Adalbert Stifter

Der Nachsommer


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Eingang in das Speisezimmer, und man kommt von der andern Tür in dasselbe.“

      Das Ausruhezimmer war ein freundliches Gemach und schien recht eigens zum Sitzen und Ruhehalten bestimmt. Es befaßte nichts als lauter Tische und Sitze. Auf den Tischen lagen aber nicht, wie es häufig in unsern Besuchzimmern vorkömmt, Bücher oder Zeichnungen und dergleichen Dinge, sondern die Tafeln derselben waren unbedeckt und waren ausnehmend gut geglättet und gereinigt. Sie waren von dunklem Mahagoniholze, das in der Zeit noch mehr nachgedunkelt war. Ein einziges Geräte war da, welches kein Tisch und kein Sitz war, ein Gestelle mit mehreren Fächern, welches Bücher enthielt. An den Wänden hingen Kupferstiche.

      „Hier könnt Ihr ausruhen, wenn Ihr vom Gehen müde seid, oder überhaupt ruhen wollt“, sagte der Mann, „ich werde gehen und sorgen, daß man Euch etwas zu essen bereitet. Ihr müßt wohl eine Weile allein bleiben. Auf dem Gestelle liegen Bücher, wenn Ihr etwa ein wenig in dieselben blicken wollet.“

      Nach diesen Worten entfernte er sich.

      Ich war in der Tat müde und setzte mich nieder.

      Als ich saß, konnte ich den Grund einsehen, weshalb der Mann vor dem Eintritte in dieses Zimmer so sehr seine Fußbekleidung gereinigt und mir den Wunsch zu gleicher Reinigung ausgedrückt hatte. Das Zimmer enthielt nämlich einen schön getäfelten Fußboden, wie ich nie einen gleichen gesehen hatte. Es war beinahe ein Teppich aus Holz. Ich konnte das Ding nicht genug bewundern. Man hatte lauter Holzgattungen in ihren natürlichen Farben zusammengesetzt und sie in ein Ganzes von Zeichnungen gebracht. Da ich von den Geräten meines Vaters her an solche Dinge gewohnt war und sie etwas zu beurteilen verstand, sah ich ein, daß man alles nach einem in Farben ausgeführten Plane gemacht haben mußte, welcher Plan mir selber wie ein Meisterstück erschien. Ich dachte, da dürfe ich ja gar nicht aufstehen und auf der Sache herumgehen, besonders wenn ich die Nägel in Anschlag brachte, mit denen meine Gebirgsstiefel beschlagen waren. Auch hatte ich keine Veranlassung zum Aufstehen, da mir die Ruhe nach einem ziemlich langen Gange sehr angenehm war.

      Da saß ich nun in dem weißen Hause, zu welchem ich hinaufgestiegen war, um in ihm das Gewitter abzuwarten.

      Es schien noch immer die Sonne auf das Haus, blickte durch die Fenster dieses Zimmers schief herein und legte lichte Tafeln auf den schönen Fußboden desselben.

      Als ich eine Weile gesessen war, bemächtigte sich meiner eine seltsame Empfindung, welche ich mir anfangs nicht zu erklären vermochte. Es war mir nämlich, als sitze ich nicht in einem Zimmer, sondern im Freien, und zwar in einem stillen Walde. Ich blickte gegen die Fenster, um mir das Ding zu erklären; aber die Fenster erteilten die Erklärung nicht; ich sah durch sie ein Stück Himmel, teils rein, teils etwas bewölkt, und unter dem Himmel sah ich ein Stück Gartengrün von emporragenden Bäumen, ein Anblick, den ich wohl schon sehr oft gehabt hatte. Ich spürte eine reine freie Luft mich umgeben. Die Ursache davon war, daß die Fenster des Zimmers in ihren oberen Teilen offen waren. Diese oberen Teile konnten nicht nach innen geöffnet werden, wie das gewöhnlich der Fall ist, sondern waren nur zu verschieben, und zwar so, daß einmal Glas in dem Rahmen vorgeschoben werden konnte, ein anderes Mal ein zarter Flor von weißgrauer Seide. Da ich in dem Zimmer saß, war das letztere der Fall. Die Luft konnte frei hereinströmen, Fliegen und Staub waren aber ausgeschlossen.

      Wenn nun gleich die reine Luft eine Mahnung des Freien gab, sah ich doch hierin nicht die völlige Erklärung allein. Ich bemerkte noch etwas anderes. In dem Zimmer, in welchem ich mich befand, hörte man nicht den geringsten Laut eines bewohnten Hauses, den man doch sonst, es mag im Hause noch so ruhig sein, mehr oder weniger in Zwischenräumen vernimmt. Diese Art Abwesenheit häuslichen Geräusches verbarg allerdings die Nachbarschaft bewohnter Räume, konnte aber ebensowenig als die freie Luft die Waldempfindung geben.

