viel heller als der Brillant auf der rotgemusterten Krawatte, und das stumpfe Gesicht erhielt einen Schimmer von Verklärung und Stolz, dass es fast interessant aussah.
„Sie sollten sie sehen, Herr Direktor — nur einmal im Zirkus. Es gibt keine zweite Parforcereiterin wie sie. Sie ist der Liebling des Zirkus Brotti-Wellhoff. Der Direktor hat eben erst unseren Vertrag verlängert, unter den günstigsten Bedingungen. Und das nicht etwa meinetwegen, obwohl ich Jockei nicht schlecht mache, und nicht meiner Frau wegen: Miss Jeannette, Herr Direktor, sie arbeitet auf dem Panneau — nein, der Elli wegen, so heisst sie: Elli Korz. Und er weiss wohl, was er tut. Sie macht ihm den Zirkus jeden Abend voll bis unter das Dach. Wenn sie nicht arbeitet, dann ist es leer.“
„Und ist sie auch eine ebenso gute Tochter, die Miss Ellida?“
Die grünen Augen strahlten dem Direktor ins Antlitz.
„Ja, auch das, eine gute Tochter, eine sehr gute Tochter! Sie wird einst für uns arbeiten, dass wir Ruhe haben im Alter,“ und Herr Korelli strich die aufsässigen Haare mit einer schnellen Handbewegung herunter.
„Aber nun, Herr Korelli, wenn ich noch einmal fragen darf: Was verschafft gerade mir die Ehre?“
„Herr Direktor“ — und Herr Korelli raffte sich mit einer energischen Bewegung zu der früheren, stolzen Haltung empor. „Der Elli wegen komme ich zu Ihnen. Sie ist unser einziges Kind. Allerdings ein kleines haben wir noch, aber das arbeitet nicht, ich zähle es deswegen nicht mit. An der Elli aber haben wir nichts gespart. Sie ist anders erzogen als die Mädchen vom Zirkus. Sie hat einen guten Unterricht genossen —“
„Wie war das aber möglich ... bei Ihrem stets wechselnden Aufenthalt?“
„Das war so schlimm nicht, Herr Direktor. Wir arbeiten immer nur bei grossen Gesellschaften. Die Korellis haben sich nie mit kleinen abgegeben. Bei Brotti-Wellhoff sind wir schon fünf Jahre, bei Schumann waren wir sogar zehn. Da hat sie ein Musiker aus der Zirkuskapelle in den Anfangsgründen unterrichtet, zusammen mit der Tochter des Direktors — er war früher Lehrer an einer Volksschule und wurde wegen irgendwelcher Dummheiten entlassen. Und nun, Herr Direktor, nun meint meine Frau, die Elli müsse noch etwas mehr Bildung erhalten.“
„Ihre Frau stammt auch aus einer Kunstreiterfamilie?“
„Ach nein, Herr Direktor — das ist ja eben die ganze Sache! Meine Frau stammt aus einem sehr guten Hause. Sie mag nicht, dass man darüber spricht, aber ihr Vater war Offizier.“
„So, so, nun verstehe ich: Nun wünscht Ihre liebe Frau —“
„Dass die Elli hier, wo wir voraussichtlich bis Weihnachten bleiben, noch einige Stunden bekommt — so in allgemeiner Bildung, wie meine Frau sagt. Und da wollte ich mir nun die Frage erlauben, ob Sie vielleicht, Herr Direktor, diese Stunden geben könnten?“
Der Direktor lachte.
„Ich?! Wo denken Sie hin, mein guter Herr Korelli, ich habe genug zu tun und kann mich nicht auf Privatstunden einlassen, selbst bei Ihrer Tochter nicht.“
„Sie sollten sie nur kennen lernen,“ und die kleine Gestalt des Kunstreiters hob sich in selbstbewusstem Stolze in die Höhe — „aber freilich, das sagte auch schon meine Frau, Sie würden wohl keine Zeit dazu haben. Aber vielleicht, meinte sie, ein Lehrer aus Ihrer Schule —“
Dem Direktor schoss ein schneller Gedanke durch den Kopf. „Das wäre vielleicht nicht unmöglich. Aber auf eins muss ich Sie von vornherein aufmerksam machen, Herr Korelli: solche Privatstunden sind natürlich nicht billig.“
Herr Korelli zuckte geringschätzig die Achseln.
