Strand von den Deutschen in Empfang genommen.
»Mensch, Mann, dufte, Gerwegh«, sagte Oberst Baade am nächsten Morgen zu dem von drei Schüssen verletzten Fahnenjunker-Unteroffizier. »Sie werden mit einer Ju nach Italien geflogen und können dort bei vino und amore ihre Wunden pflegen.« Der Offizier lachte trocken. »Aber das nächste Mal sind Sie besser nicht so voreilig.« Er wollte weitergehen, blieb aber, gutgelaunt wegen des Scheiterns des britischen Commando Raid, stehen. »Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?« fragte er Gerwegh.
»Jawohl, Herr Oberst«, antwortete der Verwundete. »Kann ich Manuela nicht mitnehmen?«
»Wer ist das?« fragte der Offizier, mehr abweisend als interessiert.
»Meine Verlobte«, erwiderte Gerwegh stolz. »Eine Italienerin.«
»Mann, das ist doch gegen die Vorschriften«, versetzte Oberst Baade. »Mal sehen, ob sich ein Ausweg finden läßt.«
Ein paar Tage später ernannte man die Italienerin einfach zur Hilfskrankenschwester, die in der Ju die Verwundeten betreute: einen davon natürlich ganz besonders. So kam Manuela nach Hause – auf der Flucht vor dem Wüstenkrieg und in Gesellschaft ihres deutschen Freundes, der für ein paar Monate aus der Schußlinie war, statt an der El-Alamein-Linie zu liegen, wo in der Vollmondnacht vom 24. auf den 25. Oktober die Feuerhölle ausbrach wie nie zuvor, zwei Tage, nachdem Erwin Rommel zur Kur in die Heimat geflogen war und das Kommando dem General Georg Stumme übergeben hatte, einem hochgewachsenen Panzeroffizier, der Afrika nur aus dem Schulunterricht kannte.
Er hatte keine andere Möglichkeit, als sich auf die Analyse von »Fremde Heere West« zu verlassen, in der vorhergesagt wurde, daß der Feind frühestens im November angreifen könnte, und auf den Nachschub zu warten.
Montgomery hielt sich nicht an diese Prognose, und der Nachschub blieb aus. Einmal mehr rächte sich, daß man versäumt hatte, die Insel Malta zu erobern, als sie noch schwach gewesen war. In rollenden Einsätzen hatten deutsche und italienische Verbände den Flugplatz von La Valetta von 9 Uhr morgens bis Sonnenuntergang bombardiert; der Aufwand war riesig gewesen, die Wirkung bescheiden.
»Nach diesem Fehlschlag bestand für den deutsch-italienischen Nachschub wenig Aussicht auf Besserung«, berichtet Hellmuth Günther Dahms. »Das britische U-Boot ›Umbra‹ (Maydon) versenkte zwei Schnelltransporter, die bisher jedem Angreifer entkommen waren. Aus einem anderen italienischen Konvoi wurden drei Frachter in den Grund gebohrt und zwei andere dermaßen zugerichtet, daß sie umkehren mußten. Von 353000 Tonnen Versorgungsgütern, die allein das Deutsche Afrikakorps (Thoma) benötigte, erreichten im Oktober nur 18300 Tonnen libysche Häfen, darunter lediglich 4000 Tonnen Benzin.
So war die Schlacht bei El Alamein schon entschieden, ehe sie begann. Die zwischen Mittelmeer und Qattarasenke eingegrabene Panzerarmee (Rommel) zählte 62 Bataillone, 90 leichte und 28 schwere Batterien, dazu 252 deutsche und 323 italienische Panzer, insgesamt fast 90000 Mann mit 500 Gramm Tagesbrotration ohne genügend Zukost, I,5 bis 2 Ausstattungen Pakmunition, 3,1 bis 3,5 für die übrige Artillerie und 5,5 Versorgungssätze (3900 cbm) Treibstoff. Etwa 30 Prozent der Kraftfahrzeuge waren in Reparatur. Die Zahl der einsatzbereiten Flugzeuge betrug 372 Maschinen.
Demgegenüber hatte das britische Mittelostkommando (Alexander) die 8. Armee (Montgomery) mit amerkanischer Hilfe aufgefüllt und neu ausgestattet. Sie zählte rund 150000 Mann, zur Hälfte Engländer und Schotten, im übrigen Australier und Neuseeländer, Inder und Südafrikaner, Gaullisten und Griechen. Ihrer Infanterie halfen 1582 Geschütze und 1114 Kampfwagen (darunter etwa 500 38-Tonner ›Churchill‹ und 31-Tonner ›Sherman‹). Zur taktischen Unterstützung startete die Western Desert Air Force (Coningham) 605 Jagdmaschinen und 315 Bombenflugzeuge.
