Paul Oskar Höcker

Don Juans Frau


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Fernsprecher bat Kordula die Sekretärin, ihr doch möglichst rasch die neuen Medaillons für die Ehrenhalle zuzuschicken, die ihr Mann hatte mitbringen wollen. „Ich möchte sie Herrn Kern zeigen, dem Bruder des Professors.“

      Fräulein Fritzi war sofort bereit, in den kleinen Selbstfahrer zu steigen und mit dem Päckchen zu ihr zu kommen.

      „Dann trinken Sie aber hier bei mir eine Taffe Tee mit, Fräulein Röggeler! Wir sitzen auf dem Balkon. Es ist wie in einer Sommerfrische.“

      Als Fräulein Röggeler gemeldet wurde, machte Hans Kern, der Flottere, Jüngere und Hübschere der beiden Brüder, ein sehr verdutztes Gesicht. Plötzlich hatte er es sehr eilig. Er sah sich zwar noch höflicherweise die beiden kleinen Arbeiten aus Haddendahls Werkstatt an, doch, wieder Platz zu nehmen, sei ihm leider ganz unmöglich; man erwarte ihn zu einer dringlichen Besprechung, entschuldigte er sich.

      Artur Kern lachte über seinen immer geschäftigen Bruder Hans. Er selbst schien das Gegenteil von ihm. Jetzt lockte es ihn gerade, der Hausfrau seine lang versprochene Fantasie vorzuspielen. Für seine Begleiterin war dies zugleich eine gute pianistische Übung.

      So blieben die beiden Damen allein am Teetisch auf dem Balkon. Im Garten herrschte tiefe Stille. Zunächst wollte Kern einige rhythmisch besonders schwierige Stellen mit seiner Begleiterin allein durchnehmen. Die Balkontür zum Musiksaal wurde also geschlossen.

      „Ich bin wohl schuld daran, gnädige Frau, dass Herr Kern so eilig aufbrechen musste“, sagte Fritzi nach einer kleinen Verlegenheitspause. „Er weicht mir schon seit Wochen aus. Hätte er gewusst, dass er mir hier begegnen würde, dann hätte er wohl überhaupt nicht hergefunden.“

      „Was liegt zwischen Ihnen?“ fragte Kordula zögernd. „Ich hatte keine Ahnung davon, dass Sie einander kennen.“

      „Jetzt muss ich wohl ganz offen darüber reden“, bekannte Fritzi. „Ich glaubte, Hans liebe mich ebenso wie ich ihn. Wir waren im Sommer in einem Seebad auf Rügen viel zusammen, als ich meinen Urlaub hatte. Es war die schönste Zeit meines Lebens. Verwandte und Bekannte, die uns dort sahen, meinten, wir seien wirklich füreinander geschaffen. Als ich nach Berlin zurückmusste, fuhr er mit ein paar Sportfreunden nach Schweden. Wochenlang liess er nichts von sich hören. Dann schrieb ich ihm. Er antwortete nicht. Am Telephon rief ich ihn vergeblich an. Endlich traf ich ihn. Sie werden ebenso zornig sein, wie ich es war, wenn Sie hören, weshalb alles zwischen uns aus sein müsse. Er habe in Erfahrung gebracht, sagte er, wie ich mit Herrn Haddendahl stünde ... Ich weiss nicht, was ich ihm zuerst darauf erwidert habe. Es war eine böse Stunde. Ich verehre Ihren Herrn Gemahl, gnädige Frau. Selbstverständlich. Er ist der prächtigste Chef, den man sich nur wünschen kann. Wenn man ihn richtig versteht. Aber er kann auch unausstehlich sein. Verzeihen Sie!“

      Das Violinspiel riss immer wieder ab. Dann hörte man kurzen Wortwechsel, auch Lachen.

      Kordula sass still da und blickte versonnen über ihren Teegast hinweg ins Grüne.

      Nach einer kurzen Pause fuhr Fritzi fort: „Schlechte Laune ist bei ihm etwas Schmerzlicheres als bei anderen Menschen. Er kämpft doch immer selber mit sich. Das ist eben der Künstler in ihm. Wenn ich in die Werkstatt zu ihm hinübergerufen werde, zur Diktataufnahme, dann handelt sich’s nicht, wie nebenan im Geschäft, um nüchterne Korrespondenzen, sondern um Briefe, in denen er sich über sein eigentliches Schaffen aussprechen muss. Er verteidigt sich, er klagt an; oft auch versucht er, Blinden die Augen zu öffnen. Manchmal bricht er schroff ab, ohne den Satz zu beenden. Ich muss das Blatt vom Block abreissen, und er zerfetzt es. Dann weiss ich, es wäre unangebracht, ihn etwas zu fragen. Ich warte also still. Er raucht, läuft hin und her, wirft endlich die Zigarette in den Aschenbecher, nimmt die nassen Tücher von seinem Tonkloss und beginnt zu arbeiten. Oft summt oder pfeift er. Da schleich’ ich mich dann hinaus. Und drüben wundern sie sich, wenn ich keine Briefe für die Abendpost mitbringe. So mag manch dummer Klatsch entstanden sein. Aber, dass Hans Kern ihm erliegen werde, das hätt’ ich nie und nimmer gedacht.“

      Kordula hatte das schöne blonde Ding, das wirklich eine aussergewöhnliche Anziehungskraft besass, ohne Unterbrechung zu Ende sprechen lassen. Fritzis Stimme war erregt, blieb aber ganz leise. Die Haut ihres Halses und ihrer Wangen hatte sich gerötet. Und in ihren Augen begann es zu zucken.

