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Zornig klirrte die Garczyńska das Fenster zu. Dass ihr das auch nicht eingefallen war! Heute war ja der Tag, an dem die Deutschen einst den französischen Kaiser gefangen hatten. Und den feierte der deutsche Baron wieder — wie geschmacklos! — und gab der Nachbarschaft ein Ärgernis.

      Heftig riss sie am Klingelzug. Als Stasia kam, liess sie sich ein schwarzes Kleid bringen, ein Trauerkleid mit Krepp — sie hatte es unlängst um ihre Mutter getragen —, und legte es heute wieder an und hatte heute auch Tränen in den Augen.

      Die Garczyńska hatte recht gesehen, auf dem nackten Sandbuckel des Lysa Góra wehte die deutsche Fahne.

      Doleschal hatte sie aufrichten lassen, trotzdem es eine grosse Mühe gewesen war, die Stange in dem vom Regen unterspülten, rutschenden Sand festzurammen. Er selbst war mit den Arbeitern hinaufgegangen. Und als sie nun die Arbeit vollbracht — selbst der deutsche Stellmacher Krauz hatte im strömenden Regen dabei geflucht —, war er allein noch oben geblieben.

      Schlapp hing der Wimpel an der Stange nieder, schwer von Nässe; aber nun kam hilfreich ein Wind, hob mit starkem Atem das Tuch in die Höhe und blähte es lustig. Die deutsche Fahne flaggte vom Hügel weit ins flache Land.

      Hanns-Martin hatte den Arm um die Stange geschlungen. Ihm war, als müsste er, wie einst als Knabe, fröhlich die Mütze vom Kopf reissen und sie mit ‚Hurra‘ schwenken.

      Siehe, es hatte genug geregnet! Auseinanderweichend zeigte plötzlich das Wolkengefüge, das so undurchdringlich geschienen, einen fein-blauen Streif. Es war doch kein Landregen gewesen, nur der Nachregen eines Gewitters, das irgendwo fern niedergegangen. Schon hoben sich die schweren Nebel von den Äckern, zerrissen vom stöbernden Ost. Es war kühler geworden, fast kalt, aber wie lange noch, und die Sonne würde auch wiederkommen und wärmen. Wind und Sonne, die trocknen rasch.

      Der Niemczycer drehte den Kopf nach der Richtung, wo er seine letzten Mandeln liegen wusste. Morgen wurden die umgestellt, heute nicht; heute war Festtag, Ruhetag wie ein Sonntag! Nun, die paar Mandeln würden ja auch noch trocken hereinkommen!

      In einem Gefühl grosser Sicherheit sah er zu dem sich immer mehr und mehr lichtenden Himmel auf, und dann hinaus ins weite Land, in die Riesenebene bis gen Russland, und dann zurück auf sein Deutschau. Schöner lag kein andres Herrenhaus und auch stolzer keins auf vorgeschobenem Posten!

      Es war eine Verantwortung, die der Vater, der jetzt längst am See unterm Stein schlief, mit Deutschau auf seine Seele gelegt; aber auch eine Genugtuung. Damals freilich, als der Tod des Vaters ihn jäh vom Regiment abberufen, hatte er nur die Verantwortung gefühlt — achtundzwanzig Jahre, so jung noch, und ein so grosses Gut und so ernste Zeiten! Aber jetzt? Zwölf Jahre hatte er seitdem allein gewirtschaftet und jeden Fussbreit Erde lieben gelernt, noch ganz anders lieben, als der Knabe den Boden geliebt, auf dem er gespielt. Hatte er doch darum gekämpft in Sonnenschein und Regen, in hellen und dunklen Tagen, in guten und schlechten Ernten, gekämpft auch darum gegen Böswilligkeit und Unverstand! Ja, die Zeiten waren noch dieselben geblieben, immer noch ernst, dem Anschein nach jetzt fast wirrer noch, aber — Gott sei Dank! — es waren Männer aufgestanden, die die Fahne des Deutschtums hochhielten, unentwegt!

      In einem jäh aufwallenden Gefühl schossen ihm Tränen in die Augen, aber er wischte sie hastig weg. Pfui, ein Mann auf der Höhe des Lebens und noch weinerlich wie das Jungchen, das Pelasia einst an der Windel gegängelt?! Mochte man ihn lieber für kalt halten und für hochmütig dazu — er wusste es, Paul Kestner hatte es ihm lachend erzählt —, lieber dafür gelten, als aller Welt zeigen, wie empfindlich man ist, schier überempfindlich, zum Darunterleiden! Selbst Helene durfte nicht alles merken — war es Rücksicht, war es eine gewisse Scham? —, ach, nur ja nicht an alles rühren, es war ihm peinlich, wenn sie auch seine Frau war und dazu eine Frau, wie es keine zweite mehr auf Erden gab!

