hinunter auf das begehrte Tor zueilte. Daraufhin löste sich das Gedränge sogleich auf, und alle jagten hinterdrein. Nun war es daran, den Schneid und das Urteil der Fags auf die Probe zu stellen.
Zu dem Zweck, den Ball vor dem Tore nicht in selbiges hineinzulassen, kam nun einer der ganz vorne stehenden Fags hervorgerannt, um den Angriff des dribbelnden Gegners zu parieren, wobei der für gewöhnlich Hals über Kopf vier Meter über die Steine geschickt wurde. Gleichwohl diente auch dieses einem Zweck, verschaffte es seiner Mannschaft nicht nur die Zeit, heranzukommen, sondern ermutigte seine Fags-Kameraden auch, mit einer dichten und unerschütterlichen Front aufzuwarten. Erfuhr der Junge mit dem Ball von seinem eigenen Haus aber Unterstützung, stürzte sich dieses sodann mitten unter die Fags, worauf ein fürchterliches Handgemenge losbrach. Die Fags gaben sich dabei jede Mühe, den Ball nicht durchkommen zu lassen, und ließen Fäuste und Hände niederprasseln, während sie sich, um besseren Halt zum Schieben zu erlangen, an die Kanten der Mauer klammerten. Eines dieser Handgemenge dauerte eine Dreiviertelstunde lang. Schienbeine wurden grün und blau getreten; Jacken und weitere Kleidungssachen fast gänzlich in Fetzen gerissen; und auf solche Fags getrampelt, die auf dem Boden sich befanden.“
Gegen Mitte des Jahrhunderts wurden Aspekte wie die Anzahl der Spieler pro Mannschaft und die Größe der Tore zunehmend einheitlicher. In seiner History of British Football zeigt der Schriftsteller Percy M. Young (1912–2004) anhand anekdotischer Quellen zwar, dass in den 1830er Jahren Elfer-Mannschaften in Harrow bereits üblich waren. Der erste gesicherte Bericht über ein Spiel mit Teams à elf Spielern erschien allerdings erst 1841. Bell’s Lifemagazine hielt damals fest, dass in Eton das sogenannte Field Game – das zwar nicht mit Fußball gleichzusetzen, diesem aber eindeutig sehr ähnlich war – zwischen zwei Elfer-Mannschaften ausgetragen wurde.
Die Größe der Tore variierte noch stärker als die des Platzes. So gab es 1862 bei einem Spiel elf gegen elf zwischen Eton und Harrow beispielsweise sogenannte Bases, die gut dreieinhalb Meter auseinander standen und sechs Meter hoch waren. An ein Tor, das ein einzelner Mann halbwegs verteidigen konnte, dachte man offensichtlich noch nicht. Die ersten Regeln der FA, niedergelegt 1863, schrieben vor, dass die Tore 7,32 Meter breit sein mussten, also so wie heute auch. Sie stellten zugleich unmissverständlich klar, dass ein Tor dann erzielt war, wenn der Ball „den Zwischenraum zwischen den beiden Torpfosten“ überwunden hatte. In Sachen Höhe gab es keine Beschränkung.
Der Sheffield Football Club leistete dahingehend die Überzeugungsarbeit. Er war tonangebend unter den Vereinigungen aus dem Norden, die außerhalb der Privatinternate ihre eigene Version des Fußballs entwickelt hatten. 1866 wurde die Regel daraufhin geändert. Die maximale Höhe des Tores wurde nun auf 2,44 Meter festgelegt und durch ein Band markiert. Seitdem sind die Maße unverändert geblieben. Sheffield hatte außerdem eine Querlatte gefordert, und bald sah auch die FA deren Vorteile. Ab 1875 waren Querlatten zulässig, und 1882 wurden sie fest vorgeschrieben.
Fußball in der Public School Eton: Englische Privatschulen besaßen alle ihre eigenen Regeln.
Dass damals der Wunsch bestand, eine Maximalhöhe einzuführen, ergibt Sinn. Der Fußball in Englands Norden ist wesentlich weniger gut dokumentiert als der in den privaten Eliteinternaten. Es sieht gleichwohl so aus, dass es bereits einige Zeit vor der Festlegung einheitlicher Regeln in den 1860er Jahren zumindest in manchen Varianten des Spiels eine Art Torhüter gab. „Der Torwart“, so hieß es in den Regeln von Sheffield aus dem Jahr 1857, „ist der Spieler der verteidigenden Mannschaft, welcher sich augenblicklich gerade am nächsten zu seinem eigenen Tore befindet.“ Das klingt ganz nach dem fliegenden Torwart, wie er heute beim Bolzen im Park gern zum Einsatz kommt.
