Artur Brausewetter

Dr. Mollinar und seine Schülerin


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— eine Freude, Herr Direktor, ist das nicht.“

      „Und dazu hat Ihr Beruf viele Gefahren.“

      „Gegen die stumpft man ab. Wer sein Kind diese halsbrecherischen Künste hat lernen sehen von Anfang bis zu Ende, unter Peitschenhieben oft, der wird hart gegen die Furcht. Zwar für die Elli zittere ich manches Mal, sie reitet ein so scheues Pferd. — Aber für mich? — Was sollte ich auch fürchten?“

      Eine leise Schwermut sprach aus ihren Worten; die schmale, nervöse Hand nestelte an dem einfachen Kleide herum.

      „Und Ihre Tochter ist ganz furchtlos?“

      „Sie lacht über jede Furcht. Freilich, sie ist unter den Reitern geboren und gross geworden. Das ist etwas anderes als bei mir; das geht ins Blut und bleibt im Blute.“

      Eine kurze Pause entstand in dem Gespräch.

      „Als ich dies Kind gebar,“ fuhr dann Frau Korelli fort, „musste mein Mann mir versprechen, dass es erzogen werden sollte wie ein anderes Menschenkind. Zwar macht die Elli es mir nicht leicht mit ihrer Erziehung. Sie will nichts gelten lassen als den Zirkus und ihre Arbeit. Und dann, Sie wissen nicht, wie man das Kind umschmeichelt und verwöhnt! Wenn man ihr jetzt noch einigen Unterricht gäbe, wenn man einen Lehrer für sie gewänne, der —“

      „Ich verspreche Ihnen, dass ich tun werde, was in meinen Kräften steht.“

      Die Kunstreiterin war gegangen, die beiden Männer waren allein.

      „Was sagen Sie nun, Herr Kollege?“

      „Dass die Kunstreiterinnen auch Komödiantinnen sind. ‚Die Kultur, die alle Welt beleckt, hat auf den Zirkus sich erstreckt,’ möchte man Goethe verändern. Und ob die gute Dame recht hat, dass solche angelernte Bildung den Menschen besser macht, möchte ich für mein Teil in Zweifel zu ziehen mir erlauben.“

      „Wieder Ihre alten Ketzereien!“ rief der Direktor. Aber ich sage Ihnen etwas anderes, Herr Kollege Mollinar, nämlich dies: Wenn Sie den Unterricht für dieses Mädchen auch jetzt noch ablehnen, nachdem Sie gesehen haben, wie ernst es der Mutter um ihn ist, dann übernehme ich ihn selber, trotz der geringen Zeit, die ich gerade jetzt übrig habe.“

      Doktor Mollinar zuckte die Achseln. Die Strenge auf dem bleichen Antlitz nahm in diesem Augenblick einen fast finsteren Ausdruck an, aber die linke Hand, die auffallend klein war für den starken Körper, kraulte einige Male mit merklicher Unruhe in dem dünnen Bartflaum des Kinnes.

      „Wenn die Komödie denn einmal gespielt sein soll,“ sagte er zögernd, „so will ich sie in Szene setzen. Ihre Zeit ist mir zu schade dazu. Aber um eins muss ich Sie vorher bitten.“

      „Und das wäre?“

      „Dass Sie gütigst mit niemand über diese Sache sprechen — ich mache mich nicht gern lächerlich.“

      3.

      „Guten Tag, Mutter!“

      „Guten Tag, Fritz!“

      Mutter und Sohn pflegten sich nie weitläufiger zu begrüssen. Es schien dies zwischen beiden wie ein schweigendes Abkommen, das jedes überflüssige Wort verpönte.

      Auch jetzt wurde Fritz nicht gefragt, wo er gewesen, was er getan und gelassen hatte. Die alte Frau, die im altmodischen Lehnstuhle an ihrem gewohnten Fensterplatz sass, wandte schwerfällig das Haupt und nickte dem Eintretenden zu. Dann vertiefte sie sich aufs neue in die Abendzeitung, die eben angekommen war. Fritz aber trank seinen Kaffee und las dazu in einem Buche, das er sich mitgebracht.

      In einer Wandnische, dem alten Lehnstuhle der Matrone am Fenster gegenüber, so dass sie ihr stets vor Augen war, hing eine Photographie im breiten, schwarzen Rahmen; ein frischer Kranz von herbstlich gefärbtem Laub umgab sie. Sie stellte einen Geistlichen im Talare dar, die Bibel in den starken Händen haltend. Auf dem eckigen Gesicht mit den hohen Wangenknochen lag weltentfremdete Aszese; streng richtend fast blickten die klugen Augen unter den buschigen Brauen herab; nur um den Mund, der mit den feingeschnittenen Lippen in dieses grobe Antlitz kaum zu passen schien, stahl sich ein leiser Zug von Schwärmerei, aber auch diese Schwärmerei hatte etwas Herbes, Weltfeindliches.

