aus, die hübsche Rosalka, die den Reim gesprochen, kam ihm gerade recht.
Jeder Tänzer schlägt den langschössigen Rock über den Arm und packt seine Tänzerin mit beiden Händen fest um die Taille — dicht Brust an Brust —, und er schiebt sein Bein zwischen die Beine in den flatternden Röcken.
Józef Grykasch hebt an:
„Püppchen kommt gesprungen,
Um den Wachskopf Löckchen,
Mit dem Holzpupp-Jungen
Im Krakauer Röckchen.“
Rechtsum, linksum, immer in der Runde herum, in den Knien gewippt, fest zugetrampelt, dass der Boden dröhnt. Die Paare sind wie miteinander verwachsen. Rascher wird der langsam begonnene Tanz, enger noch die Umschlingung, stärker das Kniewippen, röter die Köpfe, feuriger der eintönige Rhythmus. Es trampelt und stampft, es dudelt und keucht: rascher, rascher! Die Zuschauenden brüllen den Refrain und klatschen in die Hände.
Dem Tantchen war die Mütze ins Genick gerutscht, unbedeckt hingen ihr die grauen Strähnen bis auf die verdächtig erglühende Nase. Ruda, der Lehrer, war totenblass geworden, auf den Backenknochen brannten ihm hektische Flecken, aber es lohnte sich die Anstrengung schon — wann hätte er je soviel verdient?? Krzywousty schlenkerte sein Horn hastig aus, allen Speichel aus dem Schiefmaul hatte er da hineingetutet. Der Mann ohne Nase blies die Backen auf, dass man die Nase nicht gesehen hätte, auch wenn er noch eine gehabt.
Am Himmel blinkte der Abendstern. Heissa! Krakowiak, Geld in der Tasche! Jetzt fehlte nur noch Schnaps. Aber — o weh! — nur Bier in den Krügen!
Wie sie auch gossen und gossen, kein Schnaps floss heraus. Und auch keiner war zu kriegen.
Es machten sich ihrer ein paar Verwegene auf und stolperten nach der Küche im Seitenbau. Dort hantierte die Mamsell, und auf dem Tisch stand die Satte mit der dicken Milch für die Herrschaft, Zucker und Zimt und geriebenes Brot dabei. Aber das reizte sie heute nicht — auch nicht der Schinken und die Bratkartoffeln in der Pfanne — sie hatten heute selber gut gegessen, nur trinken wollten sie, trinken!
Doch trauten sie sich nicht recht; die Mamsell musste erst dreimal fragen, was ihr Begehr sei. Sie grinsten verlegen und stiessen sich an, traten von einem Bein aufs andre und wichen doch nicht. Endlich stotterte es der eine heraus: „Wódki!“
„Nichts da Wudki! Keinen Schnaps! Der gnädige Herr hat’s verboten.“ Und als sie nicht gingen, hob die Entschlossene drohend die Schöpfkelle: „Pascholl!“
Gehorsam machten sie sich fort, die Köpfe duckend; aber draussen murrten sie. Was, keinen Schnaps?! Nirgendwo ein Erntefest ohne den. Das war auch dem Nüchternsten gegen den Spass. Wenn denn der Herr durchaus keinen Schnaps gab zur Arbeitszeit, wollte man sich am Ende, wenn auch schwer, darein schicken; aber heute, heute, an dem Tag, wo man nicht Knecht war, wo man feierte, frei wie ein Herr, heute wollte man Schnaps haben!
Bier mochte man gar nicht mehr. Wenn man Krakowiak getanzt hat, gehört sich ein Schnaps drauf, sonst verkühlt man das Blut.
„He, Tantchen, was meint Ihr zu einem Schnäpschen?“
„Streicht auf! Ignaz Ruda, gebt nur den Takt an zum Trinklied! He, aufgepasst:
‚Kuba trinkt dem Jakob zu,
Jakob trinkt dem Michal zu —‘“
„Im Krug von Pociecha gibt’s Schnaps genug bei Eljakim Eiweih. Brüder, auf, lasst uns hingehen und einen trinken!“
„Mein Seelchen, mein Täubchen, komme du auch mit uns!“
„Aber sacht — sacht — ganz sacht!“ — — — —
„Ich weiss gar nicht“, sagte Helene von Doleschal, die am offenen Fenster lehnte und auf den dunkelnden Park hinaussah, dem die Nebel des Sees weisse Schleier überzogen, „die Leute sind diesmal lange nicht so vergnügt!“
„Das kommt dir nur so vor.“ Ihr Mann trat zu ihr und legte den Arm um ihre Schultern. Sie waren beide fast gleich gross; hochgewachsen standen Mann und Frau in der Dämmerung und schauten hinüber zum Lysa Góra, auf dessen hochstämmiger Kiefer eben noch ein letzter Tagesstrahl rot geglüht, aber jetzt jäh erloschen war. Von den Farben der Fahne, die den ganzen Tag lustig gewinkt hatte, war auch nichts mehr zu sehen; die Dunkelheit, die herbstlich herangekrochen war, hatte alles verschluckt.
