Nataly von Eschstruth

Der Majoratsherr. Band II.


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durchgeschüttelt, dass ich vorziehe, ein Stückchen Wegs zu gehen!“ —

      „Wie Sie befehlen!“ Nun vorwärts, — kehrt!“

      Wohl liessen sich die Esel zwei Schritte zurückführen, dann machten sie jedoch energisch Halt und strebten ihrer Heimat Rüdesheim zu.

      „Die Kanaillen thun’s nicht, — und wenn wir sie tot schlagen! So ein Vieh hat auch Charakter!“ schmunzelte der Junge.

      „Ich fürchte allerdings auch, meine Gnädigste, dass gegen diese Halsstarrigkeit selbst Götter vergebens kämpfen! Ich erlaube mir aber vorzuschlagen, dass wir ganz langsam unseren Weg fortsetzen und der Hoffnung leben, dass Ihre verehrten Reisegenossen etwas flotter zureiten und uns einholen!“

      Pia sah ein, dass ihr nichts anderes zu thun übrig blieb. „Wenn Sie gestatten, mein Herr, dass ich mich unter ihren liebenswürdigen Schutz stelle, mache ich gern von Ihrem Anerbieten Gebrauch!“ — sagte sie, sich gewaltsam zu der sicheren Ruhe zwingend, welche sonst ihrem Wesen eigen war. —

      Der Fremde verneigte sich mit vollendeter Eleganz. Einen Augenblick schien er zu zögern, — dann zog er mit schneller Bewegung abermals den Hut und klappte die Hacken zusammen.

      „Forstassessor Karl Hellmut —!“ stellte er sich vor. Fräulein von Nördlingen neigte lächelnd wie eine Königin, welche eine Ovation entgegennimmt, das Köpfchen, aber sie errötete abermals bis auf den weissen Hals herab, als sie in seine fragenden Augen sah.

      Erwartete er auch ihren Namen zu hören? Der Hals war ihr wie zugeschnürt, — Lilian Luxor — wollte nicht über ihre Lippen. Der Assessor trat an ihre Seite und beide schritten langsam aus.

      „Ein Eselsritt gehört meiner Ansicht nach nie zu den Annehmlichkeiten —“ begann er die Unterhaltung, „und ein Galopp auf solchem Renner muss geradezu fürchterlich sein! Ich bedauere lebhaft, dass ich Ihnen keinen Wagen zur Verfügung stellen kann! Sie sind gewiss aufs höchste ermüdet!“ —

      „Das schliessen Sie nach meinem desolaten Äusseren?“ lächelte sie, hastig nach ihren Haaren fassend, mit dem Versuch, sie wieder aufzunesteln; sie hatte gesehen, wie sein Blick, während er zu ihr sprach, wie gebannt an der gelösten, goldschimmernden Pracht hing. „Ich kann mich in dieser Verfassung gar nicht in anständiger Gesellschaft sehen lassen, und doch weiss ich nicht, wie ich dem Schaden abhelfen soll, da ich zu meinem Schrecken sehe, dass ich sämtliche Nadeln verloren habe!“

      Ihr Begleiter nickte mechanisch vor sich hin.

      „Wie freundlich von dem Schicksal, dass es Ihnen diese kleinen Verbündeten raubte! Wie schön ist dieses lange, offene Frauenhaar, und wie selten wird uns die Freude seines Anblicks! Ich versichere Ihnen, dass Ihre Frisur für jedermann nur erquicklich sein kann!“ — Er sprach sehr ruhig, ohne im mindesten zu markieren, dass er ihr eine Eloge sagen wollte. Dann fuhr er unvermittelt fort: „Sie stehen gleich mir im Begriff, eine Rheinreise zu machen?“

      „Wir haben dieselbe heute in Castell begonnen!“

      „Und Sie sehen den herrlichsten und königlichsten aller Ströme auch zum erstenmal?“ —

      Sie schüttelte verneinend, ohne ihn anzusehen, den Kopf. „Ich kenne den Rhein zu allen Jahreszeiten, allerdings nur von dem Schiff oder dem Eisenbahncoupé aus; ihn aber gründlich zu Fuss und Esel zu studieren, beabsichtigen wir jetzt zum erstenmale.“

      „Und wann gefiel er ihnen bisher am besten?“ —

      Sie sah mit sinnendem Blick an ihm vorüber, in die maienhelle, jubelnde, farbenbunte Pracht der Landschaft hinaus.

