Will Berthold

Hölle am Himmel


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einen Unfall ums Leben gekommen war, bevor er präzise Hinweise über die wiedererstandene Dossola-Gang geben konnte, betrachtete Larry als Mord, auch wenn er es nicht beweisen konnte. Der ›Igel‹ war zu unvorsichtig gewesen, und nun bangte der FBI-Spezialist um Peggy, seine letzte Trumpfkarte. Sie war in das drittklassige Hotel umgezogen, in dem Tony Forthman wohnte, aber ihre Situation wurde jeden Tag schwieriger, da sie sich, ohne Verdacht zu erregen, den Nachstellungen des verkrachten Piloten kaum mehr entziehen konnte. Sie hatte Larry die Nachricht zugespielt, daß der Mann tatsächlich beabsichtigte, im Auftrag einer Gangsterbande ein Passagier-Flugzeug zu entführen.

      Aber wann? Und wo?

      Der Anschlag konnte überall und zu jeder Zeit verübt werden. Womöglich war die Bedrohung der Jet-Air nur ein Ablenkungsmanöver, und das Attentat galt einer anderen Linie. In dieser trüben Lage gab es nur einen Lichtblick: Solange sich Forthman noch in New York aufhielt, blieb eine Galgenfrist.

      Bald schon – und doch zu spät – erfuhr Larry, daß er einen verhängnisvollen Trugschluß gezogen hatte. Weil ein fantastischer Gangster-Plan jegliche Vorstellung überforderte.

      Natürlich waren die Kontrollen bei der Abfertigung der Passagiere auf ein Höchstmaß verstärkt worden. Der zeitraubende Aufwand schien sich zu lohnen, denn immerhin hatte die Jet-Air seit Beginn dieser Sondermaßnahmen alle ihre Fluggäste sicher ans Ziel gebracht – und das waren Hunderttausende; täglich ungefähr 40000, die Bevölkerung einer mittleren Stadt.

      Allein diese Zahl zeigte den FBI-Leuten ihre Grenzen. So sehr sie sich auch anstrengten, das Einschmuggeln von Pistolen, Handgranaten oder gar Bomben zu verhindern, diese Blockade blieb praktisch nur Stückwerk, konnte nie lückenlos sein. Die Polizei und die Zollbeamten durften keine Panik unter den Passagieren hervorrufen, keine stundenlangen Verspätungen verschulden. Sie durften nicht alle Passagiere in die kleinen Nebenräume bitten, um sie nackt zu durchsuchen – bei früheren Flugzeugentführungen hatten die Täter Waffen im intimen Bereich versteckt.

      Der Jet-Air-Flug 111 von New York nach Frankfurt war schon vier Tage vor dem Start ausgebucht. 41 weitere Anwärter standen auf der Warteliste. Eigentlich war es das gleiche Bild wie bei allen Abflügen, nur die Bordgesellschaft des Jumbo ›Happy Day‹ war diesmal illustrer. Unter den Passagieren würde sich fast der ganze Vorstand der Fluglinie befinden, der auch zur Aktionärs-Hauptversammlung nach Frankfurt mußte. Der Chefpilot Nobis nutzte diese Gelegenheit, den Riesenvogel selbst zu lenken. Brenda würde ihn begleiten, und sie planten, den Europa-Flug als Hochzeitsreise fortzusetzen.

      Auf der Passagierliste standen weiterhin: hohe kirchliche Würdenträger aller Konfessionen, auf der Rückreise von einem Bibel-Kongreß in New York, ein französischer Modeschöpfer mit vier Top-Mannequins, drei US-Senatoren und bekannte Industrielle aus fast allen europäischen Ländern, die in den Staaten zu Handelsgesprächen zusammengekommen waren.

      Im letzten Moment schaltete sich auch noch das State-Department mit einem sehr heiklen Wunsch ein: Ein bekannter Atomwissenschaftler hatte sich im letzten Moment entschlossen, an einer Nuklear-Tagung in Wien teilzunehmen. Der Mann war eitel und wollte ein wenig gefeiert werden. Da er ein Geheimnisträger ersten Ranges war, bat die US-Regierung ihre Bundespolizei, dem Mann einen unauffälligen Reisebegleiter mitzugeben.

      Unter normalen Umständen hätte sich Larry Merx einem solchen Vorschlag erbittert widersetzt, da die FBI-Tätigkeit grundsätzlich auf amerikanisches Territorium beschränkt ist. Aber in diesem Fall war er erleichtert, daß er seinen Assistenten Mike Blower als bewaffneten Privatmann in den Jumbo schmuggeln konnte.

      Der Start war für 7 Uhr 59 angesetzt, und das bedeutete, daß sich die Passagiere wegen der verschärften Kontrollen mindestens eine Stunde früher auf dem Kennedy-Airport einzufinden hatten. Eine gemischte Gesellschaft: Prominente neben Namenlosen, viele Mütter mit Kindern.