      „Weiss mein Mann um das alles?“ fragte Kordula endlich.

      „Gewiss. Hans hat ihm von Schweden aus einen hässlichen Brief geschickt. Herr Haddendahl hat den Brief kreuzweis zerrissen und hat mit Blaustift obendrauf geschrieben: ‚Unsinn! Quatsch! Eselei!‘ Und hat ihm so die Fetzen zurückgeschickt ... Vor vierzehn Tagen haben sie einander in der Reichskammer gesehen; da mussten sie über Berufsdinge miteinander verhandeln. Das verlief ganz ruhig, wie vorher immer. Dabei ist auch die Idee mit den Medaillons für die neue Ehrenhalle besprochen worden ... Vielleicht wär’s heute endlich zu einer ehrlichen Aussprache gekommen. Schade!“

      „Mein Mann wird Ihnen doch sicher helfen — falls er das mit gutem Gewissen kann ...“

      Fritzi hob das Kinn. Ein bisschen herausfordernd. „Das kann er mit gutem Gewissen, gnädige Frau! Als Künstler verehre ich ihn sehr. Aber für Abenteuer bin ich mir viel zu gut. Freilich wäre ich auch niemals seine Frau geworden, wenn er mich etwa hätte heiraten wollen. Ja, das muss ich jetzt wohl offen aussprechen, gnädige Frau. Bitte, seien Sie mir nicht böse!“

      „Ich nehme Ihnen Ihre Offenheit durchaus nicht übel, Fräulein Röggeler. Von Wert wäre mir’s allerdings, Sie erklärten mir den Grund dieser Abwehr. Ich verspreche Ihnen: Mein Mann erfährt kein Wort davon.“

      „Auch wenn er jedes Wort hörte, das ich jetzt sage, gnädige Frau, würde er ja nur lachen — so lachen, wie eben nur er lachen kann. Er nimmt doch nichts und niemand ernst. Nur seine Arbeit. Und überflüssig neben ihm zu stehen, auch als seine Frau gar keinen Anteil an dem zu haben, was ihn innerlich bewegt — nein, das hielte ich nicht aus! Ich nicht!“

      Die beiden mussten ihr Gespräch abbrechen. Der Professor kam, Geige und Bogen in der Hand, zur Tür und öffnete sie. „Aber das Stück dauert volle dreizehn Minuten, meine Damen! Sie sind also gewarnt.“

      „Wir hören, lieber Professor ... Bitte, bleiben Sie doch noch, Fräulein Röggeler!“ sagte Kordula, als Fritzi den Versuch machte, sich zu erheben. „Nachher hab’ ich noch ein paar Fragen, die Sie mir gewiss ebenso freimütig beantworten werden.“

      Fritzi nahm also noch eine Tasse Tee an. Aber das silberne Löffelchen und die Porzellanschale klingelten in ihren Händen, weil die ein wenig zitterten.

      Nun herrschte Schweigen. Die Geige und der Flügel sprachen. Das Stück begann trotzig, herausfordernd, wie im Streit zwischen den beiden Themen. Als nach dem grüblerischen, fast quälerischen Mittelteil das breit angelegte Finale von Moll zu Dur führte, in einem herrlichen Aufbau, der die Urform des Hauptthemas ins Triumphale wandelte, riss die Leidenschaftlichkeit der Komposition wie ihres Vortrags die beiden Hörerinnen mit fort.

      Auch auf Fritzi, die kein Instrument spielte, übte das Werk einen starken Eindruck aus.

      Kordula hatte zuerst einige Mühe gehabt, der Musik zu folgen. Das eigene Erleben bedrückte ihr Gemüt zu sehr. Doch als musikalischen Menschen erfasste sie dann doch im mächtig aufstrebenden Finale der Sieg des Hellen und Strahlenden ... Sie ging den beiden Künstlern, die vom Flügel kamen, mit ausgestreckten Händen entgegen und dankte ihnen wortlos.

      „Jetzt muss ich aber eine Zigarette haben!“ sagte der Professor. Er hielt der Pianistin und der zweiten Hörerin die Kristalldose hin, schliesslich der Hausfrau.

      Sie rauchten nun alle vier. Eine Weile wurde nur über Musik gesprochen.

      Artur Kern richtete das Wort hauptsächlich an Fräulein Röggeler. Auch während des Spiels hatte sein Blick durch die Glastür immer wieder ihren schönen Kopf mit dem blonden Haar, vor allem ihre reizvolle Gestalt erfasst. Er brauchte stets solch eine Anregung beim Vortrag; fehlte sie, dann spielte er lieber mit geschlossenen Augen.

      Er hatte wohl keine Ahnung davon, dass zwischen der Sekretärin und seinem Bruder Hans irgendwelche Beziehungen bestanden, wunderte sich nur darüber,