waren mittlerweile bis an das Ende der Pflanzungen gelangt, und es begann Rasengrund, der steiler anstieg, anfangs mit Bäumen besetzt war, weiter oben aber kahl fortlief.
Wir stiegen auf ihm empor.
Da wir auf eine ziemliche Höhe gelangt waren und Bäume die Aussicht nicht mehr hinderten, blieb ich ein wenig stehen, um den Himmel zu betrachten. Mein Begleiter hielt ebenfalls an. Das Gewitter stand nicht mehr gegen Sonnenuntergang allein, sondern jetzt überall. Wir hörten auch entfernten Donner, der sich öfter wiederholte. Wir hörten ihn bald gegen Sonnenuntergang, bald gegen Mittag, bald an Orten, die wir nicht angeben konnten. Mein Mann mußte seiner Sache sehr sicher sein; denn ich sah, daß in dem Garten Arbeiter sehr eifrig an den mehreren Ziehbrunnen zogen, um das Wasser in die durch den Garten laufenden Rinnen zu leiten und aus diesen in die Wasserbehälter. Ich sah auch bereits Arbeiter gehen, ihre Gießkannen in den Wasserbehältern füllen und ihren Inhalt auf die Pflanzenbeete ausstreuen. Ich war sehr begierig auf den Verlauf der Dinge, sagte aber gar nichts, und mein Begleiter schwieg auch.
Wir gingen nach kurzem Stillstande auf dem Rasengrunde weiter aufwärts und zuletzt ziemlich steil.
Endlich hatten wir die höchste Stelle erreicht und mit ihr auch das Ende des Gartens. Jenseits senkte sich der Boden wieder sanft abwärts. Auf diesem Platze stand ein sehr großer Kirschbaum, der größte Baum des Gartens, vielleicht der größte Obstbaum der Gegend. Um den Stamm des Baumes lief eine Holzbank, die vier Tischchen nach den vier Weltgegenden vor sich hatte, daß man hier ausruhen, die Gegend besehen oder lesen und schreiben konnte. Man sah an dieser Stelle fast nach allen Richtungen des Himmels. Ich erinnerte mich nun ganz genau, daß ich diesen Baum wohl früher bei meinen Wanderungen von der Straße oder von anderen Stellen aus gesehen hatte. Er war wie ein dunkler, ausgezeichneter Punkt erschienen, der die höchste Stelle der Gegend krönte. Man mußte an heiteren Tagen von hier aus die ganze Gebirgskette im Süden sehen, jetzt aber war nichts davon zu erblicken, denn alles floß in eine einzige Gewittermasse zusammen. Gegen Mitternacht erschien ein freundlicher Höhenzug, hinter welchem nach meiner Schätzung das Städtchen Landegg liegen mußte.
Wir setzten uns ein wenig auf das Bänklein. Es schien, daß man an diesem Plätzchen niemals vorübergehen konnte, ohne sich zu setzen und eine kleine Umschau zu halten; denn das Gras war um den Baum herum abgetreten, daß der kahle Boden hervorsah, wie wenn ein Weg um den Baum ginge. Man mußte sich daher gerne an diesem Platze versammeln.
Als wir kaum ein Weilchen ausgeruht hatten, sah ich eine Gestalt aus den nicht sehr entfernten Büschen und Bäumen hervortreten und gegen uns emporgehen. Da sie etwas näher gekommen war, erkannte ich, daß es ein Gemische von Knabe und Jüngling war. Zuweilen hätte man meinen können, der Ankommende sei ganz ein Jüngling, und zuweilen, er sei ein Knabe. Er trug ein blau- und weißgestreiftes Leinenzeug als Bekleidung, um den Hals hatte er nichts, und auf dem Haupte auch nichts als eine dichte Menge brauner Locken.
Da er herzugekommen war, sagte er: „Ich sehe, daß du mit einem fremden Manne beschäftigt bist, ich werde dich also nicht stören und wieder in den Garten hinabgehen.“
„Tue das“, sagte mein Begleiter.
Der Knabe machte eine schnelle und leichte Verbeugung gegen mich, wendete sich um und ging in derselben Richtung wieder zurück, in der er gekommen war.
Wir blieben noch sitzen.
Am Himmel änderte sich indessen wenig. Dieselbe Wolkendecke stand da, und wir hörten denselben Donner. Nur da die Decke dunkler geworden zu sein schien, so wurde jetzt zuweilen auch ein Blitz sichtbar.