      Endlich glaubte ich auf den Grund gekommen zu sein. Ich hörte nämlich fast ununterbrochen bald näher bald ferner, bald leiser bald lauter vermischten Vogelgesang. Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf diese Wahrnehmung und erkannte bald, daß der Gesang nicht bloß von Vögeln herrühre, die in der Nähe menschlicher Wohnungen hausen, sondern auch von solchen, deren Stimme und Zwitschern mir nur aus den Wäldern und abgelegenen Bebuschungen bekannt war. Dieses wenig auffallende, mir aus meinem Gebirgsaufenthalte bekannte und von mir in der Tat nicht gleich beachtete Getön mochte wohl die Hauptursache meiner Täuschung gewesen sein, obwohl die Stille des Raumes und die reine Luft auch mitgewirkt haben konnten. Da ich nun genauer auf dieses gelegentliche Vogelzwitschern achtete, fand ich wirklich, daß Töne sehr einsamer und immer in tiefen Wäldern wohnender Vögel vorkamen. Es nahm sich dies wunderlich in einem bewohnten und wohleingerichteten Zimmer aus.

      Da ich aber nun den Grund meiner Empfindung aufgefunden hatte, oder aufgefunden zu haben glaubte, war auch ein großer Teil ihrer Dunkelheit und mithin Annehmlichkeit verschwunden.

      Wie ich nun so fortwährend auf den Vogelgesang merkte, fiel mir sogleich auch etwas anderes ein. Wenn ein Gewitter im Anzuge ist und schwüle Lüfte in dem Himmelsraume stocken, schweigen gewöhnlich die Waldvögel. Ich erinnerte mich, daß ich in solchen Augenblicken oft in den schönsten, dichtesten, entlegensten Wäldern nicht den geringsten Laut gehört habe, etwa ein einmaliges oder zweimaliges Hämmern des Spechtes ausgenommen oder den kurzen Schrei jenes Geiers, den die Landleute Gießvogel nennen. Aber selbst er schweigt, wenn das Gewitter in unmittelbarer Annäherung ist. Nur bei den Menschen wohnende Vögel, die das Gewitter fürchten wie er, oder solche, die im weiten Freien hausen und vielleicht dessen majestätische Annäherung bewundern, zeigen sein Bevorstehen an. So habe ich Schwalben vor den dicken Wolken eines heraufsteigenden Gewitters mit ihrem weißen Bauchgefieder kreuzen gesehen und selbst schreien gehört, und so habe ich Lerchen singend gegen die dunkeln Gewitterwolken aufsteigen gesehen. Das Singen der Waldvögel erschien mir nun als ein schlimmes Zeichen für meine Voraussagung eines Gewitters. Auch fiel mir auf, daß sich noch immer keine Merkmale des Ausbruches zeigten, welchen ich nicht für so ferne gehalten hatte, als ich die Landstraße verließ. Die Sonne schien noch immer auf das Haus, und ihre glänzenden Lichttafeln lagen noch immer auf dem schönen Fußboden des Zimmers.

      Mein Beherberger schien es darauf angelegt zu haben, mich lange allein zu lassen, wahrscheinlich um mir Raum zur Ruhe und Bequemlichkeit zu geben; denn er kam nicht so bald zurück, als ich nach seiner Äußerung erwartet hatte.

      Als ich eine geraume Weile gesessen war und das Sitzen anfing, mir nicht mehr jene Annehmlichkeit zu gewähren wie anfangs, stand ich auf und ging auf den Fußspitzen, um den Boden zu schonen, zu dem Büchergestelle, um die Bücher anzusehen. Es waren aber bloß beinahe lauter Dichter. Ich fand Bände von Herder, Lessing, Goethe, Schiller, Übersetzungen Shakespeares von Schlegel und Tieck, einen griechischen Odysseus, dann aber auch etwas aus Ritters Erdbeschreibung, aus Johannes Müllers Geschichte der Menschheit und aus Alexander und Wilhelm Humboldt. Ich tat die Dichter beiseite und nahm Alexander Humboldts Reise in die Äquinoktialländer, die ich zwar schon kannte, in der ich aber immer gerne las. Ich begab mich mit meinem Buche wieder zu meinem Sitze zurück.

      Als ich nicht gar kurze Zeit gelesen hatte, trat mein Beherberger herein.

      Ich hatte, weil er so lange abwesend war, gedacht, er werde sich etwa auch umgekleidet haben, weil er doch nun einmal einen Gast habe und weil sein Anzug so gar unbedeutend war. Aber er kam in den nämlichen Kleidern zurück, in welchen er vor mir an dem Gittertore gestanden war.

      Er entschuldigte sein Außenbleiben nicht, sondern sagte, ich möchte, wenn ich ausgeruht hätte und es mir genehm wäre zu speisen, ihm in das Speisezimmer folgen, es würde dort für mich aufgetragen werden.

      Ich sagte, ausgeruht hätte ich schon; aber ich sei nur gekommen, um um Unterstand zu bitten, nicht aber auch in anderer Weise, besonders in Hinsicht von Speise und Trank, lästig zu fallen.

      „Ihr fallt nicht lästig“, antwortete der Mann, „Ihr müßt etwas zu essen bekommen, besonders da Ihr so lange dableiben müßt, bis sich die Sache wegen des Gewitters entschieden hat. Da schon Mittag vorüber ist, wir aber genau mit der Mittagstunde des Tages zu Mittag essen und von da bis zu dem Abendessen nichts mehr aufgetragen wird, so muß für Euch, wenn Ihr nicht bis abends warten sollet, besonders aufgetragen werden. Solltet Ihr aber schon zu Mittag gegessen haben und bis abends warten wollen, so fordert es doch die Ehre