Joe Barry

Privatdetektiv Joe Barry - Todeskuss von Lily Belle


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des Camps gewartet. Jeder Truck war mit vier Mann besetzt.

      Sie erreichten den Schlagbaum, öffneten ihn und fuhren weiter. Etwa eine halbe Meile vor dem Camp bogen sie in einen schmalen Weg ein und erreichten kurz darauf den Drahtzaun, der das Lager umgab. Normalerweise patrouillierten hier Posten, aber jetzt war keiner zu sehen.

      „Das klappt ja prächtig“, murmelte der hochgewachsene Mann in dem ersten Truck, der das Unternehmen leitete. Er trug als einziger einen Straßenanzug, während die anderen in Overalls steckten.

      Die Trucks brummten über den Weg, der am Zaun entlangführte, und stoppten schließlich. Auf der anderen Seite des Zaunes breiteten sich einige Steinbaracken aus. Weit und breit war kein Posten zu sehen.

      Das Camp war sehr weitläufig angelegt, und der Exerzierplatz eine gute Meile entfernt. Dort standen sie jetzt alle, auch die Posten. Die Verantwortung für diesen Verstoß gegen die Dienstvorschriften hatte der Mann übernommen, der sich Colonel Andrews nannte.

      Die Männer sprangen von den Wagen und brachten Drahtscheren zum Vorschein. Innerhalb weniger Minuten hatten sie ein, großes Stück aus dem Zaun herausgeschnitten. Die Trucks wendeten und schoben sich rückwärts durch die Lücke, bis unmittelbar vor die Steinbaracken. Die Ladeklappen wurden geöffnet. Inzwischen hatten andere schon das Tor der ersten Baracke aufgebrochen. Die Zivilist, der das Kommando anführte, warf seine Zigarre weg und stelzte herbei. Prüfend wanderte sein Blick über die Reihe der im Inneren der Baracke aufgestapelten Kisten.

      „Die da sind die richtigen“, sagte er und bezeichnete einen Stapel länglicher Kisten.

      Sofort begannen die Männer, die Kisten herauszutragen und auf die Trucks zu verladen. Der Anführer warf einen Blick auf seine Uhr. Es war kurz nach achtzehn Uhr.

      „Beeilt euch, Leute!“ drängte er. „In zehn Minuten müssen wir verschwinden.“

      Die Männer arbeiteten fieberhaft. Kiste um Kiste wurde herausgetragen und in den Trucks verstaut.

      Inzwischen ging der Mann im Straßenanzug zur nächsten Baracke und inspizierte das Tor. Es war genau wie das erste mit einem modernen Sicherheitsschloß versperrt. Er brachte einen Spezialdietrich zum Vorschein und fingerte eine Weile daran herum. Dann öffnete er das Tor so mühelos, wie man ein Brötchen aufschneidet. Bei dieser Prozedur trug er Handschuhe.

      Der Torflügel schwang auf und gab den Blick auf das Innere der Baracke frei. Sie war leer.

      Er nickte vor sich hin und sah auf die Uhr.

      „Noch fünf Minuten!“ rief er.

      Die Männer verdoppelten ihre Anstrengungen. Er sog nachdenklich an seiner Zigarre und beobachtete die Umgebung. Nichts rührte sich. In den Bäumen zwitscherten die Vögel. Der Appellplatz war weit und von hier aus nicht zu sehen. Bäume versperrten die Sicht.

      Nach einem erneuten Blick auf die Uhr ging der Mann hinüber zu dem Truck, wo einer seiner Leute die Anzahl der Kisten in eine Liste eintrug.

      „Wieviel haben wir, Sam?“

      „Gleich zweihundert!“

      „Das reicht. Machen wir Schluß!“

      Kommandos schwirrten durch die Luft; die Ladeklappen wurden geschlossen. Die Männer sprangen auf die Trucks. Ihr Anführer warf einen letzten Blick auf den Schauplatz und schwang sich dann in das Fahrerhaus des ersten Trucks.

      „Abfahren, Sam!“ schnarrte er.

      Zwei Minuten später hatte sich das Motorengeräusch der Trucks hinter den Bäumen verloren.

      *

      Eine Viertelstunde später war der Appell vor der Kommandeursbaracke beendet. Dann gab es noch eine Verzögerung, weil die Wachablösung unmittelbar bevorstand. Die Männer, die an sich noch Dienst hatten, wollten nicht mehr auf Posten gehen, und die Ablösung fand, daß es keinen Grund gab, den Dienst zu früh zu beginnen.