„Ein dunkler Abend heut“, sagte er, „’s kann leicht sein, dass es morgen wieder trüb ist. Aber der heutige Tag war wie ausgesucht. Wie mich das freut!“
„Nein, ich höre doch gar kein fröhliches Lachen“, sagte sie und hielt den Kopf lauschend vorgeneigt.
„Du kannst es nicht bis hierher hören. Geh an ein Fenster, das nach dem Hof hinaus sieht, da wirst du schon was zu hören kriegen. Vor einer Stunde etwa war ich draussen, die Tanzerei und die Fröhlichkeit waren in vollem Gange.“
„Nein, nein“ — sie blieb hartnäckig dabei — „andre Male habe ich den Jubel gehört, fast bis zur Qual. Aber es war mir doch lieber. Weisst du, Hanns, die Leute sind wie die Kinder; wenn die so still sind, ist’s immer nicht recht geheuer.“
Er lachte laut auf. „Da merkt man die Mutter von fünfen! Nein, nein, du kannst dich beruhigen, die Leute sind kreuzfidel, harmlos vergnügt. Und seit ich dem Schnapstrinken Einhalt getan habe, auch viel gesitteter.“
„Warum wolltest du heute eigentlich von dem — dem — nun, von dem ‚andern Erbfeind‘ anfangen?“ sagte sie ganz unvermittelt. „Ich weiss wohl, was du damit sagen wolltest, aber ich meine —“
„Habe ich nicht gut gesprochen?“ fragte er rasch.
„Doch — das wohl — aber —“
„Du bist nicht zufrieden mit mir, Helene?“ Es klang leicht verletzt. „Das Herz floss mir über. Wenn man, wie wir, auf so vorgeschobenem Posten steht — eigentlich ‚exponiert‘ — ohne rechten — nun, wie soll ich sagen? — ja, ohne rechten Rückhalt, dann klammert man sich um so fester an sein Deutschtum an. Es wird einem A und O. Man steift sich darauf. Verstehst du das?“
„O ja!“ Ihr sehr regelmässiges und dadurch Fremden oft ausdruckslos erscheinendes Gesicht wurde klug. „Ich verstehe es. Aber man dürfte nie vergessen, auch den Gefühlen andrer —“
„Verstimme mich nicht!“ Er unterbrach sie mit einer gewissen Gereiztheit. „Es tut mir leid, dass dir nicht gefallen hat, was ich sagte, aber ich musste so sprechen, ja, ich war in heutiger Zeit geradezu verpflichtet dazu. Wären nicht die Kontraste in unsrer Provinz jetzt so zugespitzt, und spitzten sie sich nicht noch immer mehr zu, hätte ich gewiss was andres gesprochen. Dann hätte ich“ — er sah sie mit einer aufleuchtenden Freundlichkeit an — „von dir geredet! Ja, ihr Leute, wem ein tugendsam Weib bescheret ist, die ist viel edler denn köstliche Perlen!“
Er zog ihren Kopf an seine Brust und strich ihr zart über das blonde Haar.
„Und dann hätte ich auch von ihren Frauen gesprochen, dass sie die in Ehren halten sollen — ‚hebt nicht die Hand gegen sie, sie sind die Mütter eurer Kinder!‘ Und den Weibern hätte ich auch ins Gewissen geredet, dass sie nicht herumschlampen sollen, wie sie es so gerne tun!“
„Oh, hättest du’s gesagt!“ Das brach laut aus ihr heraus. Den Kopf aufrichtend, warf sie beide Arme um des Gatten Hals. „Warum nicht das?! Dann, ja dann hätten sie dich verstanden! Mein guter Mann!“
Sie hatte es mit grosser Innigkeit gerufen, fast wie in zärtlicher Besorgnis; er fühlte, wie fest sie ihn umschlang.
Er küsste sie. Mund ruhte auf Mund in einer glücklichen Versunkenheit.
Da schreckten sie auf: horch, was für ein Schrei? Kein Schreckensruf war es, vielmehr ein Aufjohlen des Jubels. Vom Lysa Góra her kam’s.
Aber wie sie auch lauschten und sich spähend zum Fenster hinausneigten, der Schrei erklang nicht zum zweiten Male. Überm See lastete schweigend der dunkle Herbstabend, der