jetzt anfangen wollen.
Einen Augenblick ist es, als siege die Vernunft, der Garde und noch einige haben sich auf den Kaplan geworfen, haben ihn gefesselt und wollten den Tobenden abführen.
Da stiegt eine Nachricht herbei, die den letzten Funken der Besinnung löscht: »Wir sind verraten. – Die wehrfähigeMannschaft der vorderen Dörfer ist im Anzug – sie sind schon an der Brücke – sie helfen dem Rebellen – sie sind gegen die von St. Peter.«
Die Bestürzten bitten, drohen, sie kämpfen, sie machen den gebundenen Kaplan Johannes mit Gewalt frei: »Er allein kann uns jetzt helfen!« rufen sie. Er aber schreit, das Grabkreuz Seppi Blatters wieder ergreifend: »Vertraut mir, ihr Frommen. – Zu Allerheiligen erlöse ich euch alle – denn ich bin nicht Kaplan Johannes, wie ihr meint – sondern ich bin St. Peter, euer Schutzpatron, ich richte unter euch meine Kirche ein – und wer in den Himmel kommen will, folgt mir!«
Der helle Wahnsinn steht in den Augen des Schrecklichen, der sein Grabkreuz schwingt – die Hälfte der Dörfler weicht über die Gotteslästerung entsetzt von ihm zurück: »Wir haben uns einem Narren ergeben!« stammeln sie.
Zwanzig, dreißig Frauen aber, die noch in Furcht und Entsetzen an ihn glauben, scharen sich um ihn, eine Zahl Männer ahmen das Beispiel nach, doch viele unter ihnen verhalten sich schweigsam und drohend: »Wir gehen mit,« knurren sie finster, »denn nach allem, was sich ereignet hat, können wir nicht mehr zurück, aber wenn er uns ins Unglück führt, ist er der erste, der fallen muß.« – –
Siegesgewiß lächelt der wahnsinnige Kaplan: »Kommt, kommt, ihr Getreuen – an den Weißen Brettern wird sich das Glück der Gemeinde erfüllen.«
»Auch Ihr, Peter Thugi?« – Der Garde, der den Mut verloren hat, sagt es traurig und vorwurfsvoll. –
»Garde,« erwidert der junge Mann, »wenn Josi oder Binia ein Härchen gekrümmt wird, so kehre ich nicht zurück zu meinen Kleinen – mich schämt das Leben an, wenn er untergehen soll, der mich gerettet hat!«
Der Zug der Verzweiflung zieht, während es leise zu schneien beginnt, in die Nacht.
Umsonst hat der Garde noch einmal geredet – jetzt sitzt er still in seiner Wohnung und weint über seine verirrte Gemeinde.
Vroni steht tröstend bei ihm, aber ihr ist todesangst um Binia. Die alte Sage!
Eusebi kommt so lange mit der Hilfe nicht.
Da horch! Gleichmäßige, taktfeste Schritte von Männern schallen von der Straße, die sich mit dem Flaum des fallenden Schnees bedeckt. In guter Ordnung rückt die waffenfähige Mannschaft der äußeren Dörfer in St. Peter ein, die Befehle tönen ruhig durch die Nacht, im Haus des Garden atmet man auf aus grimmiger Not.
»Wo ist mein Mann, Eusebi Zuensteinen?« fragt Vroni die Ankommenden.
»Mit dem ersten Zug der Unsrigen ist er vor dem Dorf an die Weißen Bretter empor geschwenkt. – Josi Blatter darf nichts geschehen,« antworten die Männer.
Draußen im Lande weiß man es: Das Werk Josi Blatters ist gut. Mit denen von St. Peter aber, die man schon lange als harte, abergläubische Köpfe kennt, muß man scharf rechnen, sie haben mit dem, was heute geschehen ist, die Ehre des ganzen Berglandes beleidigt.
Daß Josi Blatter, der Held der heligen Wasser, ein Mörder sei, will niemand glauben; daß die von St. Peter sich unter die Anführung des verrückten Kaplans stellten, den man als einen gemeingefährlichen Vagabunden kennt, daß sie nach dem Leben eines durch seine Rechtschaffenheit und Schönheit bekannten Mädchens trachten, erfüllt die Mannschaft mit solcher Wut, daß die Führer Mühe haben, sie von unüberlegten Thaten gegen die Dörfler zurückzuhalten.
Morgen wird aber ja schon die gerichtliche Untersuchung walten, bis in die Stadt ist man durch Eusebi und den Pfarrer über den Plan derer von St. Peter unterrichtet und empört.
Wenn den zwei Liebenden ein Leid geschähe, wehe dann dem Dorf.
