Will Berthold

Das letzte Gefecht - Tatsachenroman


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bereits Tobruk und Benghasi: Es drohte der Verlust der ganzen Cyrenaika, und schon vor Anlaufen der »Operation Torch« hielt der Wüstenfuchs den Krieg in Nordafrika für verloren.

      Wie an jedem anderen Tag lacht, tanzt, trinkt und flirtet Algier an diesem 7. November 1942. Die Gesellschaft benimmt sich, als wollte sie den Krieg gewaltsam ignorieren, und niemand scheint zu ahnen, daß die Kriegsfurie in wenigen Stunden auch in dieses Reservat des Friedens und der Neutralität einbrechen wird. Die Nachrichten, die von der Montgomery-Front kommen, lassen die meisten Franzosen aufhorchen, aber sie bleiben zurückhaltend, wissend, daß im Krieg noch mehr gelogen wird als auf der Jagd und in der Liebe.

      Algiers Straßenbild wirkt friedlich, aber unter einer oberflächlichen Tarnung wird gehaßt und gehofft, geheuchelt und gedroht, angedeutet und verwischt. Es scheint Nicole Lemaire, die immer tiefer in die Maschen dieses Verwirrspiels verstrickt wird, als wollten alle Franzosen das gleiche und kämpfte doch jeder gegen jeden. Vielleicht hätte sich eine schöne Frau aus diesen politischen Zeitläuften heraushalten sollen, noch dazu, wenn ihr Bruder auf der anderen Seite kämpft, aber vielleicht ist gerade das der Grund, warum die junge Witwe im Lager des Hauptmanns Prenelle und seiner Hintermänner steht. Sie weiß nicht genau, ob es Liebe ist oder Patriotismus, vielleicht von beidem die Hälfte.

      Schon sammeln sich die alliierten Verbände an den vorbestimmten Positionen, aber die Landung steht Spitz auf Knopf: Englische U-Boote haben vor der marokkanischen Küste eine meterhohe Brandung gemeldet, ein gefährliches Hindernis für die flachen Landungsboote.

      In seinem Hauptquartier auf dem Felsennest Gibraltar überlegt General Eisenhower – zu diesem Zeitpunkt des Krieges als wenig erfahrener Offizier noch ein unbeschriebenes Blatt –, ob er die »Operation Torch« verschieben soll.

      Aber wohin mit den vielen Schiffseinheiten in dem allzu engen Hafen?

      Mit unguten Gefühlen entschließt sich der US-Oberkommandierende zur Flucht nach vorne – die Landung soll anlaufen. Torch heißt zu deutsch »Fackel«, aber niemand kann zur Stunde sagen, ob sie leuchten oder verglühen wird. Gelingt die Landung, wird sie eine Wende des Krieges einleiten.

      Aber zunächst wissen nur wenige Menschen in Frankreichs nordwestafrikanischen Kolonien um das Landeunternehmen, und diese sind nervös wie Debütantinnen vor der Polonaise – denn diese Polonaise kann blutig sein.

      Den ganzen Tag ist US-Vizekonsul Miller – gleich seinen zehn Kollegen – auf den Beinen. Eine Verabredung jagt die andere, aber nicht jede ist so reizvoll wie das Rendezvous mit Nicole, die er in einem kleinen Tagescafé – wie zufällig – trifft.

      »Noch immer verliebt in Hauptmann Prenelle?« fragt er belustigt.

      »Ein wenig«, antwortet Nicole.

      »Ich bin richtig eifersüchtig«, behauptet der angebliche Diplomat, »aber der Mann ist der Richtige für Sie.« Miller lächelt anzüglich. »Und sicher auch für uns.« Der angebliche Diplomat spricht halben Klartext. Er muß sich auf diese Französin verlassen, vor allem, weil er etwas von ihr will. Sie wirkt adrett und gepflegt wie immer, aber sie zeigt Spuren von Nervosität.

      »Was ist los, Nicole?« fragt der Untergrundmann.

      »Der deutsche Attaché, dieser Melzer, will Namen französischer Offiziere haben, die mit den Alliierten sympathisieren«, erwidert sie. »Heute noch – ich hab’ ihn schon eine Weile hingehalten.«

      »Diesen Wunsch können wir ihm gerne erfüllen«, versetzt der OSS-Agent, nennt aus dem Kopf eine lange Reihe von Namen, ausnahmslos Offiziere des französischen 200000-Mann-Heeres, die er für Vichy-treu hält. »Wenn Sie die Hälfte behalten«, sagt Miller, »haben Sie Freund Melzer bereits bestens bedient.«

      »Schon gut.« Nicole trägt ein hübsches Pariser Kostüm, zitronengelb, wie auf die Haut geschneidert. Dazu meergrüne Augen, blauschwarze Haare und ein Paar wohlgeformte Beine, die den Vizekonsul seine Sorgen vergessen lassen könnten, so er Zeit dazu hätte.

