Clara Viebig

Das schlafende Heer


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Blicke suchten die ihres Mannes. Eine tiefe Befriedigung kam über sie beide, und ihre Herzen waren voll Dank: wieder ein Erntefest, golden der Tag, golden die Ähren der Erntekrone!

      Die Krone war schier ein Wunderwerk. Die alte Nepomucena, des Dudek Frau, war eine Meisterin in der Kunst des Kronenwindens. Kein Gut in der Runde — ob polnisch, ob deutsch —, dem sie nicht die Erntekrone flocht; schon wenn das Korn noch Saat war, erhielt sie die Bestellungen. Diesmal aber hatte sie sich selbst übertroffen.

      Drei Reihen von tieffarbenen Weizenähren übereinander, durch Stäbe in hellerem Roggen- und Gerstengelb verbunden, umzittert von den vergoldeten Samenkapseln des Flachses und den schlanken Tropfen des Hafers, bildeten die Krone. Die Krone der Kronen war ihr hierdurch geglückt — die Form der Tiara. Selbst das Kreuzchen fehlte nicht oben darauf, von roten Beeren gereiht. Stolz reckte der Vogt das Meisterwerk dem Herrn entgegen.

      Eine plötzliche Verstimmung legte sich über des Gutsherrn Gesicht; unter zusammengezogenen Brauen sah er auf die Krone.

      Fragend, um Ausrufe der Bewunderung betrogen, starrten ihn seine Leute an: warum gefiel sie dem gnädigen Herrn denn nicht, war sie nicht schön, trug wohl der heilige Vater eine schönere auf seinem heiligen Haupte?

      Da gab Doleschal sie rasch seinem Ältesten, dass er sie hineintrage. Und wie sie ihm aus den Augen war, war auch die Verstimmung fort. Gewiss, die diesjährige Erntekrone war schön, sehr schön! Flatterten doch auch lustige bunte Bänder von ihrem untersten Rand; und sie sollte auch wieder an Stelle der vorjährigen überm Eingang zu seinem Zimmer prangen. Ja, die Leute hatten es ja sehr gut gemeint!

      Und er dankte ihnen. Seine Stimme schallte von der Freitreppe hinunter über den Hof und klang deutlich bis hinüber zu den Wirtschaftsgebäuden. Mochten es alle hören! Die Türen der Ställe standen offen; das Muhen des Rindviehs hörte auf, beim schläfrigen Wiederkäuen gestört von der lauten Stimme.

      „Leute, ich danke euch! Wie schon manches Jahr, so auch in diesem. Gott hat mir eine gute Ernte gegeben. Der Winterroggen lohnt gut. Auch die Sommerung ist gut; wir haben schwereren Weizen gehabt als andre Jahre. Die Einsaat ist famos aufgegangen. Die Rübenaussichten sind vielversprechend. Das verdanke ich — nächst Gott — eurem Fleiss! Ihr habt euch für mich gemüht in Sonne und Regen. Und ich —“

      er hielt an, mit einem glänzenden Blick sah er sich rings um —

      „ich habe mich auch für euch gemüht, euer Wohl habe ich mir allezeit angelegen sein lassen!

      Die patriarchalischen Zeiten sind vorbei, hört man sagen. Das ist in vielem auch gut. Ihr seid freie Leute geworden. Ihr braucht nicht mehr zu scharwerken wie früher. Ihr bekommt nicht nur Naturallohn, ihr bekommt auch festgesetztes Geld. Ihr habt eure grosse Stube und Kammer, euren Stall, Bodenraum und Keller. Ihr könnt euch im Gartenland Gemüse bauen und Kartoffeln in eurem Stück Acker. Auch eine Kuh, noch neben dem Schwein, zu halten, ist euch gestattet. Ihr braucht nicht mehr dem Herrn mit Zittern zu dienen — nur noch Vertrauen verlange ich von euch und gebe euch das meine dafür dagegen. Und wem verdankt ihr das alles?“

      Er hielt wieder an und liess seinen Blick suchend von Mann zu Mann gehen.

      Mit gesenkten Köpfen standen die Leute und hörten zu, stumpf-ergeben wie in der Kirche. Kein aufstrahlendes Gegenblicken des Verständnisses war zu finden.

