Gabriela Kasperski

Zürcher Filz


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ihr Freund Andi war nach der geplatzten Hochzeit im Frühjahr nach Finnland abgehauen.

      Vergeblich suchte Beanie nach dem Schlüssel für die dicke Fahrradkette. Sollte sie das Risiko eingehen und ihr Bike nicht abschliessen? Noch mal ins Büro fahren war keine Option, und die Gegend schien sicher.

      Beanie besah sich das weihnachtlich dekorierte Schaufenster voller Armbänder, Halsketten, Ringe und Ohrgehänge. Es gab sogar ein Diadem. Im Innern des Ladens bediente ein Verkäufer, der aussah wie Cary Grant. Beanie kannte den Schauspieler, sie liebte alte Hollywoodfilme. So wie es aussah, hatte Vintage-Cary kurz vor Feierabend einen Kundenansturm zu bewältigen. Sogar hier, am Rand der Enge, dieses eher ruhigen Zürcher Viertels, lief der Weihnachtsverkauf.

      In den Laden platzen? Nein, Beanie wollte vermeiden, dass die Kunden den Polizeiauftritt mitbekamen. Sie nutzte die Pause und trank den Spinat-Smoothie aus, mehr hatte es heute noch nicht gegeben. Der Workload bei der Kripo war heftig und Beanie als Teamleiterin gefordert. Nebst den Trickbetrügereien und häuslicher Gewalt hatten sich in dieser Adventszeit vor allem die Vermisstenmeldungen gehäuft, und wegen einer solchen war Beanie hier.

      Es ging um Schmuck, der in «Rubis Vintage-Shop» aufgetaucht war. Ein geklauter Ohrring wäre für eine Kripoermittlerin von zero Interesse, gehörte er nicht Philomena Lombardi, die von ihrer Gärtnerin als vermisst gemeldet worden war. Obwohl die polizeilichen Abklärungen bei der Familie nichts ergeben hatten, nervte die Gärtnerin die Kollegen von der Zentrale seit Montag mit täglichen Anrufen.

      Beanie sog den letzten Schluck aus dem Strohhalm und verstaute die Trinkflasche im Rucksack. Sie betrat den Laden und stellte sich vor. Als sie den Helm vom Kopf zog, entwich dem Verkäufer ein Laut. Beanie hatte sich selbst noch nicht an ihr Spiegelbild gewöhnt: der Kopf fast kahl, die dunklen Locken auf dem Kamm in Pfeilform geschnitten und nach hinten gegelt. Beanie fixierte Vintage-Cary. Wag es, einen Kommentar abzusondern. Er tat es nicht.

      «Ich habe doch schon alles am Telefon erklärt», stammelte er stattdessen.

      «Persönlich ist besser.» Beanie nickte ihm zu. «Erzählen Sie, worum es geht.»

      Vintage-Carys Augen huschten zum Vorhang, der den Ladenteil offenbar von einem Office abtrennte. «Ist das ein Verhör?» Er schlüpfte aus seiner taillierten Samtjacke, und Schweissgeruch breitete sich aus. Wieder der Blick zum Vorhang. «Wenn Sie sich beeilen könnten – Rubi weiss nicht, dass ich Sie informiert habe.»

      «Rubi? Ist das Ihre Chefin?», fragte Beanie.

      «Rubi Bachar», sagte Vintage-Cary. Er kniff die Lippen zusammen. «Wissen Sie was: Ich ziehe die Anzeige zurück. Eine Überreaktion. Frau Lombardi wird die Sache mit dem Ohrring erklären können. Gehen Sie bitte wieder.»

      «Wenn Sie meinen.» Beanie drehte auf dem Absatz um und sprach leise und scharf: «Sollte sich das Ganze als Verbrechen herausstellen, werden Sie mitschuldig.»

      Einundzwanzig, zweiundzwanzig.

      «Warten Sie», rief Vintage-Cary.

      «Sie haben eine Minute.»

      Beanie fixierte den Mann, bis er einen Ohrring aus einer Schublade hob und auf einem weinroten Samtkissen platzierte. «Ein Antikmodell, mit echtem Rubin, Brillanten und Weissgold. Dafür kriegen wir über zwanzigtausend Franken. Wie am Telefon erwähnt, er gehört Philomena Lombardi, einer meiner Stammkundinnen. Das ist sie.»

      Cary wischte auf seinem Handy und zeigte Beanie zwei Fotos einer Frau. Zerbrechlich und selbstbewusst sah sie auf dem einen aus, mit schmaler Taille und schwingendem Rock. Das andere war ein Porträt, hohe Wangenknochen, helle Haut, ein dunkles Muttermal über den geschminkten Lippen, pechschwarzes Haar im Pagenschnitt, dazu baumelnde Ohrringe – ein Gesicht wie aus einer anderen Zeit.

