Grabkreuz in wahnsinniger Wut auf Josi Ios. Da geschieht etwas Entsetzliches.
Aus dem Felsengang stürzt Binia – sie stürmt an Josi vorbei – sie läuft unter das erhobene Kreuz des Kaplans – sie schreit flehentlich: »Schlagt mich, Kaplan – aber tötet meinen Josi nicht.«
Schon saust das Kreuz gegen das junge schöne Haupt hernieder und »Josi!« schreit Binia in Todesnot.
Da sinkt der Kaplan selbst.
Er stöhnt unter den Fäusten Peter Thugis, der ihn im letzten Augenblick niedergerissen hat.
Einige der verdutzten Männer machen Miene, dem Schwarzen zu helfen, aber jetzt ist Josi neben der in die Kniee gesunkenen blassen Binia, er hält in finsterer Entschlossenheit die Patrone hoch und sein funkelnder Blick hat den Stein schon erspäht, an den er sie schleudern könnte.
»Die Waffen weg, oder ihr fliegt!« schreit er.
Ein furchtbarer Augenblick, ein Mann gegen einen Schwarm – einzelne der Gestalten tauchen, wie Gespenster verschwinden, in das Schneegestöber zurück. – Die schwarzen Kreuze und Scheiter fallen in den weißen, reinen Schnee.
Nur der Glottermüller mit einem kleinen Häuflein steht noch, aber sie wagen keine That.
Da horch – der Hammer schlägt – er schlägt rasch und rascher, laut und lauter – und rings im Gebirgskreis bleibt es still – die Lawinen fallen nicht – es schneit nur leise und feierlich. – Die letzten Kreuze sinken – aus der Tiefe tönt der Ruf: »Josi, wir kommen – Josi, halte aus – die Hilfe ist da!« – Es ist Eusebi, der ruft. – Und durch den Schnee blitzen schon Waffen und Wehr. Wie Peter Thugi die erlösenden Zurufe hört, läßt seine Faust etwas von dem sich windenden Kaplan. Der kann entfliehen und springt in gewaltigen Sätzen bergwärts. Hinter ihm die letzten Kreuzträger.
Um Josi, der die halb ohnmächtige Binia im Arm hält, und Peter Thugi, den Freund, steht die Entsatzmannschaft, und Eusebi Zuensteinen vergießt die hellen Thränen der Freude, daß sein Schwager gerettet ist.
Josi dankt Peter auf den Knieen für die rettende That.
»Wer sollte es besser wissen, Josi,« erwidert Thugi, »was du für St. Peter gethan hast, als ich.«
Andächtig horchen die hundert Männer dem Schlagen des Hammers und schütteln Josi und Binia die Hand.
Ein sonderbarer Zug bewegt sich in dem fallenden Schnee thalwärts. – In der Mitte geht Josi, nicht wie ein Held, sondern wie ein Geschlagener – er weiß es, er muß mit Binia an ein Sterbebett treten. Und Binia schluchzt herzzerbrechend. Aber daß sie noch gehen kann, ist ein Wunder.
Wer ist der größere, Josi, der die Blutfron von St. Peter genommen hat, oder der Presi, der Vater, der bis in den Tod für sein Kind gekämpft hat?
Ja, ja, arme Bini, ruhige Jahre werden dir nun wohl thun, denn zuletzt verliert auch der Stahl seine Biegsamkeit und bricht.
Sie sehen den verwüsteten Bären; Josi ist bereit, noch heute den Gerichtsbeamten, die schon eingerückt sind, Rede und Antwort zu stehen.
Das Paar tritt in die Wohnung des Garden – es sinkt an das Bett des Presi.
Man hat ihm die Fenster öffnen müssen, damit er das Schlagen des neuen Hammers an den Weißen Brettern hört. Seitdem ist er ruhig und nun richtet er sich auf vom Lager. Er schluchzt – die dünnen Thränen fließen über seine abgehärmten Wangen. – »Seppi Blatter – Fränzi – ihr habt mir's nicht zu streng gemacht. – – Und Josi, wenn du wegen Thöni Grieg etwas auf dem Gewissen hast, – so nehme ich es dir ab.«
Da antwortet Josi: »Nein, Vater, ich bin frei von Schuld. Thöni Grieg ist zehn Schritt vor mir gestürzt.«
»Garde, ich habe den Bären angezündet,« spricht der Presi laut, dann murmelt er: »Und St. Peter habe ich lieb gehabt. – Seid glücklich – Josi – Bini.« Einen Blick unsäglicher Liebe noch wendet er auf das Paar – er sinkt zurück und der Todesengel schwebt durch das Haus.
