Will Berthold

Hölle am Himmel


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drehte sich unwillig um.

      Schon im ersten Moment witterte er die Kälte, die von diesem verpfuschtem Typ ausging.

      »Wer sind Sie?« fuhr er ihn an. »Und was haben Sie hier zu suchen?«

      »Ich heiße Smith«, erwiderte der Unbekannte und schloß behutsam die Cockpit-Tür hinter sich. »Henry Smith. Ich möchte Sie bitten, mich vorübergehend als Ihren Chef zu betrachten.«

      Er sprach wie ein Schurke, der einen Gentleman spielt; er hatte kleine, fischige Augen, schmale, blutleere Lippen, eine stark vorspringende Nase wie eine Messerspitze und Schnittnarben hinter beiden Ohren. Um sie zu bemerken, mußte man schon genau hinsehen, und dazu würde Martin künftig reichlich Gelegenheit haben.

      »Entführung?« fragte er.

      »Sie begreifen rasch«, erwiderte der Luftpirat. Der Mann war unbewaffnet, und Martin mußte seinen Co-Piloten Jim mit den Augen bremsen, sich nicht auf den Kidnapper zu stürzen.

      Die Stunde X. Nicht unerwartet, doch überraschend. Sie hatten sie hundertmal am grünen Tisch erörtert und noch öfter im Sandkasten durchgespielt. Grundsätzlich stellte der Chefpilot Nobis seinen Flugkapitänen frei, das Cockpit während des Fluges zu verschließen; er selbst hielt nichts davon, denn eine Pistole, an die Schläfe einer Stewardeß oder einer anderen Geisel gesetzt, würde zwangsläufig die Tür aufsprengen. Die meisten Flugkapitäne schlossen sich freiwillig der Auffassung ihres Chefpiloten an, aber alle Meinungen waren bislang bloße Theorie geblieben. Nun begann die Praxis bereits mit der Frage, warum dieser sicherdreiste Halunke keine Waffe im Anschlag hielt.

      »Ich muß Ihnen mitteilen, daß Sie bis auf weiteres die Toilette am Oberdeck nicht mehr benutzen können«, sagte der Luftpirat. Er lächelte schief; sein Mund wurde krumm wie ein Kleiderbügel. »Wir haben an diesem Örtchen eine Bombe eingebaut und können sie jederzeit auch aus der Ferne zünden … Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, wird Ihnen Ihre Bodenstation gleich das Modell unserer recht witzigen Höllenmaschine erläutern. Wir lassen gerade in Ihrem New Yorker Hauptquartier den Plan hinterlegen, und …«

      »Was heißt wir?« erwiderte Martin gereizt. »Wie viele Entführer haben sich hier eigentlich eingeschlichen?«

      »Fragen stelle ich«, erwiderte Mr. Smith. »Es sind zum Beispiel 73 Mütter mit 107 Kindern an Bord. Außerdem ein Kardinal, sechs Bischöfe, ein Oberrabbiner und zwei Patriarchen. Dazu tragen Sie als Kapitän die Verantwortung für drei US-Senatoren und mehrere bekannte Wissenschaftler. Glücklicherweise sind auch Herren Ihres Vorstands auf dem Weg zur Hauptversammlung an Bord; sogar Mr. Lovestone, Ihr Präsident. Außerdem eine ganze Reihe prominenter Wirtschaftsführer und natürlich auch Brenda Fairday, Ihre Verlobte, und …«

      Der Mann kannte die Passagierliste besser als der Flugkapitän, und Martin erfaßte, daß er es weder mit einem Verrückten oder einem Amokläufer noch mit einem Einzeltäter zu tun hatte, sondern daß eine ganze Bande nach raffiniertem Plan vorging.

      Seine Gefühle mußte er ausschalten; er hatte sich ausschließlich auf die Sicherheit der Passagiere einzustellen.

      »Ich will unser Verhältnis nicht unnötig belasten«, fuhr der Gangster in seinem zynisch-höflichen Ton fort, »aber wir würden nicht zögern, diesen Jumbo in die Luft zu sprengen, falls Sie sich unseren Wünschen ernsthaft widersetzen sollten.«

      »Was wollen Sie eigentlich, Sie Selbstmörder?«

      »Das erfahren Sie gleich«, erwiderte Henry Smith. »Ich möchte nur, daß Sie von vornherein Ihre Situation richtig sehen. Entweder sind Sie schon bald wieder ein freier Mann – oder …«, er sprach betont nebensächlich, »vielleicht aber auch schon in zwei Minuten tot.«

      »Sie aber auch«, zischte ihn Martin an.