„Wir haben achtzehnhundert Franks Monatssalär, Herr Direktor, und für die Elli ist uns nichts zu teuer.“
„Nun gut, ich werde mir die Sache überlegen. Morgen um diese Zeit können Sie sich Bescheid holen.“
„Meine Frau wird kommen. Sie wollte eigentlich heute schon mitgehen. Servus, Herr Direktor — ich danke Ihnen — Servus!“
Dieselbe Grandezza in der Verbeugung, ein Händedruck, der künstlerische Herablassung zeigte, und ebenso eilig, wie er gekommen, hatte Herr Korelli das Zimmer verlassen.
Direktor Wöhrmann liess seine gesamte Lehrerschaft an seinem geistigen Auge vorüberziehen. Aber wie den rechten Mann finden für eine immerhin heikle Aufgabe? — —
Mit einem Male warf er den Kopf mit einer raschen Bewegung zurück.
„Ich hab’s! Er ist gefunden. Doktor Mollinar! Du bist der Mann dazu! Ja, du, Kollege Mollinar, der du die Kinder aus dem Schlafe aufschrickst, wenn du mit deinem strengen Antlitz ihnen im Traume der Feriennächte erscheinst, du, der du mich in meiner ersten Klasse spielend aus dem Sattel hobst — du und kein anderer!“
Er schrieb einige Zeilen und klingelte dem Pedell.
„Diesen Brief an Herrn Doktor Mollinar! Aber sogleich, er hat Eile!“
2.
Am nächsten Tage trat Doktor Mollinar in das Zimmer seines Direktors. Eine gedrungene, vierschrötige Gestalt mit herabhängenden Schultern. Auf dem kurzen Halse ein eckiger Kopf mit platter Nase. Die Lippen bartlos, die Mundwinkel tief gestellt und scharf ausgeprägt, wie man sie bei Predigern oder Schauspielern findet, das Kinn hervorstehend und mit einem dünnen Flaum schwarzer Haare bedeckt.
Aber dann die ganze Erscheinung beherrschend: zwei dunkelgraue Augen unter mächtigen Brillengläsern. Sie gaben den unregelmässigen Zügen die eigentümliche Strenge und die anziehende Männlichkeit.
„Sie haben meinen Brief erhalten, Herr Kollege —“
„Ich komme deswegen.“
„Und Ihre Entscheidung?“
Doktor Mollinar zuckte die Achseln.
„Lächerlich,“ sagte er.
„Was ist lächerlich?“
„Die ganze Geschichte — eine Kunstreiterin und höhere Bildung? Sie sollte zufrieden sein, wenn sie ihre Sprünge machen kann. Ich habe Wichtigeres zu tun.“
„Verzeihung, Herr Direktor, aber die Tür war offen.“
Eine Dame sagte es, deren Eintritt die beiden in ihrem eifrigen Gespräche nicht bemerkt hatten.
Es war auch kein Wunder, denn die Fremde hatte einen schwebenden Gang. Sie schien die letzten Worte des Gesprächs, die Doktor Mollinar gegen seine Gewohnheit mit lauter Stimme gesprochen, wohl gehört zu haben; ihr Antlitz deckte ein dichter Schleier bis an die feingeschwungenen Lippen, aber in dem leisen Tone, mit dem sie sprach, lag etwas Scheues, Eingeschüchtertes.
„Mein Mann hat mir gesagt, ich sollte mir heute bei Ihnen Bescheid holen — wegen meiner Tochter.“
„Ah, Frau Korelli, ich bitte sehr,“ und Direktor Wöhrmann wies auf das Sofa, auf das er nicht alle Mütter Platz nehmen liess, „nein, Kollege Mollinar, Sie stören nicht, ich bitte Sie, zu bleiben; die Angelegenheit geht Sie ja auch an — ja, Ihr Gatte war gestern bei mir und ich habe ihm versprochen, dass ich mich der Sache annehmen will —“
„Ich bin Ihnen dankbar. Das arme Kind hat sonst ja auch niemand —“
„Es hat seine Eltern.“
„Ja, Herr Direktor — aber wenn Vater und Mutter jeden Vormittag zur Probe gehen und Abend für Abend selber arbeiten müssen —“
„Doch Ihr Gatte sagte mir —“
„Ach, er ist so stolz auf seine Tochter. Aber eine Mutter sieht so etwas doch anders an.“
„So macht Ihnen Ihre Kunst keine Freude?“
„Freude, Herr Direktor — Freude?“ Sie sah ihn mit Erstaunen an, „unsere Arbeit ist sehr nüchtern, sie ist uns Broterwerb wie dem Handwerker sein Tagewerk, und wenn man wie ich seit zwanzig Jahren jeden Abend arbeiten und immer und immer dasselbe Lächeln zeigen