zufriedenem Knurren, einem besonderen Gruß an sein Patenkind Vroni und mit dem Bewußtsein davon, daß da Vogtmühen überflüssig seien.
Ein fast täglicher Gast im Haus Fränzis war der stille, blöde Eusebi, der die Gewohnheit hatte, sich auf einen Schemel zu setzen, nichts zu sagen, mit ein paar Hölzern zu spielen und zu hören, was geplaudert wurde. Da saß der fünfzehnjährige Schwachkopf unbeweglich, aber bei jedem freundlichen Wort ging ein Aufleuchten über sein Gesicht. Vroni und Josi mochten ihn wohl leiden, ja jene liebte ihn schwesterlich.
Eines Tages zog sie ihre alte Schulschiefertafel heraus und malte mit ihm Buchstaben. Und siehe da, die kleine freundliche Schulmeisterin brachte den armen Jungen, der wegen Blödsinn die Schule nicht hatte besuchen können, zum Schreiben.
»Eusebi, komm nur fleißig zu uns, dann lehre ich dich alles, was ich selber kann, wir lautieren und stellen Redeübungen an, bis du nicht mehr stotterst.«
»Bist ein liebes V–vroneli,« stackelte er.
Einmal, als Josi den beiden lange zugesehen und zugehört hatte, sagte er: »Mutter, die Vroni bringt den Eusebi zuwege. Ganze Sätze redet er mit ihr und stößt nirgends mehr an.«
»Geb's Gott!« antwortete Fränzi.
Auch Binia erhielt einen Spielgefährten ins Haus.
Thöni Grieg war der achtzehnjährige Neffe der Frau Cresenz und des Kreuzwirts in Hospel. Er hatte bis dahin das Kollegium in der Stadt besucht, und wäre es nach der Ansicht seiner nächsten Verwandten gegangen, so hätte er Jurist werden müssen. Er hatte aber das Pech, daß er wegen loser Streiche von der Schule gewiesen wurde. Da beschloß man im Familienrat, ihn Frau Cresenz und dem Schwager Präsidenten zur weiteren. Erziehung und Ausbildung zu übergeben. Der Aufenthalt im abgelegenen St. Peter sollte eine empfindliche Strafe für ihn sein, die Hand des Presi war hart genug, den Jungen im Zaum zu halten, und dabei hatte er im Bären doch Gelegenheit, den Hotel-, den Fremden- und Postdienst kennen zu lernen.
Der Presi machte zuerst ein schiefes Gesicht zu dem Erzieheramt, das ihm seine neue Verwandtschaft zudachte, aber um Frau Cresenz willen biß er in den sauern Apfel.
Und siehe da, als Thöni kam, erwiesen sich alle Befürchtungen und jedes Mißtrauen als ungerechtfertigt. Der »schöne Thöni«, der »lustige Thöni«. Bald klangen die Worte durchs Dorf. Er war ein schlank gewachsener, sauberer, anstelliger Bursche, der immer gut gekleidet ging, städtische Manieren zur Schau trug und lebhaft und drollig zu plaudern wußte.
»Was hast du denn gemacht, Thöni, daß sie dich aus dem Kollegium gejagt haben?«
»Gewiß nicht viel, Herr Präsident. Heimlich Bier getrunken, wenn ich Durst hatte, mit ein paar anderen dem Zeichenlehrer eine Katzenmusik gebracht und am gleichen Abend vor der Wohnung des Professors des Französischen, der ein schönes Töchterlein hat, ein bißchen gesungen.«
Mit der offenherzigsten Miene der Welt machte Thöni sein Bekenntnis.
»Donnerwetter, erst achtzehnjährig und schon die Mädchen ansingen! Wohl, wohl, du kannst es mit der Zeit auf einen grünen Zweig bringen.«
Der Presi lachte laut, doch wohlwollend, denn er war selbst ein feuriger Bursche gewesen.
Als großer achtzehnjähriger Herr übersah Thöni zuerst die dreizehnjährige Binia halb, dann entdeckte er, daß sie ein allerliebstes Gesichtchen habe, er spürte ihr rasches, heißblütiges Naturell heraus, und wenn ihn niemand beobachtete, reizte er das Kind zu seiner Unterhaltung auf das heftigste.
»Du Wildkatze, weise mir deine blanken Zähne!« Binia wehrte sich tapfer. »O, die sind viel zu gut, als daß ich sie einem fortgejagten Kollegianer zeigen würde.«
»Du giftige Katze!« Und der Bursche langte mit der Hand aus, als ob er dem Mädchen eine Ohrfeige versetzen wollte, aber das ließ er klugerweise bleiben. Ueber ihrem Zank stieg von Hospel herauf der Frühling ins Thal, die Lawinen krachten und gingen durch die gewohnten Runsen. Das Spiel der Klappern an den heligen Wassern, das winters über geruht hatte, erwachte nach einem Frühlingsgang des Garden wieder und in St. Peter stritten die Leute immer noch und heftiger, ob man die Fremden ins Thal kommen lassen wolle oder nicht.