      »Wir haben nichts zu verlieren«, entgegnete der Pirat gelassen, »aber Millionen zu verdienen.«

      »Ich beuge mich der Gewalt, so lange Sie nicht verlangen, daß ich die Flugbestimmungen verletze. Verstehen Sie denn überhaupt etwas von der Fliegerei?«

      »Natürlich nicht soviel wie Sie«, sagte der Entführer, »aber genug, daß Sie mich nicht hinters Licht führen können.« Ein schräges Lächeln kroch langsam über sein Gesicht, von links nach rechts. »Im übrigen haben wir wohl ein gemeinsames Interesse am Überleben, nicht?«

      »Zur Sache«, versetzte Martin Nobis. »Kann ich die Bombe sehen?«

      »Das nicht«, sagte Smith. »Aber ich zeige Ihnen etwas anderes.« Er öffnete die Cockpit-Tür und winkte einen Komplizen herbei, der an der Bar saß: »Nun zeig mal den Herren deine Artillerie, Sandy!«

      Der Mann schob sich heran, öffnete grinsend seine Jacke, präsentierte stolz eine Maschinenpistole. Chefpilot Nobis verwünschte die Magnetschranken bei der Abfertigungkontrolle, die auf Reißverschlüsse, Herzschrittmacher, Zahnprothesen, Sprungdeckeluhren, Stahlnägel in Hüftgelenken und auf Drahtbügel in den Büstenhaltern ansprechen, aber eine ganze Kollektion von Plastikwaffen passieren lassen.

      »Ich glaube nicht, daß du dazu kommst, an Bord Schießübungen zu veranstalten, Sandy«, sagte der Anführer und gab seinem Gorilla einen Wink, Wache zu halten.

      »Das ist nur einer meiner Leute«, erläuterte der Entführer, »keineswegs der einzige.« Er lächelte und entblößte dabei seine Zähne. »Falls Sie sich langweilen sollten, können Sie sich mit dem Rätsel befassen, wie viele von uns wirklich an Bord sind.« Er sprach, als leierte er einen fremden Text herunter. »Zunächst einmal stellen Sie den Sprechverkehr auf Lautsprecherbetrieb um«, befahl er. »Ich bin neugierig.« Er klappte den Stuhl neben dem Bordingenieur auf, setzte sich, betrachtete die Instrumente, sah auf seine Armbanduhr. »In etwa fünf Minuten werden Sie den Notruf für Entführung ausstrahlen und gleichzeitig Ihren Passagieren mitteilen, daß sie sich in unserer Gewalt befinden.«

      Jack Dossola schlug seine Beine lässig übereinander und zündete sich eine Zigarette an. »Zur Beruhigung werde ich selbst ein paar Worte mit den Leuten sprechen. Zuvor aber möchte ich noch mit Ihrem Präsidenten über ein paar geschäftliche Dinge verhandeln.« Er wandte sich an den Co-Piloten. »Erheben Sie sich, junger Mann!«

      Martin sah seinen Ersten Offizier scharf an, weil Jim dem arroganten Erpresser an die Kehle fahren wollte.

      »Sie bitten Mr. Lovestone zu uns. Nur ihn. Und kein Wort von der Sache. Sandy wird Sie begleiten.« Er öffnete die Tür, winkte seinen Leibwächter heran: »Paß auf«, befahl er und deutete auf den Co-Piloten, »daß unser Freund keine Dummheiten macht. Andernfalls legst du ihn einfach um.«

      Auf einmal hatte er seine eigene Sprache wiedergefunden.

      12

      Brenda Fairday war die einzige Frau unter den Erste-Klasse-Passagieren, aber sie hätte die Blicke der Mitreisenden auch auf sich gezogen, wenn die Auswahl größer gewesen wäre. Ein paar Autogrammjäger hatten sich aus der Touristenklasse zu ihr durchgekämpft; und während die bekannte Publizistin ihnen den Wunsch erfüllte, überlegte sie, ob ihre Leser sie auch mit dieser lästigen Aufmerksamkeit verfolgen würden, wenn sie künftig eine schlichte Frau Nobis wäre.

      Sie konnte mit ihrem Aussehen zufrieden sein, obwohl sie im Spiegel eine strenge Kritikerin war. Als Frau hatte sie bislang ihre äußeren Vorzüge als einen Glücksfall gewertet, ohne sie zu überschätzen. Sie war einfach glücklich, dem Mann ihrer Wahl zu gefallen. Alles hatte sich geändert, und es gab endlich keinen Aufschub mehr. Dabei war ihr erster Anlauf vor zwei Jahren mit Martin verunglückt. Sie war in den Sog der Sehnsucht geraten und ein wenig verwundert darüber, daß man erst 30 Jahre alt werden mußte, um diesem Aufstand der Gefühle zu verfallen.

      Neben Brenda saß Mike Blower. Nur sie und die Offiziere im Cockpit wußten, daß dieses Dutzendgesicht nicht ein farbloser Geschäftsmann aus Boston, sondern ein FBI-Agent war. Hinter ihm Professor Hammersmith, der berühmte Atomwissenschaftler, der gar nicht bemerkte, daß er bewacht wurde, und in der Reihe vor Brenda bereitete Mr. Lovestone die Begrüßungs-Ansprache an seine deutschen Aktionäre vor.

      Es