      Mit einer tief innerlichen Begeisterung dachte er ihrer. Das hätte er selber nicht geahnt, als er sich damals auf seinem letzten Hofball in das schüchterne blonde Landfräulein mit der herben Jugendsprödigkeit verliebte, dass er so glücklich werden würde! Die herbe Jugend war mütterliche Weichheit geworden, die mädchenhafte Schüchternheit vornehme Zurückhaltung.

      „Meine Frau! Meine Kinder!“ Er sagte es innig vor sich hin. Die Fahnenstange loslassend, fügten sich seine Hände ineinander. Wäre es nicht recht und billig, heute nachmittag, wenn alle, Männer und Weiber, Knechte und Mägde und hintennach noch die Kinder, wenn alle, alle kamen im höchsten Putz, die Erntekrone zu bringen, und er dann von der Freitreppe ihnen entgegentrat, auf die zu deuten, die neben ihm stand? Hinzurufen über all die lauschend gereckten Köpfe:

      ‚Wem ein tugendsam Weib bescheret ist, die ist

      viel edler denn die köstlichsten Perlen!‘

      Und wenn dann alle gaffen würden mit verdutzten Blicken, die Mäuler offen, dann müsste er weiter sagen von der Frau, die ihrem Manne Liebes tut und kein Leid ihr Leben lang, die mit Wolle und Flachs umgeht und Garn arbeitet mit ihren Händen, die vor Tage aufsteht und Speise gibt ihrem Hause und Essen ihren Dirnen, die an den Acker denket und gürtet ihre Lenden mit Kraft, die ihre Hände ausbreitet den Armen und reicht ihre Hand dem Dürftigen — die ihren Mund auftut zu holdseliger Lehre, dass ihre Söhne aufstehen und preisen sie selig!

      Er lächelte: und die Krone reichen würde er ihr, die — ach nein, das blieb doch besser ungesagt! Sie würden ihn ja auch gar nicht verstehen.

      Aber von anderm wollte er zu ihnen reden, das ihm gleich teuer am Herzen lag. Nicht umsonst hatte er den letzten Augustsonntag, den hergebrachten Tag des Erntefestes verstreichen lassen und den heutigen gewählt — Sedan! Wann konnten Deutsche wohl je freudiger singen: ‚Nun danket alle Gott!‘?

      Heiter summend stieg der Niemczycer vom Hügel herab. —

      Es wurde ein Sonnentag, als hätte der Morgen nicht noch mit nassen Füssen im Schmutz gestanden. Als am frühen Nachmittag die Niemczycer in den Hof einzogen, der älteste Vogt, auf hoher Stange die bändergeschmückte Erntekrone tragend, voran, tanzten Sonnenkringel über die in aller Eile aufgeschlagenen Bänke und Tische. Hier auf dem Hof sollten sie feiern, nicht im Krug, so wollte es der Herr.

      Er selber stand mit der Frau auf der Freitreppe. Helene lächelte glücklich. An ihr Kleid drängten sich die Knaben, alle stramm in blauen Matrosenanzügen, nur der Kleinste trug noch sein weisses Mädchenröckchen. Fünf Knaben — und doch sprach die Rosalka, des Vormähers Kurek hübsche Tochter:

      „Wir wünschen der Pani ’nen goldenen Tisch,

      An allen vier Ecken gebratenen Fisch,

      Wir wünschen der Pani ’ne goldene Kron,

      Und übers Jahr einen jungen Herrn Sohn!“

      Die hübsche Rosalka in der weissen Tüllschürze, viele Bernstein- und Korallenperlen um den Hals, unzählige flatternde Bänder über dem Rücken, stammelte, blutrot im Gesicht, mit ungelenker Zunge die mühsam erlernten Verse; hart klang das Deutsch in ihrem Mund, und die ‚r’s‘ rollten.

      Aber Helene erklang der schon oft gehörte Reim heute lieblicher denn je, und das schneeweisse Huhn mit den rosenroten Bändern um die Flügel und dem Goldschaum auf dem Köpfchen, das ihr das Mädchen mit Knicksen bot, hatte ihr nie so hübsch gedeucht.

      Jubelnd empfingen die Knaben ihre geschmückten Täubchen; der Älteste aber, der zukünftige Herr, hielt stolz seinen buntschillernden Gockel.

      Der erste Vogt hatte vor dem gnädigen Herrn das Knie gebeugt:

      „Nach den schweren Erntetagen,

      Hab’ ich die Ehr, ein Wünschchen zu sagen —“

      Der Mann schwitzte; erklang nur irgendwo ein Räuspern oder Fussscharren, so kam er aus dem Konzept. Die schon oft gelernten Reime machten ihm jedes Jahr wieder neue unüberwindliche Schwierigkeiten.

      „Wir wünschen dem Herrn für sein ferner Leben

      Viel Glück und reichen Erntesegen!

      Nehm’ er die Krone als Unterpfand

      Aus