      Die Zugführer schlichteten den Streit und schickten die Posten hinaus. Murrend folgten die Leute. Postenstehen in Camp Morehouse war eine höchst langweilige Angelegenheit. Es passierte doch nie etwas.

      Um genau neunzehn Uhr fünfzehn tauchte Soldat Ronny Regan vor den Steinbaracken auf. Er hatte den Helm zurückgeschoben, das Gewehr lässig auf den Rücken gehängt und gedachte, eine ruhige Kugel zu schieben.

      Er merkte trotzdem, daß etwas nicht stimmte. Er sah das offene Tor und die Lücke im Zaun, sperrte den Mund auf und dachte angestrengt nach. Das Ergebnis dieser Überlegungen war dergestalt, daß er den Mund nicht mehr zubekam.

      Fünf Minuten später war Captain Holmes informiert. Der Captain schlug ein halbes Dutzend Saltos und brachte binnen drei Minuten das gesamte Lager auf Trab. Dann schoß er ans Telefon. Aber er mußte feststellen, daß die Leitung gestört war.

      So jagte er einen Jeep nach Morehouse Village.

      Es verging wertvolle Zeit, bis das Oberkommando, die Polizei, FBI, CIC und CIA von dem erfuhren, was die New Yorker Zeitungen später den „unverschämtesten Armeeeinbruch des ganzen Jahrhunderts“ nannten.

      Die Gangster hatten an diesem Tag fast zweitausend Armeekarabiner erbeutet. Legte man einen Stückpreis von hundert Dollar zugrunde, betrug der Wert der Beute zweihunderttausend Dollar. Auf dem freien Markt — ganz besonders in gewissen heißen Gegenden der Welt — lag er vermutlich noch beträchtlich höher.

      2. Kapitel

      Das Telefon schrillte, und Privatdetektiv Joe Barry, der Mann, der unter dem Gütezeichen Privatdetektiv Joe Barry der bestgehaßte Mann der New Yorker Unterwelt geworden war, hob den Hörer ab.

      „Joe, ich muß dich unbedingt sprechen“, sagte die Sexbombe am anderen Ende der Leitung. Ihre Stimme ließ keinen Zweifel daran, daß sie eine war. Es gibt das gewisse untrügliche Merkmale.

      „Tatsächlich?“ sagte er und überlegte. Die Stimme kam ihm bekannt vor, aber wer, zum Teufel, war es?

      „Erinnerst du dich denn nicht mehr an mich?“ hauchte sie.

      „Wie wär’s mit einem Tip?“

      „Silvester 1965.“

      „Jane!“ rief er. „O ja, jetzt weiß ich Bescheid. Es war ein rauschendes Silvesterfest.“

      Er hatte Jane damals kennengelernt. Ein Freund von ihm, Bill Simons, der bei der Zeitschrift „Daily New Yorker“ Polizeireporter war, hatte eine Silvesterparty veranstaltet, und dort hatte Joe die Schöne kennengelernt. Sie war mit einem Offizier der Home Guard gekommen. Wie hieß der Bursche noch? Richtig, Captain Holmes.

      „Wo steckst du jetzt?“

      „Ich bin wieder in New York. Ich habe mir eine Wohnung in Brooklyn gemietet, ein hübsches kleines Apartment.“

      „Warst du denn weg?“

      „Ich war ein Jahr in Los Angeles.“

      „und was hat dein Captain dazu gesagt?“

      „Holmes? Oh, der war nicht sehr begeistert davon. Aber warum unterhalten wir uns am Telefon. Hast du nicht Lust, auf einen Sprung herüberzukommen? Ich möchte gern meine neue Wohnung einweihen, und kein Mensch ist da. Allein feiert es sich schlecht. Ich habe eine Flasche französischen Champagner da.“

      „Klingt nicht schlecht. Wie ist die Adresse?“

      „Park Heights 1018“, sagte sie.

      „Schön. Ich bin in einer Viertelstunde bei dir.“

      *

      Jane wohnte in einem modernen Apartmenthaus in der teuersten Gegend von Brooklyn, mit Blick auf den East River und die Skyline von Manhattan. Sie öffnete ihm, und Joe mußte sein Gedächtnis korrigieren. Er hatte sie als bildhübsch in Erinnerung, aber sie war mehr als das. Sie war eine Schönheit.

      Er brachte ein eingewickeltes Paket zum Vorschein.

      „Ich habe