Kapitel Zweiundzwanzig
Ein Trauerspiel im Bergland. Was die von St. Peter gethan haben, erscheint dem Bergvolke selbst, erscheint der Welt unbegreiflich. Das Dorf wollte den schlagen, der ihm die größte Wohlthat erwiesen hat, den es mit Ehren wie seinen Erlöser feiern sollte. Unbegreiflich? – Als ob der Wechselruf »Hosianna!« und »Kreuziget ihn!« nicht die Jahrhunderte herab durch die Blätter der Geschichte jauchzte und klagte. Als ob es nicht bis in die blühende Gegenwart hinein der Beispiele genug gäbe, wo nicht nur ein kleines, weltfernes Dorf, sondern große mächtige, gebildete Völker sich unter dem Druck eines Zwangsgedankens verwirren und eine Weile den Weg der Vernunft nicht finden können. Als ob die Gestalt des bösen Narren, des Kaplans Johannes, der hetzend die dunklen Regungen der Volksseele mißbraucht, nicht überall auf der Lauer stehe, um seinen Bettelsack aus der allgemeinen Verirrung zu füllen und seine nächtliche Seele in den Bildern des Schreckens schwelgen zu lassen. – –
In bebender Zerknirschung liegt St. Peter.
Jahrhunderte hat sein Völklein unter dem Donner der Lawinen friedlich und still gelebt, Geschlecht um Geschlecht hat männlich getragen, was eine übermächtige Natur an Gefahren und blutenden Opfern über sein Dasein verhängte. Im Schoß des stillen Lebens blühten innige Sitten und Bräuche, die Wunderblume der Sage hielt ihre Kelche offen und atmete ihre Düfte aus. Da führte ein Feuerkopf die Unruhe, die Hast einer neuen Zeit in die Enge des Thales, in die Schmalheit der Volksanschauungen. Die Dörfler sahen, was Eltern und Altvordern groß und heilig gegolten, von einem Schwarm leichter Menschen, der kein Verständnis für ihr eigenartiges Fühlen besaß, mißachtet, in den Stimmen der Lawinen hörten die Geängstigten den Zorn des Himmels reden. Und siehe da – die Wunderblume der Sage vergiftete ihren Duft. In Fleisch und Knochen schlich sich, von einem geheimnisvollen Narren vertragen, das Fieber des Aberglaubens.
Die Stimmung ist vorbereitet. – Da geschieht das Unfaßbare, daß einer vom Dorf das Verhängnis lösen will, das wie Gottes Züchtigung darüber schwebt – da ereignet sich das Schreckliche, daß ein verborgener Mord, so glaubt das Völklein, ans Tageslicht kommt – eine tragische Folge der Umstände schaltet alle Hemmungen der Vernunft aus.
So hat das Entsetzliche geschehen können! – –
Zwei Abgesandte der Regierung sind da; der Hammer an der rettenden Leitung schlägt, von einem Fest zur Einweihung des Werkes spricht niemand.
Eine unheimliche Stille brütet über St. Peter. Mächtiger als die ernsten Patrouillen, die das Dorf auf und ab schreiten, spricht es in die Gewissen, daß das schöne alte Haus zum Bären in schwarzen Ruinen aus der weißen feierlichen Schneelandschaft ragt. St. Peter ist ohne den Bären nicht mehr St. Peter. Wer hat die Flamme hineingeworfen? – In der Gemeindescheune halten die herbeigeeilten Gerichtsbehörden an einem Tisch die Verhöre, zu denen ihnen der Verrat Bälzis die Unterlagen bietet. Mit finsteren, trotzigen Mienen kommt Bauer um Bauer und antwortet auf die Fragen. Daß er Kreuze aus dem Kirchhof ausgerissen hat, giebt jeder zu. Den Ahornbund aber verrät keiner. Und keiner nennt den Brandstifter, die Untersuchungsbeamten aber bestehen darauf, daß es irgend einer vom Bunde sei, und halten den Verdacht auf den Presi für eine Ausflucht. Sie fassen einen heißen Groll gegen das verstockte Dorf und drohen mit langen Einquartierungen auf Kosten der Gemeinde.
Da tritt erschüttert der Garde herein: »Ich kann euch die Untersuchung erleichtern. Keiner von denen, die ihr verhört habt, hat den Bären angezündet. Das hat ein Vater für sein Kind gethan. Ich sage es euch im Auftrage des Presi Peter Waldisch, der soeben gestorben ist.«
O, die da sitzen und die Not eines Dorfes schreiben, sie haben den Presi schon gekannt, den gewaltthätigen Mann, der, die anderen alle um Haupteslänge überragend, nie klein gewesen in seinem Zorn, aber auch so groß in seiner Liebe, daß ihm die That wohl zuzutrauen ist.
Sie sprechen bewegt: »Immer war er der Presi – sich selbst getreu bis in den Tod – in der Enge der Berge, wo der gewaltige Mann überall anstieß, hat er werden