Will Berthold

Das letzte Gefecht - Tatsachenroman


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      Während die Gastgeberin versucht, die flaue Stimmung zu beleben, hebt sich an der marokkanischen Küste der Vorhang über einem blutigen Drama.

      Bei der im Schutze der Nacht heranschwimmenden »Western Task Force 34« wird das Signal »Play ball!« gegeben.

      Mündungsblitze zerreißen die Nacht. Granaten platzen in den Quartieren schlafender Soldaten. Während die Landetruppen sich an den Strand von Casablanca heranarbeiten, feuern die französischen Küstenbatterien gegen einen Feind, den sie nicht kennen.

      Die Deutschen? Die Engländer? Oder die Bewohner des Mars?

      Die Zerstörer »Cole« und »Bernadou« schießen die Verteidiger in Klumpen. Das Schlachtschiff »New York«, der Kreuzer »Philadelphia«, die Zerstörer »Mervine« und »Beatty« rotzen Breitseite auf Breitseite aus allen Rohren.

      In diesem Moment sagt Vizekonsul Miller zu den versammelten Offizieren und Zivilisten in Nicoles Villa: »Meine Herren, ich habe Ihnen eine wichtige Mitteilung zu machen.« Er spricht rasch, als störe ihn ein unguter Geschmack im Mund. »Ein englisch-amerikanisches Invasionskorps landet zur Stunde an mehreren Positionen der nordafrikanischen Küste.«

      Die Nachricht schlägt wie eine Bombe ein, und im ersten Moment löst die Explosion mehr Zorn als Freude aus.

      »Und warum sagt man uns das erst jetzt?« ruft Prenelle erregt.

      »Jetzt ist keine Zeit zum Reden«, erwidert der OSS-Agent und zieht den Kopf zwischen die Schultern. »Wir müssen jetzt handeln, Monsieur le Capitaine. Ich denke, wir sitzen alle im gleichen Boot. Sehen Sie zu, daß Franzosen nicht auf Engländer und Amerikaner schießen.« Dann erklärt Miller den Versammelten, daß gleichzeitig auch in Algier und Marokko alliierte Landungen stattfinden werden. Er wendet sich wieder an die Gastgeberin. »The party is over!« sagt er. »Und Sie müssen mir noch einmal helfen, Nicole. Ich brauche Sie. Jetzt, sofort.«

      »Sie können mit mir rechnen«, erwidert die Französin, erleichtert, daß sie nunmehr offen reden kann.

      »Wir müssen sofort nach Tunis fliegen«, erklärt der Amerikaner.

      »Tunis?« fragt die Französin verständnislos.

      »Ja – Sie sind doch eine gute Bekannte von General Estéva. Wir müssen versuchen, ihn zum Abfall von Vichy zu bewegen.«

      »Da beißen Sie auf Granit«, entgegnet Nicole.

      »Probieren wir es«, drängt der Agent. »Wenn er Blut sparen will, bleibt ihm keine andere Wahl.«

      Seit Wochen war etwas los gewesen im Mittelmeer. Die deutschen Beobachter von Algeciras hatten es gemeldet: Seit Tagen besonders starke Schiffsbewegungen, Material- und Truppentransporte. Man hielt es für Verstärkungen für die von deutschen und italienischen Flugzeugen beinahe täglich angegriffene Insel Malta. Jedenfalls liefen beim Oberbefehlshaber Süd, bei Generalfeldmarschall Albert Kesselring, in Rom von allen Seiten Meldungen ein, deren Bedeutung von den Auswertern verkannt worden war.

      »Die Achsenmächte hatten die Landung in Nordafrika nicht erwartet, obgleich sie seit dem Waffenstillstand mit Frankreich 1940 ein solches Unternehmen der Alliierten immer befürchteten«, schreibt Herbert Michaelis, »und wurden daher völlig überrascht, obwohl Warnungsmeldungen eingegangen waren. Da die deutschen U-Boote die zahlreichen alliierten Invasionskonvois nicht bemerkt hatten beziehungsweise die Schiffsansammlung in Gibraltar für die Vorbereitung eines Geleitzuges nach Malta hielten, den sie im westlichen Mittelmeer abzufangen hofften, konnten diese ungehindert die afrikanischen Häfen erreichen.«

      Am Anfang der ersten gemeinsamen Landeoperation hatte bei den Alliierten die Zwietracht gestanden. Stalin drängte immer mehr auf die Errichtung einer zweiten Front. Er ging so weit, über Mittelsmänner in Stockholm Hitler einen Sonderfrieden anzubieten. Noch heute steht nicht fest, ob der rote Diktator die Offerte ernst gemeint hat oder nur seine ungleichen Bundesbrüder erpressen wollte.

