Adalbert Stifter

Der Nachsommer


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Ihr auf dem Wege nach Rohrberg fortgegangen wäret, statt zu unserem Hause heraufzusteigen, so würdet Ihr nach einer halben Stunde Wanderns zu Eurer Rechten dicht an der Straße die Ecke eines Buchenwaldes gefunden haben, um welche die Straße herumgeht. Diese Ecke erhebt sich rasch, erweitert sich nach rückwärts, wohin man von der Straße nicht sehen kann, und gehört einem Walde an, der weit in das Land hineingeht. Man kann von hier aus ein großes Stück sehen. Dort links von dem Felde, auf welchem die junge Gerste steht.“

      „Ich kenne den Wald recht gut“, sagte ich, „er schlingt sich um eine Höhe und berührt die Straße nur mit einem Stücke; aber wenn man ihn betritt, lernt man seine Größe kennen. Es ist der Alizwald. Er hat mächtige Buchen und Ahorne, die sich unter die Tannen mischen. Die Aliz geht von ihm in die Agger. An der Aliz stehen beiderseits hohe Felsen mit seltenen Kräutern, und von ihnen geht gegen Mittag ein Streifen Landes mit den allerstärksten Buchen talwärts.“

      „Ihr kennt den Wald“, sagte er.

      „Ja“, erwiderte ich, „ich bin schon in ihm gewesen. Ich habe dort die größte Doppelbuche gezeichnet, die ich je gesehen, ich habe Pflanzen und Steine gesammelt und die Felsenlagen betrachtet.“

      „Jener Waldstreifen, der mit den starken Buchen bestanden ist, und noch mehreres Land jenes Waldes gehört zu diesem Anwesen“, sagte mein Beherberger. „Es ist weiter von da gegen Mittag auch ein Berghügel unser, auf dem stellenweise die Birke sehr verkrüppelt vorkommt, welche zum Brennen wenig taugt, aber Holz zu feinen Arbeiten gibt.“

      „Ich kenne den Bühel auch“, sagte ich, „dort geht der Granit zu Ende, aus dem der ganze mitternächtliche Teil unseres Landes besteht, und es beginnt gegen Mittag zu nach und nach der Kalk, der endlich in den höchsten Gebirgen die Landesgrenze an der Mittagseite macht.“

      „Ja, der Bühel ist der südlichste Granitblock“, sagte mein Begleiter, „er übersetzt sogar die Wässer. Wir können hier trotz des Duftes der Wolken hie und da die Grenze sehen, in der sich der Granit abschneidet.“

      „Dort ist die Klamspitze“, sagte er, „die noch Granit hat, rechts der Gaisbühl, dann die Asser, der Losen und zuletzt die Grumhaut, die noch zu sehen ist.“

      Ich stimmte in allem bei.

      Der Abend kam indessen immer näher und näher, und der Nachmittag war bedeutend vorgerückt.

      Das Gewitter an dem Himmel war mir aber endlich besonders merkwürdig geworden.

      Ich hatte den Ausbruch desselben, als ich den Hügel zu dem weißen Hause emporstieg, um eine Unterkunft zu suchen, in kurzer Zeit erwartet; und nun waren Stunden vergangen, und es war noch immer nicht ausgebrochen. Über den ganzen Himmel stand es unbeweglich. Die Wolkendecke war an manchen Stellen fast finster geworden, und Blitze zuckten aus diesen Stellen bald höher, bald tiefer hervor. Der Donner folgte in ruhigem, schwerem Rollen auf diese Blitze; aber in der Wolkendecke zeigte sich kein Zusammensammeln zu einem einzigen Gewitterballen, und es war kein Anschicken zu einem Regen.

      Ich sagte endlich zu meinem Nachbar, indem ich auf die Männer zeigte, welche weiter unten in der Niederung, in welcher die Wirtschaftsgebäude lagen, Gras machten: „Die scheinen auch auf kein Gewitter und auf kein gewöhnliches Nachregnen für den morgigen Tag zu rechnen, weil sie jetzt Gras mähen, das ihnen in der Nacht ein tüchtiger Regen durchnässen, oder morgen eine kräftige Sonne zu Heu trocknen kann.“

      „Diese wissen gar nichts von dem Wetter“, sagte mein Begleiter, „und sie mähen das Gras nur, weil ich es so angeordnet habe.“

      Das waren die einzigen Worte, die er über das Wetter gesprochen hatte. Ich veranlaßte ihn auch nicht zu mehreren.

      Wir gingen von diesem Feldersitze, auf dem wir nun schon eine Weile gesessen waren, nicht mehr weiter von dem Hause weg, sondern nachdem wir uns erhober hatten, schlug mein Begleiter wieder den Rückweg ein.

      Wir gingen auf demselben Wege zurück, auf dem wir gekommen waren.

      Die Donner erschallten nun sogar lauter und verkündeten sich bald an dieser Stelle des Himmels, bald an jener.

