemäße Partie aufklären würde. Es lag weder in Maureens noch in Philipps Interesse, Frederica reich zu verheiraten. Beide wollten sie das Glück ihrer Tochter, und wenn Frederica dies an der Seite eines Kaufmanns finden würde, würde Philipp zwar nicht besonders begeistert sein, sich aber nicht gegen eine derartige Verbindung stellen. Wahrscheinlich hatte Philipp recht, und Frederica sollte ihren Vater für ein paar Wochen nach London begleiten. Dort hätte sie die Gelegenheit, nicht nur eine andere Gegend als Cornwall kennen zu lernen, sondern auch andere Menschen. Menschen, die nichts von der Abstammung ihrer Mutter wussten und dem Mädchen unvoreingenommen begegneten.
Philipp Trenance hatte einen Sitz im Oberhaus inne und verbrachte regelmäßig Zeit in der Hauptstadt. Die Familie besaß ein kleines, elegantes Stadthaus am Hanover Square. Den Parlamentsposten hatte er von seinem Vater geerbt, und er bedeutete ihm sehr viel, denn mit ihm saß bereits die fünfte Generation der Trenance im Oberhaus. In den ersten Jahren ihrer Ehe hatte Maureen ihren Mann oft nach London begleitet, diese Reisen aber eingestellt, als Frederica heranwuchs. Sie wollte das Mädchen nicht über Wochen in der Obhut einer Nanny lassen, sondern sich selbst um es kümmern. Außerdem hatte sich Maureen in der eitlen und verlogenen Welt des Hochadels, der verächtlich auf alle weniger Privilegierten herabsah, nie wohlgefühlt. In Cornwall blieben ihr regelmäßige Begegnungen mit einer Gesellschaft, zu der sie nie richtig gehören würde, auch nicht erspart, Maureen hatte aber mehr Gelegenheit, sich zurückzuziehen. Sie war glücklich auf Trenance Cove, glücklich mit ihrer Tochter und nach wie vor glücklich mit Philipp, auch wenn die Schmetterlinge im Bauch längst ausgeflogen waren.
»Du hast mich auch geheiratet«, flüsterte sie und lehnte ihre Stirn an seinen Rücken. »Gegen alle Widerstände hast du mich zur Frau genommen. Es hat dich nicht gekümmert, was deine Familie und Nachbarn zu unserer Verbindung sagen würden.«
Philipp drehte sich um, hob mit zwei Fingern ihr Kinn und sah sie mit einem traurigen und zugleich sorgenvollen Blick an.
»Wir waren so jung! Wenn wir damals gewusst hätten, was uns im Leben erwartet, was uns abverlangt wird ...« Wieder ließ er den Satz unvollendet, und erneut wusste Maureen, dass er seine Entscheidung, eine Ehe mit einem Mädchen aus der untersten Gesellschaftsschicht einzugehen, die zudem noch Ausländerin war, schon längere Zeit in Frage stellte. »Es ist unsere elterliche Pflicht, Frederica vor ähnlichen Erfahrungen zu bewahren«, fuhr er bekümmert fort.
Maureen schluckte und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie verletzt sie war. Noch heute stand ihr die offene Ablehnung ihres Schwiegervaters vor Augen, der sich für seinen einzigen Sohn und Erben ein vermögendes Mädchen aus gutem Hause gewünscht hatte. Es dauerte Jahre, bis das Personal Maureen als Herrin akzeptierte. Wie oft wurde hinter Maureens Rücken über ihren schottischen Akzent gekichert! Bevor Lady Esther sich ihrer angenommen und sich erbarmt hatte, aus Maureen eine Dame zu machen, wurde die Familie Trenance von allen angesehenen cornischen Familien gemieden. Es gab keine Einladungen, keine Besuche, und niemand gab Maureen die Chance zu beweisen, dass sie zwar einfacher Abstammung, im Herzen und im Charakter trotzdem ein guter Mensch war.
Maureen schuldete Lady Esther Dankbarkeit, dass die Dame sie unter ihrer Fittiche genommen hatte. Sie hatte sich sehr bemüht und alles getan, um ihren geliebten Philipp nicht zu enttäuschen. Er durfte sich durch die Heirat mit ihr auf keinen Fall seine Zukunft verbauen. Bald schon merkte Maureen, dass es für Lady Esther nur einen einzigen Grund gab, warum sie sich um Maureen kümmerte: In dem unbedarften, einfachen Mädchen hatte sie eine Person gefunden, die sie beherrschen und nach ihrem Belieben formen konnte. Esther Linnley hatte versucht, Maureen zu manipulieren und zu einer folgsamen Anhängerin ihrer Meinung zu machen. Sie duldete auch keinen Widerspruch. Auch wenn Maureen oft anderer Meinung war, wagte sie niemals, diese zu äußern, denn von Lady Esther lernte sie binnen weniger Monate, wie eine Dame zu sprechen und sich zu bewegen hatte, wie man elegant