Bei den Eliteinternaten dagegen wird ein Torhüter erstmals in einem Bericht über ein Spiel zwischen der Uppingham School und ihren Alten Herren erwähnt. In der Schulzeitung vom 15. Dezember 1865 heißt es da:
„Nach einer gewissen Zeitspanne erzielten die Alten Herren ein Tor. Diesen Vorteil wollten sie sich offenbar unbedingt erhalten. Das Torwartspiel von Rawnsley [W. F. Rawnsley, 1845–1927, Page bei der Hochzeit des berühmten Schriftstellers Alfred Tennyson; sein jüngerer Bruder Canon H. D. Rawnsley war einer der Gründer des National Trust zum Schutz von Bau- und Naturdenkmälern, Anm. d. Verf.] auf Seiten unseres Gegners war von vorzüglicher Art und Weise; anders als jenes der Schule, welches nicht sehr eindeutig und unvollkommen in seiner Strategie war. […] Man hielt den Ball in nahem Abstand zum Tor der Alten Herren, und doch, Gott sei’s geklagt, zeigte dieser eine rechte Abneigung zu dem Raum zwischen den beiden Pfosten.
Währenddessen wurde die Zeit immer knapper, und die Alten Herren waren weiterhin um jenes beneidenswerte Tor voraus. ‚Zwei Minuten noch’, rief der Umpire. Nun ein letztes Bemühen. Die tapfer von [C.] Childs angeführte Schule kämpfte nun verbissen. Rawnsley blieb kühl und achtsam im Tor. Kein Ball passierte seine allgegenwärtigen Hände und Füße. Ließ sich denn überhaupt nichts mehr ausrichten? War nun aller Schneid fort, um noch einen verdienten Sieg zu erlangen? Jawohl. Doch nach einem unvermittelten Lauf, einem verzweifelten Ansturm, die Füße wohl nebeneinander, an einem Gegner nach dem anderen Gegner vorbei, demonstrierte Childs die weithin bekannte Redensart, „den rechten Fuß an der rechten Stelle zu haben“. Er täuschte Rawnsleys Auge, hemmte seine Schnelligkeit und erzielte das Tor.“
Bemerkenswert ist hier der veränderte Ton. Der Torhüter ist nun ein Held und alles andere als der „Schisshase“, der er 20 Jahre zuvor noch war. Dies ist ein Hinweis darauf, dass man zunehmend anerkannte, wie wichtig er war. Terence Delaney mutmaßte in seinem 1963 erschienenen Buch A Century of Soccer, dass man ab 1865 einen der Abwehrspieler zum „Torwart“ bestimmte und dass sich die zehn Feldspieler in einen „goal-cover“ („Tor-Decker“), einen Abwehrspieler und acht Angreifer unterteilten.
Doch erst 1871 erwähnten die Regeln dann ausdrücklich den „Torwart“ als denjenigen Spieler, „dem die Freiheit gegeben sei, zum Schutze seines Tores die Hände zu benutzen“. Im Endeffekt war er damit ein Abwehrspieler, dessen Position sich im Laufe der Zeit immer weiter nach hinten verschoben hatte und dem – in seiner eigenen Spielhälfte – das besondere Recht verblieben war, den Ball mit der Hand zu spielen, nachdem es allen übrigen Spielern aberkannt worden war.
Ursprünglich war dem Torhüter überall auf dem Feld Handspiel erlaubt. Dieses Vorrecht wurde erst 1887 eingeschränkt. Im FA Memorandum for the Guidance of Umpires and Referees, der „Richtlinie der FA zur Anleitung der Umpires und Schiedsrichter“, hieß es dazu: „Der Ausschuss sieht einen Torwart nicht als in der Verteidigung seines Tores begriffen an, wenn er sich in der gegnerischen Hälfte des Spielfeldes befindet, und demzufolge ist es einem Torwart verboten, seine Hände in der Hälfte des Gegners zu benutzen.“ Erst ab 1912 durfte der Torwart die Hände nur mehr in seinem eigenen Strafraum einsetzen. Da er seine Linie in der Praxis ohnehin nur selten verlassen hatte und die Spieler damals im Allgemeinen statisch auf ihren Positionen verharrten, war der Unterschied zum Fußball von heute aber vermutlich nicht so augenfällig gewesen, wie es zunächst klingen mag. Letztendlich wurde die Regel auch erst geändert, nachdem die Torhüter angefangen hatten, sich dadurch einen Vorteil zu verschaffen. Aber dazu später mehr.
In den 1870er Jahren war die Rolle des Torwarts also anerkannt. „Eine Mannschaft bestand in der Regel aus sieben Stürmern und lediglich vier Spielern, um die drei Verteidigungslinien zu schützen. Die letzte Linie bildete naturgemäß der Torwart, und vor ihm befand sich nur ein Verteidiger, der wiederum vor sich nicht mehr als zwei Mittelläufer hatte, um sich den gegnerischen Stürmern entgegenzustellen“, schrieb Charles W. Alcock, der erste Sekretär der FA, Erfinder des FA-Pokals und treibende Kraft hinter dem ersten Länderspiel aller Zeiten.
Und damit war der Torwart geboren, jene seltsame Figur, die zwar Teil der Mannschaft ist, aber doch irgendwie anders. Allerdings auch nicht so viel anders: Bis 1909 trug er noch die gleiche Kleidung wie seine Mannschaftskameraden. Zudem war es für Feldspieler nichts Außergewöhnliches, bei Bedarf das Tor zu übernehmen oder zum Ende ihrer Karriere auf Torhüter umzuschulen. So hatte sich Major Sir Arthur