Joe Barry

Privatdetektiv Joe Barry - Todeskuss von Lily Belle


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rief er. „Wer war es?“

      Mühsam bewegte der Captain seine Lippen. Ganz dicht mußte Joe sein Ohr heranbringen, um die gehauchten Worte zu verstehen. Zwei waren es nur.

      „Lily Belle“, stöhnte Holmes. Dann bäumte er sich auf und sackte in sich zusammen.

      Jo spürte, daß seine Hände feucht waren. Er sah sie an. Sie waren rot von Blut.

      Er sah Holmes an. Sah den Messergriff, der aus seinem Rücken ragte.

      Sah, daß Holmes tot war.

      In diesem Augenblick glitten die Türen des Fahrstuhls zusammen, und der Lift setzte sich aufwärts in Bewegung. Joe sah, wie die Lichtpunkte auf der Skala nach oben wanderten, bis wieder die Vier aufleuchtete. Dann erlosch das Licht.

      Seine Gedanken arbeiteten mit der Schnelligkeit eines Computers. Es war klar, daß Holmes zu ihm gewollt hatte. Der Mörder hatte ihn verfolgt und in der vierten Etage, unmittelbar vor Jos Wohnung, zugeschlagen.

      Irgendwie hatte Holmes es noch geschafft, in den Lift zu kommen und abzufahren, ehe der Mörder das verhindern konnte. Vermutlich hatte er das Messer geworfen, als Holmes gemerkt hatte, daß Joe nicht zu Hause war und wieder nach unten fahren wollte. Dann hatte der Mörder auf den Liftknopf gedrückt — eine ganz natürliche Reaktion. Und das ließ nur einen Schluß zu.

      Der Mörder war noch im Haus.

      Jo zögerte keine Sekunde. Er holte seinen Schlüssel aus der Tasche und blockierte den Fahrstuhl. Daß er einen Schlüssel zum Lift hatte, entsprach einer Privatabsprache zwischen ihm und Mac, dem Hausmeister. Der Hausbesitzer wußte nichts davon.

      Damit war dem Mörder dieser Fluchtweg versperrt. Im nächsten Augenblick stürmte Joe die Treppen empor. Das Apartmenthaus in der Gun Hill Road 234 war zum Glück übersichtlich gebaut. Sämtliche Flure ließen sich vom Treppenhaus aus überblicken. Natürlich bestand die Möglichkeit, daß der Killer in einer der Wohnungen Unterschlupf gefunden hatte, aber Joe hielt das für unwahrscheinlich. Er kannte sämtliche Bewohner des Hauses seit Jahren.

      In der vierten Etage hielt er inne und sah sich um. Es war nichts Verdächtiges zu bemerken. Im Haus herrschte Stille. In der Gun Hill Road 234 gab es keine Frühaufsteher.

      Jo stieg weiter empor und erreichte die Dachetage. Auch hier war nichts Verdächtiges festzustellen. Er stieg die eisernen Sprossen hoch, die auf das Flachdach führten. Der Zugang zum Dach war mit einer Luke verschlossen, die normalerweise verriegelt war.

      Beide Riegel waren zurückgeschoben. Joe holte seine Automatik aus der Schulterhalfter, entsicherte die Waffe und stemmte den Lukendeckel vorsichtig auf.

      Draußen war es hell. Er konnte einen Teil des Daches überblicken, die Lüftungsschächte, die Aufbauten der Klimaanlage. Der Blick wanderte über die Nachbardächer auf die imposante Skyline von Manhattan.

      Jo wußte, daß man von dem Dach aus über die Feuerleiter nach unten gelangen konnte. Aber dabei konnte man von der Straße aus gesehen werden.

      Er stieß den Deckel vollends auf und machte einen Hechtsprung auf das Dach. Er landete in der sicheren Deckung eines Lüftungsschachtes.

      Seine Vorsicht war berechtigt. Im gleichen Augenblick knallte es hinter ihm. Der scharfe Knall eines Schusses zerriß die morgendliche Stille. Die Kugel prallte an einer Metalleiste ab und schwirrte mit häßlichem Singen davon.

      Jo hob vorsichtig den Kopf. Der Killer war auf der anderen Seite des Daches, hinter dem Fahrstuhlaufbau. Und das hieß, daß er in der Falle saß. Denn von dort aus gab es keine Möglichkeit, zu entkommen. Der Abstand zum Nachbargebäude betrug etwa fünf Meter. Ein geübter Springer mochte das unter normalen Umständen schaffen, aber hier kam erschwerend hinzu, daß das Nachbarhaus etwa einen Meter höher emporragte und praktisch kein Anlauf möglich war.

      Der Bursche hatte Pech gehabt.