Nun aber sind die Männer enttäuscht – in St. Peter brennen nur wenige Lichter – wo sie eintreten, treffen sie nur betende Frauen – aber keinen Mann, der Auskunft über die Ereignisse des Tages gäbe.
Endlich greifen sie einen auf – den betrunkenen Bälzi, der in seinem Rausch den schrecklichen Ahornbund verrät. Sie sperren den Gefesselten in die Gemeindescheune.
Da bringen einige von jenen, die mit Eusebi an die Weißen Bretter emporgestiegen sind, auf einer Notbahre von Tannenreisern einen Mann. Die erste falsche Nachricht sagt, es sei Josi Blatter, der erschlagen worden sei, aber es ist der Presi, der machtlos röchelt.
»Wohin mit ihm?« fragen die Träger. – »In mein Haus,« erwidert der erschütterte Garde, und wie er in das Gesicht seines Freundes blickt, da weiß er, daß er einen vor sich hat, der nicht mehr lange leben wird.
Auf dem Weg zu seinen Kindern ist der Presi hilflos zusammengesunken.
Da liegt er nun in der Kammer des Garden, aber er kann nicht sterben: »Mein Traum,« stöhnt er, »mein entsetzlicher Traum – dazu die alte Sage, daß eine Jungfrau bluten muß, ehe St. Peter von der Wasserfron erlöst ist. Garde, seht Ihr nicht – meine arme Bini blutet.«
In schrecklichen Gesichtern lebt der Sterbende.
»Ich kann nicht selig werden, es sei denn, ich wisse meine Bini mit Josi glücklich und daß er unschuldig ist. Nur kein Fluch von mir in ein folgendes Geschlecht. – Seppi Blatter – Fränzi – macht es mir nicht zu streng.«
Der Garde hält die Hand des Bebenden, selbst ein unglücklicher Mann, fühlt er verzehrendes Mitleid mit ihm und tröstet: O Presi – es leben allerdings mächtige Wahrheiten in den alten Sagen, in Träumen wohnt tiefer Sinn, aber glaubt, eine Vatertreue, wie die Eure, vermag die verhängten Schicksale zu brechen. Es wird Euch vor Gott groß angesehen sein, daß Ihr Euer Kind in dem Augenblick, wo Ihr seiner bedurftet, dahin ziehen ließet, wo seine Sicherheit und sein Glück liegen, – daß Ihr die Folgen einer unglücklichen Stunde vor dem erregten Volk selber tragen wolltet, – daß Ihr Eure letzte Kraft dahin wandtet, wo Ihr glaubtet. Eure Kinder hätten Eures Schutzes nötig. Presi, gebt die Hoffnung nicht auf.«
So tröstet der treue Freund feierlich und unablässig und zitternd horcht der Presi.
Der Garde, der es spürt, wie das Leben seines Freundes schwinden will, sagt: »Ihr habt mehr gethan – um sie zu retten, habt Ihr das Haus, das Euch lieb war wie Euer Leben, in Brand gesteckt. Bekennt es nur!«
Aber der Sterbende verzerrt sein Gesicht und knirscht. Mit tiefem Kummer sieht es der Garde: Sein Freund ist noch der alte Presi. Er würde, wenn er seine Kinder nicht mehr sähe, mit einem schrecklichen Geheimnis ins Grab steigen und auf St. Peter den Verdacht der Brandstiftung ruhen lassen.
»Bekennt Ihr,« fragt der Garde, »wenn Josi und Binia unversehrt durch diese Thüre treten?«
Da schluchzt der Presi, aber er schweigt.
»Josi und Binia sind unschuldig – es kann ihnen nichts geschehen – jetzt nicht und vor Gericht nicht – ich werde mit ihnen kämpfen – sie müssen glücklich werden, die so viel gelitten haben!«
So mahnt und tröstet der Garde, und aus seiner vollen Brust strömt der Glaube in die Brust des Presi über, ergebungs- und hoffnungsvoll erwartet er, während seine Pulse schon schwächer und schwächer gehen, die Botschaft von den Weißen Brettern.
Ehe er weiß, wie es sich an den heligen Wassern entschieden hat, kann er nicht sterben.
Kapitel Einundzwanzig
Zu Josi!« Durch die letzten Bergastern, durch die öden herbstfalben Weiden schwankt Binia langsam empor – empor – sie folgt, ohne daß sie es weiß, dem Weg, den sie mit dem Vater gegangen ist. Oft steht sie still, dann greift ihr Fuß, indem sie flüstert: »Zu Josi!« wieder mechanisch aus. Dann blickt sie wieder zurück in die Nebel: »Vater – Vater!« Die Kindesliebe zieht sie zurück. Doch sie geht wieder