      Wie immer war Roosevelt nur zu geneigt, »Uncle Joe« entgegenzukommen. Er wollte deshalb die Invasion auf dem europäischen Kontinent bereits im Jahre 1943 riskieren. Churchill war dagegen: Er hielt diesen Zeitpunkt für verfrüht. Er plädierte dafür, in Nordafrika zu landen, um von hier aus Schläge gegen den »weichen Unterleib Europas« zu führen. Erst als der britische Premier ausdrücklich garantierte, daß die Landung in den französischen Kolonien kein Ersatz für die »Operation Round up« – die später unter dem Decknamen »Overlord« gestartet wurde – wäre, stimmten der US-Präsident und sein Berater unter der Maßgabe zu, daß nicht mehr als 250 000 Soldaten benötigt würden.

      Es gab eine Reihe von Bedenken, die man nicht von der Hand weisen konnte. Völkerrechtlich gesehen beging Amerika einen glatten Bruch der Neutralität, und viele Politiker und Militärs in Washington waren der Meinung, man solle – Hitler bekämpfend – nicht Hitlers Beispiel in Dänemark, Norwegen, Holland, Belgien und Luxemburg folgen.

      Ein Fragezeichen war auch das Verhalten der Spanier. Sie hatten sich bislang aus dem Krieg herausgehalten – obwohl General Franco nur mit Hitlers und Mussolinis Hilfe aus dem Bürgerkrieg als Sieger hervorgegangen war –, aber wie würden sie reagieren, wenn vor ihrer Haustür die Anglo-Amerikaner überfallartig – ohne Erklärung oder wenigstens Entschuldigung – die nordafrikanischen Besitzungen Frankreichs erobern würden?

      Auch vom rein strategischen Standpunkt aus war das erste alliierte Landemanöver umstritten. General Montgomery war dabei, ganz Nordafrika von Osten nach Westen aufzurollen. Wenn er erst Rommel bis an die tunesische Grenze zurückgedrängt hatte – womit man mit Sicherheit rechnen konnte ‒, würden den Alliierten ohne Blutvergießen Tunesien, Algerien und Marokko zufallen.

      Das Verhalten der Franzosen blieb ein großes Risiko, das nicht genau eingeschätzt werden konnte. In Souveränitätsfragen galten sie von jeher als besonders empfindlich. Man brauchte einen französischen Repräsentanten an der Spitze des Unternehmens, der faszinierend und einflußreich genug war, um seine Landsleute – trotz aller Bedenken, die sie haben mochten – bereits in der ersten Stunde mitzureißen und auf die Seite der Anglo-Amerikaner zu ziehen. Da General de Gaulle bei den meisten Militärs – zu dieser Zeit – noch als umstritten galt, wurde er an der »Operation Torch« nicht beteiligt, ja nicht einmal über sie informiert. Daß die erste Stimme des Freien Frankreichs bei diesem entscheidenden Manöver abgeschaltet worden war, würden die Gaullisten den Anglo-Amerikanern noch lange Zeit verübeln. Es gab beständig Reibereien mit dem aus Lothringen stammenden französischen General, der sich als erster gegen die Vichy-Regierung aufgelehnt hatte, die Churchill nach dem Krieg zu der Bemerkung veranlaßten: »Das schlimmste Kreuz, das ich zu tragen hatte, war das Lothringer Kreuz.«

      In dieser Situation erinnerte man sich an den General Henri Giraud, der vor kurzem eine spektakuläre Flucht aus der sächsischen Festung Königstein und damit aus der deutschen Kriegsgefangenschaft geschafft hatte. Heimlich und offen feierten die Franzosen diese Tat, die Vichy offensichtlich ungelegen kam, denn sie verschlechterte die Beziehungen zur deutschen Besatzungsmacht ganz erheblich. Ausliefern an die Deutschen konnte man Giraud nicht: Marschall Pétain versuchte den General zu überreden, freiwillig zurückzukehren. Giraud schwankte tatsächlich einen Moment. Dann gab er Vichys Staatschef sein Wort, künftig auf jede subversive Tätigkeit gegen die Deutschen zu verzichten; so konnte er ein argwöhnisch beobachteter Gast im eigenen Land bleiben.

      Giraud schien der rechte Mann zu sein, aber er stellte die Bedingung, die »Operation Torch« – an der nicht ein einziger Franzose teilnahm – zu leiten. Entweder war es ein Mißverständnis, oder die Unterhändler – OSS-Agenten im unbesetzten Frankreich – gingen zunächst auf jede Bedingung ein, um den Umworbenen mit Hilfe eines U-Boots aus Frankreich herauszuschleusen. Es gab die erste Überraschung: Vichy hatte nach der Tragödie von Mers el Kébir den Engländern den Krieg erklärt, und der ehrsüchtige General wollte nicht an Bord eines englischen Schiffes gehen.

      Das U-Boot mußte vorübergehend in amerikanische Dienste gestellt werden. Bei der Landung war der Seegang so hoch, daß Giraud ins Wasser fiel und aufgefischt werden mußte. Als man ihn zu Eisenhower in den unterirdischen Befehlsstand Gibraltars brachte, meldete sich der Franzose mit den Worten: »General Giraud ist