Der Pfarrer predigte dagegen, der Garde sprach dem Presi ins Gewissen, unbeirrt ging er seinen Weg; während man stritt, kam der Sommer, und es erschienen, vom Kreuzwirt in Hospel dahin gewiesen, die ersten Fremden im Bären von St. Peter.
Die armen Seelen gaben kein Zeichen und die der Krone stürzten nicht aufs Dorf.
Kapitel Sieben
»Das Dörfchen unter dem Donner der Lawinen.« – »Das unberührte Idyll, aus dem noch keine Kellnerserviette die Poesie gestäubt hat.« – »Das Thal des altertümlichen Volkslebens und der originellen Sitten.«
Die Schlagwörter flogen nur so. Wie aus einem Taubenschlag flatterten aus dem Bären mit jedem Morgen Gäste und Gästinnen durch das Dorf auf die Maiensässen und die Alpweiden und mit Blumen beladen am Abend zurück. Jeder kam sich wie ein kleiner Columbus vor, jede wie eine Columbussin, die Glücklichen vergaßen ganz, daß sie der Kreuzwirt von Hospel nach St. Peter gewiesen hatte, und genossen unbeeinträchtigte Entdeckerfreuden. Wie hatte man die Krone, diesen kühnen und gewaltigen Hochbau des Gebirges, so lang übersehen können? Und die schlanke, zierliche Nadel des Bockje, auf dessen Spitze eine Tiergestalt zu ruhen schien, nach der Volkssage ein Steinbock, der auf der Flucht vor dem Jäger auf die Spitze geraten und, als er nicht weiter konnte, versteinert war. Und dann das Dorf St. Peter mit den geheimnisvollen alten Zeichen und Runen an den Holzhäusern, mit den Scheunen und Stadeln, die auf gemauerten Steinsäulen ruhten, so daß es beinahe wie ein aus alter Zeit übriggebliebener Pfahlbau aussah.
Nicht zuletzt liebten die Gäste den Bären, das Urbild eines alten schönen Bergwirtshauses, befreundeten sie sich mit der immer liebenswürdigen Bärenwirtin, bewunderten sie den Bärenwirt, die hünenhafte Prachterscheinung eines Bergbewohners, einen Mann, der, wie eng sein Gesichtskreis sein mochte, von fast bedrückender Gewalt des Wesens war. Wer eines Führers bedurfte, nahm den lustigen Thöni mit, der, gefällig und kurzweilig, sich an das Wesen eines jeden anschmiegte und als ein fröhlicher Junge von einer gewissen Bildung auch das Wohlwollen der Frauen genoß.
»Hier ist es schön, entzückend schön,« schwärmten die Sommerfrischler und flüsterten sich zu: »Nur nicht ausbringen, was für ein Dorado wir gefunden haben, kennt erst die Welt St. Peter, dann seht nach, was im Bären die Forellen kosten.«
Weniger zufrieden waren die Dörfler.
Zuerst staunte man billig über die Weltleute, dann sagte man: »Wozu die Fremden? Zwar sind die Firnen und Gletscher der Krone noch nicht gefallen. Aber was noch kommen wird, weiß man nicht. Und man hat, seit die Welt steht, im Glotterthal zu essen gehabt, ohne ungebetene Gäste.«
Ueberall streckten die Sommerfrischler die Köpfe durch Fenster und Thüren, sie erkundigten sich nach Dingen, die niemand etwas angingen als die von St. Peter selbst. Die fremden aufgeputzten Weiber glaubten den Frauen des Dorfes gute Ratschläge über Wohnungslüftung und Kinderpflege geben zu sollen, sie zuckten zu manchen Dingen, die sie sahen, die Schultern und liefen durch die Aecker und Maiensässen, als ob das Land im Glotterthal herrenlos wäre.
Ein rotwangiger Springinsfeld, der sich kleidete wie ein Bajazz bei den Buden, die man an den Märkten zu Hospel sieht, stellte sich mit seinem Eisbeil vor ein paar Frauen, die auf dem Acker arbeiteten, und fragte: »Na, sagen's 'mal, wo sind denn die schönen Sennen und Sennerinnen, die vom Morgen bis zum Abend auf den Bergen stehen, die Hüte schwenken, jauchzen und jodeln, und ihre Schweizerlieder singen?«
»Meint Ihr, wir seien solche Narren!« antworteten die Weiber, »werken müssen wir, daß die Rippen auseinanderbrechen möchten. Aber hudlig sind wir nicht.«
»Ja, die Fremden sind ein verrücktes Volk,« meinte der Fenkenälpler, die dicke Bäliälplerin aber jammerte und zürnte: »Was mir geschehen ist! Kommt, wie ich an nichts denke und meiner Wege gehe, so eine Nichtsnutzin auf mich zu und sagt: ›Frau,