      »Noch eine Bitte, Nicole«, schließt der Amerikaner das Gespräch. »Sie müssen heute abend eine kleine Party arrangieren.«

      »Morgen«, erwidert sie. »Oder übermorgen.«

      »Es muß heute sein«, entgegnet der OSS-Agent. »Mehr kann ich Ihnen nicht sagen, aber morgen werden Sie es begreifen.«

      »Dann haben Sie sicher auch schon die Gästeliste parat?« antwortet die Französin.

      »Sure«, versetzt der Yankee. »Die meisten der Herren kennen Sie ohnedies. Bitte rufen Sie sie sofort der Reihe nach an und bitten Sie sie heute abend in Ihre Villa. Entlassen Sie keinen aus der Obligo.« Er lächelt süffisant. »Ein paar hübsche Damen habe ich schon dazu gebeten.« Miller steht auf und nickt Nicole zu. »Sie sind ja konkurrenzlos.«

      Der Amerikaner entfernt sich so unauffällig, wie er gekommen ist. Nach dem Treffen mit dem deutschen Attaché geht Nicole daran, überstürzt ihre Gäste einzuladen. Als sie die Namensliste noch einmal durchgeht, erschrickt sie; es sind ausnahmslos Offiziere und Zivilisten, die sich verschworen haben, jede Gelegenheit wahrzunehmen, um gegen die Deutschen zu kämpfen. US-Vizekonsul Miller hatte ihnen bisher eingetrichtert, sich so wenig wie möglich miteinander sehen zu lassen.

      Wenn der OSS-Agent so plötzlich sein eigenes Verbot übertritt, muß etwas los sein.

      Als Nicole am Abend in ihrer Villa in der Nähe des Flugplatzes Maison Blanche ihre Gäste empfängt, versucht sie, ihre Erregung zu überspielen.

      »Was hast du heute?« fragt Hauptmann Prenelle.

      »Migräne«, antwortet Nicole, »halb so schlimm –«

      »Sonst nichts?« fragt der Offizier mißtrauisch.

      »Nichts«, versetzt Nicole. »Nicht das Geringste.«

      »Mit uns hat es nichts zu tun –?«

      »Aber nein –«, entgegnet die junge Französin.

      »Liebst du mich noch?«

      »Aber ja –«

      »Das könnte begeisterter klingen«, erwidert Prenelle.

      »– wenn die Migräne nicht wäre«, sagt Nicole lachend.

      Sie hat alle Mühe, daß ihre Party, auf der jetzt auch Vizekonsul Miller erscheint, nicht verunglückt.

      »Ich habe eine Nachricht für Sie«, raunt ihm Nicole zu, »Admiral Darlan ist heimlich in Algier eingetroffen.«

      »Darlan?« erwidert der Amerikaner erschrocken. »Sind Sie sicher?«

      »Absolut.«

      »Auch das noch«, brummt Miller. Sosehr er sonst sein Gesicht beherrscht, jetzt gerät es aus den Fugen. Seine Hand streicht fahrig über den schmalen Pferdeschädel mit den weißen, sorgfältig geschnittenen Haaren.

      Der Admiral gilt als der starke Mann von Vichy, als Halbfaschist, der mit den Deutschen willig zusammenarbeitet. Der Chef der französischen Marine hat lauthals und wiederholt erklärt, daß er seine Verbände im Falle eines Angriffs rücksichtslos auch gegen englische und amerikanische Verbände einsetzen werde.

      Wenn dieser dubiose Mann nunmehr überraschend und heimlich nach Algier gekommen ist, dann muß das ganze »Unternehmen Torch« verraten sein.

      Dann sind die Deutschen gewarnt.

      Und die Franzosen in ihrem Schlepptau wach und bewaffnet bis an die Zähne.

      Dann fährt das englisch-amerikanische Expeditionskorps direkt in feurige Kanonenschlünde.

      »Darlans Sohn ist erkrankt«, sagte Nicole. »Kinderlähmung. Lebensgefährlich«, fährt sie fort. »Er will ihn nach Frankreich überführen, in eine Spezialklinik.«

      »Wann?« fragt Vizekonsul Miller hart.

      »Morgen.«

      »Bluff«, erwidert der Amerikaner düster.

      Nicole Lemaire wehrt sich verzweifelt dagegen, daß ihre Party heute