Nach einer Zeit sagte mein Begleiter: „Eure Reise hat wohl nicht einen Zweck, der durch den Aufenthalt von einigen Stunden oder von einem Tage oder von einigen Tagen gestört würde.“
„Es ist so, wie Ihr gesagt habt“, antwortete ich, „mein Zweck ist, soweit meine Kräfte reichen, wissenschaftliche Bestrebungen zu verfolgen, und nebenbei, was ich auch nicht für unwichtig halte, das Leben in der freien Natur zu genießen.“
„Dieses Letzte ist in der Tat auch nicht unwichtig“, versetzte mein Nachbar, „und da Ihr Euren Reisezweck bezeichnet habt, so werdet Ihr gewiß einwilligen, wenn ich Euch einlade, heute nicht mehr weiterzüreisen, sondern die Nacht in meinem Hause zuzubringen. Wünschet Ihr dann am morgigen Tage und an mehreren darauffolgenden noch bei mir zu verweilen, so steht es nur bei Euch, so zu tun.“
„Ich wollte, wenn das Gewitter auch lange angedauert hätte, doch heute noch nach Rohrberg gehen“, sagte ich. „Da Ihr aber auf eine so freundliche Weise gegen einen unbekannten Reisenden verfahrt, so sage ich gerne zu, die heutige Nacht in Eurem Hause zuzubringen, und bin Euch dafür dankbar. Was morgen sein wird, darüber kann ich noch nicht entscheiden, weil das Morgen noch nicht da ist.“
„So haben wir also für die kommende Nacht abgeschlossen, wie ich gleich gedacht habe“, sagte mein Begleiter. „Ihr werdet wohl bemerkt haben, daß Euer Ränzlein und Euer Wanderstock nicht mehr in dem Speisezimmer waren, als Ihr zum Essen dahin kamet.“
„Ich habe es wirklich bemerkt“, antwortete ich.
„Ich habe beides in Euer Zimmer bringen lassen“, sagte er, „weil ich schon vermutete, daß Ihr diese Nacht in unserm Hause zubringen würdet.“
Die Beherbergung
Nach einer Weile sagte mein Gastfreund: „Da Ihr nun meine Nachtherberge angenommen habt, so könnten wir von diesem Baume auch ein wenig in das Freie gehen, daß Ihr die Gegend besser kennen lernet. Wenn das Gewitter zum Ausbrache kommen sollte, so kennen wir wohl beide die Anzeichen genug, daß wir rechtzeitig umkehren, um ungefährdet das Haus zu erreichen.“
„So kann es geschehen“, sagte ich, und wir standen von dem Bänkchen auf.
Einige Schritte hinter dem Kirschbaume war der Garten durch eine starke Planke von der Umgebung getrennt. Als wir zu dieser Planke gekommen waren, zog mein Begleiter einen Schlüssel aus der Tasche, öffnete ein Pförtchen, wir traten hinaus, und er schloß hinter uns das Pförtchen wieder zu.
Hinter dem Garten fingen Felder an, auf denen die verschiedensten Getreide standen. Die Getreide, welche sonst wohl bei dem geringsten Luftzuge zu wanken beginnen mochten, standen ganz stille und pfeilgerecht empor, das feine Haar der Ähren, über welches unsere Augen streiften, war gleichsam in einem unbeweglichen goldgrünen Schimmer.
Zwischen dem Getreide lief ein Fußpfad durch. Derselbe war breit und ziemlich ausgetreten. Er ging den Hügel entlang, nicht steigend und nicht sinkend, so daß er immer auf dem höchsten Teile der Anhöhe blieb. Auf diesem Pfade gingen wir dahin.
Zu beiden Seiten des Weges stand glühroter Mohn in dem Getreide, und auch er regte die leichten Blätter nicht.
Es war überall ein Zirpen der Grillen; aber dieses war gleichsam eine andere Stille und erhöhte die Erwartung, die allerorten war. Durch die über den ganzen Himmel liegende Wolkendecke ging zuweilen ein tiefes Donnern, und ein blasser Blitz lüftete zeitweilig ihr Dunkel.
Mein Begleiter ging ruhig neben mir und strich manchmal sachte mit der Hand an den grünen Ähren des Getreides hin. Er hatte sein Netz von den weißen Haaren abgenommen, hatte es in die Tasche gesteckt und trug sein Haupt unbedeckt in der milden Luft.
Unser Weg führte uns zu einer Stelle, auf welcher kein Getreide stand. Es war ein ziemlich großer Platz, der nur mit sehr kurzem Grase bedeckt war. Auf diesem Platze befand sich wieder eine hölzerne Bank und eine mittelgroße Esche.
„Ich habe diesen Fleck freigelassen, wie ich ihn von meinen Vorfahren überkommen hatte“, sagte mein Begleiter, „obwohl er, wenn man ihn urbar machte und den Baum ausgrübe, in einer Reihe von Jahren eine nicht unbedeutende Menge von Getreide gäbe. Die Arbeiter halten hier ihre Mittagsruhe und verzehren hier ihr Mittagsmahl, wenn es ihnen auf das Feld nachgebracht wird. Ich habe die Bank machen lassen, weil ich auch gerne dasitze, wäre es auch nur, um den Schnittern zuzuschauen und die Feierlichkeit der Feldarbeiten zu betrachten. Alte Gewohnheiten haben etwas Beruhigendes, sei es auch nur das des Bestehenden und immer Gesehenen. Hier dürfte es aber mehr sein, weshalb die Stelle