      «Anna Karenina», murmelte Beanie.

      Vintage-Cary verstand die literarische Anspielung nicht.

      «Wieso haben Sie ein Foto von ihr?»

      «Sie ist eine Lieblingskundin, kommt ab und zu her. Sie kauft nur Echtschmuck.» Er zeigte um sich. «Damit verglichen ist das meiste hier nichts wert.»

      Auf Beanies Nachfragen umriss er, wie das Business funktionierte. Cary war eigentlich zuständig für das Vintage-Sortiment, während seine Chefin den Echtschmuck betreute. Allerdings wurde der Handel damit immer mehr zur Nebensache, Geld machten sie mit dem Ramsch, dem Kitsch, dem Billigkram für die gewöhnlichen Leute.

      «Bis auf die wenigen Male, wo es wirklich abgeht. Wie dann, wenn die Lombardi etwas kauft.»

      «Und woher stammt der Echtschmuck?»

      «Aus Nachlässen. Eine Art Internet-Hinterhof An- und Verkauf.»

      «Ist der auch so hier gelandet?» Beanie deutete auf den Ohrring.

      «In einem Paket. Ohne Absender. Ich habe es aus Versehen geöffnet.»

      «Ist die Verpackung noch da?»

      «Sorry, nein. Ich konnte ja nicht –»

      «Und warum wissen Sie, dass es Lombardis Ohrring ist?»

      «Ein Einzelstück. Darum so teuer.»

      Vintage-Cary litt Qualen, verwünschte den Moment, als er sich entschieden hatte, die Polizei zu informieren, das stand ihm ins Gesicht geschrieben. Dass Beanie Plastikhandschuhe überstreifte, machte es nicht besser.

      Behutsam nahm sie den Ohrring zwischen Daumen und Zeigefinger. Der Stein fing das Licht der Deckenleuchte auf, es glitzerte.

      «Nice», sagte sie.

      «Ein Prachtstück. Allein die vier Hängeglieder, alle mit unterschiedlichen Formen. Gewölbt, rund, oval. Und dann der weissgoldene Haken.» Carys Stimme klang ehrfürchtig, für einen Moment schien er seinen Stress zu vergessen. «Eigentlich zu schwer für ihre Ohren.» Er holte das Foto noch mal hervor und zeigte, was er meinte. Philomena Lombardis Ohrläppchen waren deutlich in die Länge gezogen.

      «Hier gibt’s offenbar viel Schmuckhandel, dauernd wird ge- und wieder verkauft», sagte Beanie. «Was hat Sie denn so beunruhigt, dass Sie uns angerufen haben?»

      «Zuerst schien alles normal. Dann fiel mir ein, dass wir in zwei Wochen eine Verabredung gehabt hätten. Ich habe mich gefragt, warum sie uns den Schmuck davor zum Verkauf schickt. Sie hat nie geantwortet. Nun mache ich mir Sorgen.»

      «Haben Sie Ihre Chefin informiert?»

      Er druckste herum. «Wie gesagt, ich war nicht autorisiert, das Paket zu öffnen. So was macht Rubi sauer.» Er deutete auf die Vitrine mit dem Echtschmuck. «Ich bin nicht sicher, ob hier alles legal abläuft, wenn Sie wissen, was ich meine. Mit diesen Geschäftsdeals habe ich nichts zu tun. Ich … ich brauche den Job.»

      Das klang nach Konflikt.

      «Kennen Sie Frau Lombardi auch privat?», fragte Beanie. «Sie sagten, Sie hätten eine Verabredung gehabt.»

      «Es ging nur um Schmuck.» Schlucken. Schlucken. Der Adamsapfel hüpfte. «Gut, wir haben einmal einen Aperol Spritz getrunken. Nach Ladenschluss.»

      «Sind Sie an ihr interessiert? Erotisch?»

      Sein Entsetzen war nicht gespielt. «Ich habe einen Freund. – Menschlich, ich finde sie rein menschlich nett. Falls das auch etwas zählt.»

      «Natürlich. – Sind Sie sicher, dass keine anderen Interessen mitspielen?»

      Er wurde dunkelrot. «Wir suchen eine Wohnung.»

      «Wir?»

      «Mein Freund und ich. Es ist nicht leicht … als Paar. Verstehen Sie?»

      Und wie. Die Wohnungssuche war für Beanie immer eine Hürde, ihre dunkle Haut kein Türöffner. Darum war ihre Campinglösung im Wehrenbachtobel so ideal.

      «Hat Philomena Ihnen eine Wohnung versprochen?»

      «Vielleicht. Sie hat gesagt, vielleicht kann sie was für uns tun.»

      «Wie viele