      Das war der Mann, dem Frau Mollinar vierzig Jahre ihres Lebens gedient hatte, nicht wie ihrem Gatten, sondern wie ihrem Herrn, zu dem sie jetzt emporblickte wie zu einem Gotte, der Mann, dem zuliebe sie ihr ganzes Wesen umgebildet hatte, denn aus dem einst lebhaften, weltliebenden Mädchen war die schweigsame und strengdenkende Pfarrfrau geworden, die Mutter, die ihr einziges Kind von früher Jugend an genau nach dem Wesen und den Eigentümlichkeiten ihres Mannes zu bilden suchte, die an diesem Sohne eins immer noch nicht verschmerzt hatte: dass er nicht ein Pastor geworden war wie der selige Vater.

      *

      Die Dämmerung hatte zugenommen. Die alte Therese, die bereits auf der Landpfarre in Wurow eine lange Reihe von Jahren gedient hatte, brachte die Lampe und einen Brief für die „Frau Pastorin“, wie sie ihre Herrin immer noch nannte.

      „Von Gabriele! Endlich einmal. Besinnst du dich noch auf sie?“

      „Mutter, welche Frage!“

      Kaum war der Name genannt, da stieg vor seinen Augen ein Kinderbild empor aus ferner Jugendzeit: Gabriele Hellwig, die Tochter des Besitzers von Wurow, des Kirchenpatrons seines Vaters, der zugleich sein treuester Freund gewesen.

      So war die kleine Waise nach dem frühen Tode der Eltern in das Haus des Pastor Mollinar gekommen und dort jahrlang wie das eigene Kind erzogen. Als Student und später als Kandidat hatte er viel mit ihr gespielt und keinen Menschen so lieb gehabt wie dies Kind.

      Lebhaft stand sie jetzt vor ihm, wenn sie die goldenen Locken schüttelte, dass sie um den Hals flogen. Bis aus den Kinderlocken der Zopf des Backfisches wurde, und Gabriele in die nahe Stadt zur Erziehung musste.

      Von da ab sah er sie nur noch, wenn sie einmal zusammen in ihren Ferien zu Hause waren. Dann war der Vater gestorben, die Mutter hatte das Pfarrhaus verlassen und war in die Stadt gezogen, von Gabriele hatte er lange nichts gesehen; nur selten einmal hatte die Mutter ihm einen Gruss aus ihrem Briefe bestellt. — Welche Wege mochte sie gegangen sein, welche Bahnen ihre Entwicklung eingeschlagen haben?

      Sie versprach so viel in ihrer kindlichen Frische und Ursprünglichkeit.

      Er war seitdem nie wieder einem weiblichen Wesen nähergetreten in seinem arbeitsreichen Leben, das dem Berufe gehörte und seiner alten Mutter.

      „Fritz!“

      „Mutter!“

      „Gabriele schreibt mir, dass sie das Gymnasium durchgemacht. Sie will nun hierherkommen, um zu studieren.“

      „Was will sie studieren?“

      „Sie will Oberlehrerin werden!“

      Fritz zuckte die Achseln.

      „Sie fragt nach einer passenden Pension.“

      „Es gibt deren genug, ich werde es Direktor Wöhrmann sagen.“

      „Noch nicht — sie fragt nur vorläufig an. Ich wollte etwas anderes wissen.“

      „Was denn?“

      „Ob wir sie nicht auffordern müssen, zu uns zu kommen?“

      Da verfinsterten sich die Züge des Doktors.

      „Mutter — unsere stille, gemütliche Häuslichkeit!“

      „Ich frage dich ja nur, mein Sohn. Bestimme du, wie du willst, vergiss nur eins nicht: dass sie das Patenkind unseres seligen Vaters ist.“

      „So schreibe ihr, dass sie bei uns wohnen kann,“ sagte der Doktor und beugte sich wieder über sein Buch, während Frau Mollinar einen grossen Strickstrumpf zur Hand nahm. Nichts hörte man in dem weiten Raume, als das gleichmässige Klappern der Nadeln und das Knistern des Papiers, wenn der Doktor eine Seite umschlug.

      *

      Da trat wiederum Therese in das Zimmer.