      Jo hob seine Waffe und jagte in rascher Folge drei Schüsse hinüber. Er hatte genau auf die Kante des gemauerten Aufbaus gezielt, und die Putzbrokken mußten dem Killer um die Ohren fliegen.

      „He!“ schrie er. „Wie wär’s mit Verhandlungen? Du sitzt in der Falle. Besser, du ergibst dich.“

      Ein wütender Feuerhagel war die Antwort. Joe ging in Deckung, während die Querschläger wie wütende Hornissen über das Dach schwirrten.

      „Das würde ich an deiner Stelle bleiben lassen!“ riet ihm Joe lautstark. „Mit dom Lärm weckst du ja die ganze Gegend auf. Die Gegend hier ist ziemlich dicht besiedelt. Und das nächste Polizeirevier ist gleich um die Ecke.“

      Er wartete, aber der Gangster sagte nichts.

      „Die Cops werden mit Panzerwesten anrücken!“ fuhr Joe fort. „Und bis dahin sorge ich dafür, daß du nicht entkommen wirst. Du kannst dir deine Chancen selbst ausrechnen. Wie wäre es also mit einer Kapitulation?“

      Wieder knallte es. Joe hatte mitgezählt. Achtmal hatte der Gangster bis jetzt gefeuert.

      „Ich an deiner Stelle würde aufgeben!“ schrie Joe. „Vor dem Schwurgericht sind deine Chancen besser als hier auf dem Dach. Du hast zehn Sekunden Zeit, dann hole ich dich!“

      Wieder knallte es, zum neunten Male, und dann kam ein charakteristisches Klicken. Der Killer hatte sein. Magazin leergeschossen.

      Jo zögerte keine Sekunde, Mit einem Satz war er auf den Beinen und hechtete vorwärts. Er erreichte den etwa mannshohen Aufbau und schwang sich hinauf. Dann lief er die wenigen Schritte bis zur gegenüberliegenden Kante.

      Und jetzt sah er den Killer. Es war ein schmächtiger, noch ziemlich junger Bursche im hellen Trenchcoat, der fieberhaft damit beschäftigt war, ein neues Magazin in seine Waffe einzuschieben.

      Jo hielt dicht neben ihn und drückte ab. Die Kugel schlug neben dem Killer auf das Dach. Zementstaub überrieselte ihn.

      „Wirf die Kanone weg!“ schrie Joe. „Das Spiel ist aus!“

      Der Killer sah auf, und für Sekunden blickte Joe in sein Gesicht, sah den gehetzten Ausdruck des Mannes. Mit einem Fluch schleuderte der Gangster die Waffe weg und wandte sich um. Instinktiv erriet Joe, was er vorhatte.

      „Stehenbleiben!“ schrie er. „Das ist Selbstmord!“

      Aber der Killer hörte nicht auf ihn. Mit wenigen Schritten hatte er den Dachrand erreicht und zögerte sekundenlang vor der gähnenden Tiefe, die sich unter ihm auftat. Dieses Zögern wurde ihm zum Verhängnis. Es nahm ihm den Schwung, mit dem er es vielleicht bis zum Nachbarhaus geschafft hätte. Er sprang, und seine Hände erreichten die Dachkante des Nachbarhauses und krallten sich daran fest. Joe sah, wie das Weiße in den Knöcheln hervortrat, sah, wie der Mann Zentimeter um Zentimeter abrutschte. Es gab keine Möglichkeit, einzugreifen.

      Der Hut rutschte ihm vom Kopf und segelte davon. Der Mörder drehte den Kopf zur Seite. In diesen Sekunden mochte er für seine Tat büßen.

      Dann ging alles sehr schnell. Die Finger wurden kraftlos, öffneten sich und verloren den Halt. Der Gangster segelte in die Tiefe. Ein gellender Schrei entrang sich seiner Brust.

      Jo schloß die Augen. Und dann erstarb der Schrei tief unten in der Tiefe, erstarb in einem häßlichen Geräusch, einem dumpfen Aufschlag.

      Für Sekunden herrschte absolute Stille. Und dann setzte der unvermeidliche Tumult ein. Fenster wurden geöffnet, Stimmen wurden laut.

      *

      Jo kletterte müde und erschöpft nach unten. Er fühlte sich am ganzen Körper wie zerschlagen. Er achtete nicht auf die Menschen, die sich ihm in den Weg stellten, die erregten Zurufe, die ihm entgegenschwirrten.

      Erst als er im Begriff war, seine Wohnungstür aufzuschließen, fiel ihm ein, daß unten in der Halle die Leiche des Offiziers lag. Er wandte sich um und ging zur Treppe. Sein Wohnungsnachbar stellte sich ihm im Morgenmantel in den Weg und redete auf ihn ein, aber Joe schob den Mann zur Seite und stieg nach unten.

      In der Halle begegnete ihm Mac. Der Hausmeister