      „Das ist schwer zu sagen, weil alle Schönheit nur Geschmacksache ist! Ich für meine Person werde dem Winter stets den Vorzug geben.“

      „Ah — thatsächlich? Sie überraschen mich. Ich bildete mir ein, gerade das frische Blühen, Leben und Treiben gäbe dem Rhein und seiner Umgebung das charakteristische Gepräge! Ehrlich gestanden, kann ich mir dieses reizende Bild kaum unter starrendem Eis und Schnee vorstellen!“ —

      „Und dennoch hat es mich entzückt. Die wunderbar feierliche Ruhe gestaltet alles, was jetzt nur lieblich erscheint, im Winter geradezu majestätisch. Das, was am Rheinufer einzig hässlich ist, die unbelaubten Rebengelände mit ihren unpoetisch starrenden Spalieren und Stäben, welche den Bergen im Frühling und Spätherbst das Aussehen von Stachelschweinen geben“ — er lachte leise auf — „die hüllen sich im Winter in schimmernde Schneedecken und thun dem Auge nicht mehr weh durch die praktischen Gebilde von Menschenhand! Der Fluss selber wogt in gewaltiger Schöne still und einsam dahin, oder er gleicht einem schimmernden Spiegel von fleckenlosem Krystall — oder bietet gar das unbeschreiblich grossartige Schauspiel eines Eisganges, dieser unvergleichlichen Illustration aller wild entfesselten Leidenschaft; — und darüber thronen wie funkelnde Märchengebilde die Ruinen und Schlösser, — weiss in weiss —, geheimnisvoll, unerreichbar und zauberhaft, die Träume, welche eines Dichters Phantasie in die Wolken malt!“

      Sie hatte schnell und lebhaft gesprochen, sie fühlte, dass sein Blick unverwandt an ihrem Antlitz hing und darum sprach sie immer weiter, um einer gewissen Verlegenheit Herr zu werden. Noch hatte sie ausser dem ersten schnellen Blick keine Gelegenheit gefunden, sein Antlitz genau zu sehen, jetzt blieb er plötzlich stehen und wandte sich, um rheinab zu schauen.

      „Alles Ungewohnte übt einen besonderen Reiz auf den Beschauer“ — sagte er ernst, „und wenn die stille, verschneite Wintereinsamkeit Sie entzückt, so beweist es mir, dass Sie dazu verurteilt sind, Ihr Leben in grossen Städten in rauschender, wechselvoller Geselligkeit zu verbringen. Bei mir ist es umgekehrt der Fall, ich komme aus dem Gebirge, wo monatelang die Krähen am Himmel meine einzige Gesellschaft waren. Ich habe gelitten unter der trostlosen Stille und Verlassenheit, unter den Gefängnismauern von Eis und Schnee, welche mich umgaben! Nun mutet mich dieses frisch pulsierende, glückselige Getreibe hier an, wie einen Menschen, welcher neugeboren in die Welt tritt und mit vollen Zügen ihren Lebens- und Liebesodem einatmet!“ —

      Und er atmete auch tief — tief auf, als er sprach, zog den Hut vom Kopf und strich die Haare aus der heissen Stirn. —

      Pia sah ihn an; welch ein interessantes, einnehmendes Gesicht! Vornehm edle Züge, — ernst, ruhig, wettergebräunt wie das Profil einer antiken Broncestatue.

      Ein Zug herber Energie lag um die Lippen, welche von dunklem Schnurrbart beschattet wurden. Das Jagdcivil hob die kraftvoll elastische Gestalt, welche trotz der anspruchslosen Kleidung einen so distinguierten und eleganten Eindruck machte, als sei ihr Träger gewohnt, im Tressenkleid und Ordensband über das Parkett zu schreiten, nicht aber als Einsiedler in weltfernen Bergen zu hausen.

      Mit einem Interesse, welches ihr sonst den Herren gegenüber fremd war, blickte Pia zu ihm auf. „Leben Sie denn ganz allein im Wald?“ — fragte sie, weil ihr keine bessere Antwort einfallen wollte. Er drückte den weichen Filzhut wieder in die Stirn und schritt an ihrer Seite weiter.

      „Ganz allein, — wenn Sie mein Forstpersonal und eine alte Wirtschafterin abrechnen.“

      „Liegt denn keine Stadt in der Nähe, welche Ihnen zeitweise Abwechselung bieten könnte?“ —

      „Das wohl, aber dieselbe ist oft monatelang unerreichbar für mich; wenn wir in den hohen Bergen eingeschueit sind, leben wir unter ähnlichen Verhältnissen, wie einst Robinson auf seiner Insel, ihn trennte das Weltmeer von der Heimat, uns der Schnee und sein Wasser. Solche Zustände können Sie sich gewiss gar nicht vorstellen, mein gnädiges Fräulein, sie leben stets in grossen Städten?“ —

      „Ja, das Landleben ist mir völlig fremd.“

      Eine kleine Pause entstand und sein Blick hing wie in fragender Erwartung an ihren Lippen, wohl in der Hoffnung, dass auch sie ein wenig von daheim erzählen werde.

      Feines Rot stieg abermals in die Wangen des jungen Mädchens. Sie wandte den Kopf und blickte zurück.

      „Wie weit sie immer noch entfernt sind! Sicherlich wollen ihre Esel durch Saumseligkeit wieder gut machen, was der meine an Voreiligkeit sündigte!“ —