      Die Kleinen boten den Polizeibeamten am wenigsten Probleme. Auch die Senatoren durften die Sperre ohne Kontrolle passieren. Eine weitere Erleichterung stellten auch die Stammgäste der Jet-Air dar, Leute wie zum Beispiel Bob S. Greenhill, ein bekannter Finanzier, der sich ein Haus an der Sutton-Place leisten konnte. Als Abzeichen seiner beruflichen Tüchtigkeit führte er stets ein kleines Diktiergerät bei sich. Die Bedenken gegen ihn waren weniger polizeilicher als gesundheitlicher Art: Man wußte, daß der Mann herzkrank war und Höhenflüge schlecht vertrug. Die meisten Reisenden merkten nicht, daß sie elektronisch nach Waffen abgetastet wurden. Trugen sie Metall am Körper, gab das Spezialgerät Warnsignale. Seit die Luftpiraten dazu übergegangen waren, Plastikwaffen zu verwenden, konnten freilich diese unsichtbaren Argusaugen versagen.

      Der Mann, der jetzt die Sperre passierte, war hager, hatte kleine Hechtaugen und eine fast dolchartige Nase. Automatisch verglichen zwei Polizeibeamte sein Gesicht mit dem Foto des untergetauchten Gangsters Dossola. Keine Ähnlichkeit. Der Passagier zeigte einen brandneuen Diplomatenpaß vor, der ihn als Henry Smith auswies.

      »Gott, ist der häßlich«, raunte ein Beamter seinem Kollegen zu. »Dachte immer, die verwenden bei unseren Botschaften nur so geschliffene Burschen wie Rock Hudson.«

      Um 7 Uhr 45 war der Jumbo ›Happy Day‹ voll besetzt. Die Stewardessen kümmerten sich um die Passagiere und schufen sofort eine behagliche Atmosphäre. Nur Bob S. Greenhill beachtete die hübschen Mädchen nicht. Um seine Nerven zu bekämpfen, zählte er sie. Es waren 13 – die Unglückszahl.

      »Ladys und Gentleman«, sprach eine Stewardeß in das Mikrofon: »Im Namen unseres Flugkapitäns Nobis und seiner Crew darf ich Sie begrüßen und Ihnen einen angenehmen Flug wünschen.«

      Es hörte sich an, als käme die Stimme vom Tonband, aber das hätte sich die Jet-Air so wenig erlaubt, wie Speisen aus der Konservendose, es sei denn, ein Häppchen Kaviar – jährlich insgesamt vier Tonnen.

      Zu dieser frühen Stunde ging es am Himmel bereits lebhaft zu. Der letzte Mittwoch des Monats Mai versprach, ein Rekordtag für den Luftverkehr zu werden. Und in den Zeitungen, die von den flotten Stewardessen des Jumbos ›Happy Day‹ angeboten wurden, konnten die Passagiere lesen, daß dank der strikten Sicherheitsmaßnahmen die Zahl der Flugzeugentführungen zurückgegangen war.

      Die Boeing 747 startete auf die Minute pünktlich um 7 Uhr 59 in New York. Ausgebucht bis auf den letzten Platz. Beladen bis an die Grenze des zulässigen Höchstgewichts. Der Jumbo, Spezialanfertigung für die Jet-Air-Intercontinental, mußte erst viele Tonnen Treibstoff durch die Düsentriebwerke jagen, bevor er auf 12000 Meter Höhe kam. Dann schwenkte er auf die vorgeschriebene Luftstraße ein und nahm Kurs auf Frankfurt. Jim, der Erste Offizier, gab die Position an die Bodenstation durch. Er trug ein Sonntags-Gesicht, denn für ihn sollte dieser Flug ein letzter Test vor seiner Ernennung zum Captain sein.

      Um zehn Uhr war die Welt am Himmel noch in Ordnung. Keine Verspätung. Kein Unfall. Keine Panne. Und schon gar kein Alarmruf. Chefpilot Nobis hatte seine Armbanduhr bereits auf Mitteleuropäische Zeit umgestellt; sie zeigte 16 Uhr an, und das hieß, daß er gegen 21 Uhr in der Main-Metropole landen würde.

      In fünf Stunden. Mutschka würde ihn abholen. Wie immer. Aber zum erstenmal war er nicht allein. Und diesmal würde es eine für ihn entscheidende Begegnung werden; eine Zwischenlandung, die vermutlich eine Art Endstation für Martin bedeutete. Würden sich Brenda, seine zukünftige Frau, und die alte Dame vertragen? Immer wieder probte er in Gedanken das Zusammentreffen, das sicher nicht so unproblematisch verlaufen würde, wie dieser Jet-Air-Flug 111.

      Nach zwei Stunden Flugzeit erhob sich der Diplomat Smith von einem Sessel in der Ersten-Klasse-Kabine und stieg über die Wendeltreppe nach oben in die Lounge. Er nahm an der Bar einen Drink, rauchte eine Zigarette und nickte einem anderen Passagier zu wie einem flüchtigen Bekannten.

      Smith, alias Dossola, sah auf die Uhr.

      Er wartete noch zwei Minuten.

      Dann erhob er sich und ging auf die Cockpit-Tür zu. Mit diesen Schritten wurden die Insassen des Jumbo einem ungewissen Schicksal ausgeliefert. Aus einer simplen Atlantik-Überquerung, auf acht Stunden programmiert, sollte ein Flug in die Hölle werden.

      An der Art,