      Aber das verwunderte ihn nicht; so war es ihre Art, er wollte sie schon aufrütteln. Und mit stärker erhobener Stimme fuhr er fort:

      „Wem ihr das verdankt?! Euren Wohlstand, euer Behagen, menschenwürdige Wohnung, Schule für eure Kinder, dass sie lesen und schreiben lernen und ihr Fortkommen finden auf der Welt?! Nun ich will es euch sagen: dem —“

      Das Herz schlug ihm, es versetzte ihm fast den Atem, als er’s aussprach, laut und fest und doch wie mit einer stillen Andächtigkeit:

      „Dem Deutschtum! Dass ihr’s nun wisst und behaltet! Ich sage es euch mit Absicht heute an dem Tage, der unser Vaterland vor nunmehr als fünfundzwanzig Jahren grossgemacht hat und den Erbfeind in unsre Hand gegeben hat. Mit dem Erbfeind meine ich jetzt den Franzosenkaiser, denn es gibt noch einen — einen andern —“

      Er stockte plötzlich. Ein Blick Helenes hatte ihn getroffen, überrascht, fast erschrocken, warnend zugleich. Fürchtete sie etwas Unbesonnenes?! Nun ja, es mochte besser sein, sich nicht hinreissen zu lassen! So verschluckte er den Rest des Satzes. Sich räuspernd, sprach er dann, aber mit einer gewissen Strenge und die Stirn zusammenziehend:

      „Ich will euch nur noch sagen, dass ihr immer ans Deutschsein denken sollt, ans Deutschsein denken müsst. Ihr sollt es aber nicht nur sein, ihr sollt es auch bleiben. Die meisten von euch tragen polnische Namen — ich weiss wohl — aber was tut das? Im Herzen seid ihr deutsch!

      Auf dem Lysa Góra weht die Fahne, schwarz-weiss-rot — ‚Niemczyce‘ ist ‚Deutschau‘ geworden! Unser allergnädigster Herr und König, dem eure Söhne mit derselben Begeisterung dienen werden, wie ich die Ehre hatte, ihm zu dienen, und meine Söhne ihm dienen werden — der Kaiser von Deutschland, unser Kaiser: Hurra!“

      Jauchzend riefen’s die Knaben dem Vater nach:

      „Hurra, hurra, hurra!“

      Auch die Leute stimmten mit ein, wie die Herde dem Leittier folgend; aber ihr Hurra hatte kein Mark, matt fiel es zu Boden.

      Doleschal merkte es nicht, er hörte seine Söhne so hell um sich. Sein Blick war wieder freudig geworden. Mit kräftiger Stimme intonierte er den Choral, der auf Deutschau gesungen worden war, am gleichen Fest in gleicher Weise, solange er zurückdenken konnte.

      „Nun danket alle Gott,

      Mit Herzen, Mund und Händen!“

      Helenes hoher Sopran fing hell an zu schweben, die Knaben strebten der Mutter nach; doch der Gesang der Leute fiel auseinander. Ein paar rauhe Bässe versuchten zwar mitzuhalten, die Melodie war ihnen geläufig, aber der Text nicht, so fielen sie polnisch ein; die Weiber, deren einige anfänglich nachgezetert hatten, schwiegen bald gänzlich. Ein unharmonisches Durcheinander, vor dem das Vieh, das laut dreinbrüllte, keine Scheu mehr trug, stieg zum Himmel auf.

      Aber unbeirrt, aus allen Kräften, aus ganzer Seele sang Hanns-Martin von Doleschal mit den Seinen — alle Verse.

      Und dann, die Hand seiner Frau fassend, rief er froh erregt: „Geht nun, und feiert! Trinkt, esst, tanzt! Man wird euch Kaffe und Kuchen, Semmeln und Würste und Bier geben, soviel ihr mögt. Aber ich bitte, freut euch mit Massen. Wir wollen uns alle freuen — so!“ Die Vögte zu sich heranwinkend, übergab er ihnen das Geldgeschenk zur Verteilung.

      Der Sprecher zog tief den Hut und winkte den andern zu: „Unser gnädiger Herr und die Herrin und die jungen gnädigen Herren — dass sie leben hoch!“

      „Hoch, hoch, hoch!“

      Dieser Ruf hatte mehr Kraft; er schmetterte so laut, dass das ‚Es lebe Polen‘, das plötzlich verstohlen von der hintersten Reihe her erklang, nicht das Ohr des Herrn erreichte. — —

      Über den Hof flatterten die bunten Bänder. Die Ciotka, das Tantchen, die Witwe von Sierakowski, dem Dorfmusikanten, die dessen einzige Erbschaft, die Bassgeige, angetreten hatte, sass auf der umgestülpten Tonne, das Ungetüm zwischen den Knien, und strich wacker drauflos.

      Ignaz Ruda, der Lehrer von Pociecha, kratzte die erste Violine; Krzywousty, das Schiefmaul, blies das Horn, und Kurek, das Hähnchen, der Mann ohne Nase, ein kleiner, halb närrischer, immer lachender Alter, spielte den Dudelsack.

      Himmlische Musik! Aller Augen funkelten. Sie spielten den Krakowiak — was war schöner als der?

      „Vogt, lasst Eure Alte sitzen, versucht’s mit ’ner Jungen, da geht’s besser!“

      „Grykasch, tritt du mit der Magdusia an, Lukasch, nimm die Malgosia!“

      „He, he, angetreten, stellt euch auf!“

      „Komm, Krajutsch, tanz mit mir“, rief die Zosia, die Tochter des Dwornik vom Vorwerk, ihrem Liebsten, dem deutschen Stellmacher