aus fernem schönem Traum umwarben, überließ es ihm das heiße Händchen, das es ihm hatte entziehen wollen, und halb freudig, halb ängstlich blinzelte es mit den großen Augen nach ihm.
»Hast du mich nicht mehr lieb, Bini?«
»O doch – doch – Vater,« klang das seine Stimmchen, »aber – –« Sie schauerte.
»Rede nur. Maus!«
»Ich habe dich so viel zu fragen. Thust du mir nichts, wenn ich etwas frage?« Der zarte Körper zitterte.
»Nein, frage nur – bist ja meine Maus!«
»Warum bist du auch so lieb und gut jetzt, Vater?« Das tönte so fein und scheu und ein bleiches Lächeln flog über die Lippen des Kindes.
»Ich habe dich ja immer lieb gehabt, Gemslein. Weißt nicht mehr, wie ich dich auf dem Arm getragen habe? Und weißt noch, wie ich dir manchen Kram von Hospel mitgebracht habe?«
An diesen Gedanken spann das Kind weiter.
»Ja, die Mutter und ich haben jedesmal auf dich gewartet, bis du am Abend heimkamst. Und dann hast du mich noch ein wenig auf die Knie« genommen und ich habe darauf reiten dürfen. Die Mutter hat mich dann zu Bett gebracht und hat meine Hand genommen wie du jetzt und wir haben gebetet: »Lieber Gott, lieber Herr Jesus Christus! Erhalte den lieben Vater gesund.« Und dann hat sie die Kissen an mein Köpfchen gedrückt: »Schlaf, schlaf, du liebes Engelchen« Und manchmal ist eine Thräne auf meine Wange gefallen, aber am Morgen, wenn ich sie gesucht habe, war sie fort.«
Rührend, als ob das fiebernde Kind gegen das Weinen kämpfte, klang das Stimmchen, der Presi hatte den Kopf gesenkt, und als er nichts antwortete, fuhr das Kind fort:
»Seit die Mutter tot ist, besucht sie mich jede Nacht. O, sie ist so schön, sie ist ganz weiß und hat Flügel an den Schultern. Und wenn sie sieht, daß ich ihr altes Sonntagsbrusttuch bei mir im Bett habe, so lächelt sie wunderschön. Nur das Tuch muß ich haben, dann kommt sie. – Aber, Vater, warum hat die Mutter auch so viel geweint, als sie lebte?«
Der Presi war unruhig geworden, die Zärtlichkeit des Fiebergeplauders regte ihn auf.
Das Mündchen aber lief und lief: »Wie ist es schön gewesen, als ich noch klein war. Josi und Vroni sind immer gekommen, er hat mich dann auf dem Rücken getragen, und dafür hast du ihnen Kirschen vom Baum gerissen.«
»Was hast vorhin fragen wollen, Bini?« unterbrach der Vater barsch das plaudernde Kind.
»Thust du mir nichts?«
»Dumme Maus, du!« Sein Ton war wieder freundlich.
Die Augen des Kindes öffneten sich – es richtete sich im Bettchen halb auf und zitternd, traumhaft kam's:
»Du, Vater, wenn ich groß bin, darf ich dann die Frau Josi Blatters werden?«
Da verzerrte sich das Gesicht des Presi. – Der Zug hoffnungsvollen Zutrauens auf dem fiebergeröteten Kindergesicht erlosch, es stopfte den Mund mit dem gekrümmten Finger, die Augen wurden schreckhaft groß, und seine Gedanken taumelten nach einem Rettungsanker – es schlang das Aermchen um den Vater, es schrie:
»Ich hab' nicht das sagen wollen, Vater – nein – ich habe fragen wollen: Ist es wahr, daß dir die Hand aus dem Grab wachsen wird?«
Da verglasen sich auch die Blicke des Presi, er ächzt – und ächzt. Plötzlich brüllt er: »Wer sagt das? – Sagt es Fränzi?«
Vor Furcht weiß das Kind nicht mehr, was es sprechen soll, was es spricht.
»Fränzi – Vroni – nein – Josi – oder nein –« Es will weiter reden.
Aber der Presi schlägt ein so schauerliches Lachen an, wie wenn etwas in ihm risse. Das Kind schweigt.
»Und den willst du heiraten! – Da also packst du mich, toter Seppi Blatter. Deinem Buben will ich's eintränken.«
Er faustet sinnlos gegen die Wände: »Jetzt wollen wir sehen, ob ein lebendiger Presi nicht über einen toten Wildheuer Meister wird.« Er will sein krankes Kind schlagen, aber es hat sich tief unter die Decke verkrochen und hält sie mit krampfhaften Händen fest.