      Als wir wieder in den Garten eingetreten waren, als mein Begleiter das Pförtchen hinter sich geschlossen hatte, und als wir von dem großen Kirschbaume bereits abwärts gingen, sagte er zu mir: „Erlaubt, daß ich nach dem Knaben rufe und ihm etwas befehle.“

      Ich stimmte sogleich zu, und er rief gegen eine Stelle des Gebüsches: „Gustav!“

      Der Knabe, den ich im Heraufgehen gesehen hatte, kam fast an der nämlichen Stelle des Gartens zum Vorscheine, an welcher er früher herausgetreten war. Da er jetzt länger vor uns stehen blieb, konnte ich ihn genauer betrachten. Sein Angesicht erschien mir sehr rosig und schön, und besonders einnehmend zeigten sich die großen schwarzen Augen unter den braunen Locken, die ich schon früher beobachtet hatte.

      „Gustav“, sagte mein Begleiter, „wenn du noch an deinem Tische oder sonst irgendwo in dem Garten bleiben willst, so erinnere dich an das, was ich dir über Gewitter gesagt habe. Da die Wolken über den ganzen Himmel stehen, so weiß man nicht, wann überhaupt ein Blitz auf die Erde niederfährt und an welcher Stelle er sie treffen wird. Darum verweile unter keinem höheren Baume. Sonst kannst du hierbleiben, wie du willst. Dieser Herr bleibt heute bei uns, und du wirst zur Abendspeisestunde in dem Speisezimmer eintreffen.“

      „Ja“, sagte der Knabe, verneigte sich und ging wieder auf einem Sandwege in die Gesträuche des Gartens zurück.

      „Dieser Knabe ist mein Pflegesohn“, sagte mein Begleiter, „er ist gewohnt, zu dieser Tageszeit einen Spaziergang mit mir zu machen, darum kam er, da wir bei dem Kirschbaume saßen, von seinem Arbeitstische, den er im Garten hat, zu uns empor, um mich zu suchen; allein da er sah, daß ein Fremder da sei, ging er wieder an seine Stelle zurück.“

      Mir, der ich mich an den einfachen, folgerichtigen Ausdruck gewöhnt hatte, fiel es jetzt abermals auf, daß mein Begleiter, der, wenn er von seinen Feldern redete, fast immer den Ausdruck unser gebraucht hatte, nun, da er von seinem Pflegesohne sprach, den Ausdruck mein wählte, da er doch, wenn er etwa seine Gattin einbezog, jetzt auch das Wort unser gebrauchen sollte.

      Als wir von dem Rasengrunde hinabgekommen waren und den bepflanzten Garten betreten hatten, gingen wir in ihm auf einem anderen Wege zurück, als auf dem wir heraufgegangen waren.

      Auf diesem Wege sah ich nun, daß der Besitzer des Gartens auch Weinreben in demselben zog, obwohl das Land der Pflege dieses Gewächses nicht ganz günstig ist. Es waren eigene dunkle Mauern aufgeführt, an denen die Reben mittelst Holzgittern emporgeleitet wurden. Durch andere Mauern wurden die Winde abgehalten. Gegen Mittag allein waren die Stellen offen. So sammelte er die Hitze und gewährte Schutz. Auch Pfirsiche zog er auf dieselbe Weise, und aus den Blättern derselben schloß ich auf sehr edle Gattungen.

      Wir gingen hier an großen Linden vorüber, und in ihrer Nähe erblickte ich ein Bienenhaus.

      Von dem Gewächshause sah ich auf dem Rückwege wohl die Längenseite, konnte aber nichts Näheres erkennen, weil mein Begleiter den Weg zu ihm nicht einschlug. Ich wollte ihn auch nicht eigens darum ersuchen: ich vermutete, daß er mich zu seiner Familie führen würde.

      Da wir an dem Hause angekommen waren, geleitete er mich bei dem gemeinschaftlichen Eingange desselben hinein, führte mich über eine gewöhnliche Sandsteintreppe in das erste Stockwerk und ging dort mit mir einen Gang entlang, in dem viele Türen waren. Eine derselben öffnete er mit einem Schlüssel, den er schon in seiner Tasche in Bereitschaft hatte, und sagte: „Das ist Euer Zimmer, solange Ihr in diesem Hause bleibt. Ihr könnt jetzt in dasselbe eintreten oder es verlassen, wie es Euch gefällt. Nur müsset Ihr um acht Uhr wieder da sein, zu welcher Stunde Ihr zum Abendessen werdet geholt werden. Ich muß Euch nun allein lassen. In dem Wartezimmer habt Ihr heute in Humboldts Reisen gelesen, ich habe das Buch in dieses Zimmer legen lassen. Wünschet Ihr für jetzt oder für den Abend noch irgendein Buch so nennt es, daß ich sehe, ob es in meiner Büchersammlung enthalten ist.“

      Ich lehnte das Anerbieten ab und sagte, daß ich mit dem Vorhandenen schon zufrieden sei, und wenn ich mich außer Humboldt mit noch andern