Trotz der zahlenmäßigen Überlegenheit stand Montgomery vor einer schwierigen Aufgabe. Er konnte die deutsch-italienischen Stellungen nicht im Süden umgehen, sondern mußte durch eine tiefgegliederte Hinderniszone (Teufelsgärten) frontal angreifen. Auf diese Sperren und vier schnelle, zur Hälfte gepanzerte Divisionen, mit denen man aus der Nachhand schlagen konnte, setzten Feldmarschall Rommel und sein Stellvertreter, General Stumme, ihre Hoffnungen ...«
Das Trommelfeuer kam plötzlich, und es blieb einseitig, denn die deutsche Artillerie, schon knapp an Munition, konnte nicht zurückfeuern. Die englischen Soldaten hatten eben ein kaltes Essen zu sich genommen, und als Nachtisch wurde ihnen der Tagesbefehl ihres neuen Oberbefehlshabers verlesen. »Jetzt ist es nur noch notwendig, daß jeder von uns, jeder Offizier und Mann, in diese Schlacht geht mit der unerschütterlichen Entschlossenheit, sie durchzustehen, zu kämpfen und zu töten und schließlich zu gewinnen«, benutzte Montgomery die großen Worte, wie sie der Krieg braucht. »Wir werden den Feind schlagen und aus Nordafrika hinauswerfen.«
Um 21 Uhr 40 hatten auf einer Frontbreite von 60 Kilometern 1500 Geschütze den Tod in die Nacht gespuckt. Schwere Werfer waren herangeschafft worden, die neuen 10,5-cm-Kanonen hatten auf diesem Kriegsschauplatz eine schaurige Premiere. Das Feuer wurde alle 500 Sekunden 100 Meter tiefer in die deutschen Linien verlegt, und im Schutz der Feuerwalze starteten Infanteristen unter großen Verlusten den Angriff, aber 150000 britische Soldaten trieben die Offensive voran.
»Im Norden, wo Montgomery seinen Hauptangriff vorzutragen gedachte, lagen zwei Minenfelder: eines vor den vordersten Linien der Deutschen, eines dahinter«, schreibt Mark Arnold-Forster. »Die ersten Angriffe, die von der neuseeländischen Division vorgetragen wurden, schlugen Breschen durch das erste Minenfeld ...«
An der Spitze marschierten Dudelsackpfeifer, und in kurzen Feuerpausen konnte man ihre grelle Musik hören. General Stumme wurde als verschollen gemeldet, und Hitler rief Rommel an und beorderte ihn nach Nordafrika zurück.
Sein Eintreffen und die Auffindung seines toten Stellvertreters fielen zeitlich zusammen: In der Nähe der Höhe 28 war Stumme in seinem Kübelwagen in einen Überfall geraten. Sein Begleiter fiel; der korpulente General, der an Bluthochdruck laborierte, erlitt, vom Trittbrett fallend, einen tödlichen Herzanfall, während sein Fahrer, ohne es zu bemerken, weiterrollte.
Zwei Tage lang hatte man nach dem General gesucht, und zwei Tage lang war der englische Einbruch weiter vorangekommen. Die 15. Panzerdivision verfügte nur noch über 31 einsatzfähige Kampfwagen, von 119. Rommel sah sofort, daß ihm nur die Chance blieb, sich in die Fuka-Stellung zurückzuziehen und dort auf Nachschub zu warten. Aber der Tanker »Proserpina« wurde mit 7000 Tonnen beim Einlaufen in Tobruk versenkt, und auch das Ersatzschiff »Louisiano« landete auf dem Meeresgrund. Der Wüstenfuchs verfügte mittlerweile nur noch über 32 Panzer – 32 gegen 1100 gegnerische.
Beim sogenannten Heiligen Grab von Sidi Omar schlug er seinen neuen Gefechtsstand auf, und hier erreichte ihn, wie befürchtet, Hitlers Durchhaltebefehl. »Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, daß der stärkere Wille über die stärkeren Bataillone des Feindes triumphiert«, hatte ihm der Führer telegrafiert. »Ihrer Truppe aber können Sie keinen anderen Weg zeigen als den zum Sieg oder zum Tod.«
Rommel gehorchte zunächst und brach den Rückzug ab. Die italienische Elitedivision »Ariete« schlug sich bravourös, wurde aber von Montgomerys Truppen restlos aufgerieben. Das gleiche Schicksal erlitt die Division »Littorio«. Auf dem rechten Flügel wartete die italienische Division »Trieste« die Katastrophe nicht erst ab, sondern ging befehlswidrig in den Rückzug.
An der deutschen Front gelangen den Engländern weitere Einbrüche. Sie überrannten den Gefechtsstand der 15. Panzerdivision, fanden Kisten mit Eisernen Kreuzen und schmückten sich damit, bevor sie weiterstürmten. Das Afrikakorps verfügte jetzt noch über 12 Panzer. Schon in der ersten Etappe der britischen Offensive hatten die Achsenmächte 25000 Tote und Verwundete zu beklagten: 30000 Soldaten – mehr als jeder dritte davon ein deutscher – hatten sich ergeben. Rommel war kein Paulus; in dieser aussichtslosen Lage befahl der Wüstenfuchs – entgegen ausdrücklichem Hitler-Befehl – den Rückzug auf die Fuka-Linie. »Ich werde vors Kriegsgericht kommen«, sagte er zu seinen Offizieren, »aber bei den gegenwärtigen Umständen ist es meine Pflicht, nicht zu gehorchen.«
Am nächsten Tag hatte Hitler begriffen, daß mit Phrasen ein mindestens zehnfach überlegener Feind nicht zu schlagen war. Er billigte nachträglich Rommels Rückzugsbefehl, aber