Unter der Thür steht Susi, die irgend etwas berichten will; und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen.
Der Presi schwankt aus der Kammer.
Ein Riß war von dieser Stunde zwischen Vater und Kind. Binia lag einige Tage krank, der Presi kümmerte sich nicht um sie; als sie mit blassen Wänglein wieder in der Stube erschien, übersah er sie und vermied lange Wochen sie anzureden, als er es endlich wieder that, da war es nur in Gegenwart Dritter und seine Worte beschränkten sich auf kurze Befehle und gleichgültige Dinge.
Daran änderte auch die Hochzeit mit Frau Cresenz, die im Herbst stattfand, wenig.
Kapitel Sechs
St. Peter ruht mit seinen Holzhäusern halb versunken im Schnee, wie die Federkissen eines Brautfuders liegt er auf den Dächern, die Glotter gurgelt unter dem Eis. Am Mittag stechende Sonne, blauer Himmel, ein Licht von den Bergen, daß man die Hand über die Augen decken muß, triefende Dächer und sonnenwarme Luft, des Nachts bittere Kälte, so daß der Schnee im Flimmern der Sterne wie Millionen erbarmungslose Glassplitterchen funkelt.
Die Lichter leuchten freundlich aus den kleinen Fenstern ebenhin in den Schnee. Von Haus zu Haus huscht es und eilt es. Bursche und Mädchen, jung und alt sitzen um die Lewatöllampe zusammen, die Frauen spinnen den Flachs, die Mädchen flechten mit raschen Fingern Strohbänder und nähen Hüte, die Männer schnitzen an Holzschuhböden herum und nebeln mit den Pfeifen.
Man redet nicht viel, die von St. Peter sitzen gern still und feierlich im Kreis. Am häufigsten noch hört man das Weib des Fenkenälplers, das von Zeit zu Zeit von ihrem Mann einen Zug aus der Tabakspfeife bettelt.
»Fenkenälpler, kauft der Bre doch ein artiges Klöbchen,« lacht der krummmäulige Bäliälpler. »Wenn die Weiber rauchen, so schadet's dem Hausfrieden nichts – das meine raucht jetzt auch schon ins siebente Jahr.«
»Es ist halt doch nicht schön,« meinte die fröhliche Bertha Thugi, eine Neunzehnjährige, die neben ihrem jüngeren Bruder Peter, dem Enkel des alten Peter Thugi, sitzt, »daß bei uns so viele Weiber rauchen wie Kamine. Mir gefallen Fränzi und die Gardin – sie rauchen nicht.«
»Jetzt will die das Rauchen der Weiber abschaffen, wie die neue Bärenwirtin den Schnaps.«
Die fromme, geizige Glottermüllerin, die den Mühlknecht hungern läßt, mault: »Recht ist's. Zuerst haben die Männer gar nicht gewußt, wie die neue Frau Presi genug rühmen. Schön und leutselig sei sie. Jetzt hat man's. Nicht einmal ein Gläschen Gebranntes mag sie ums gute Geld den Leuten gönnen. Sie meint wohl, in St. Peter seien alle vergüldet wie der Presi.«
Der Bäliälpler mit der Bogennase und dem krummen Maul aber brummt: »Was mir gar nicht gefällt, sind die Handwerksleute von Hospel, die jetzt die ganze Zeit im Bären lärmen. Er war doch von jeher ein schönes Haus. Aber wißt ihr? Fremde Weltleute, Deutschländer, Franzosen, Englische und Hispaniolen, wie's seit ein paar Jahren zu Grenseln, Serbig und im Oberland sommers über hat, sollen mit ihren Weibern, Hunden und Katzen in den Bären kommen und darein sitzen. Was meint ihr? Wozu ist an der Straße eine Thür ausgebrochen worden und wird eine Stube gemacht? In diese Truhe können die von St. Peter hocken und oben, wo wir bis jetzt gesessen sind, in der schönen großen Stube, rutschen die fremden Maulaffen herum, die den Unterschied zwischen einem Gemsbock und einem Kalb nicht kennen.«
»Protestieren soll man! – Aber die Gemeinderäte, der Garde ausgenommen, haben's wie unsere Maultiere, sie machen so.« Der glatzköpfige Glottermüller, der eine Stimme hat wie ein Weib, aber selbst schon lange gern Gemeinderat geworden wäre, nickt mit dem Kopf, bis alles lacht. Und plötzlich ruft er, daß alle aufblicken:
»Die Gemeinde soll man anfragen, ob wir Fremde in St. Peter dulden wollen oder nicht. Das behaupte