Als beide Mannschaften 1875 im Endspiel um den FA-Pokal aufeinandertrafen, entschied er, für keine von beiden aufzulaufen.
Zwei Jahre später standen die Wanderers aus London vor dem Pokalfinale gegen die Oxford University plötzlich ohne Torhüter da. Vielleicht ein Indiz dafür, dass man die Position noch immer nicht richtig ernst nahm oder zumindest nicht einsah, dass sie von einem Spezialisten besetzt werden sollte. Lord Arthur Fitzgerald Kinnaird, berühmt geworden als rotbärtiger, grimmiger Mann und eine der wichtigsten Persönlichkeiten im Fußball der viktorianischen Zeit, meldete sich freiwillig zur Stelle, auch wenn er eigentlich eher ein Mittelläufer war. Gleich zu Anfang probierte Evelyn Waddington es mit einem Distanzschuss. Kinnaird schien diesen zunächst halten zu können, fing den Ball auch sauber ab, nur um sich dann rückwärts über die Torlinie zu bewegen. Oxford reklamierte auf Tor, und die Umpires gaben den Treffer. Die Wanderers glichen trotzdem noch aus und gewannen die Partie schließlich in der Verlängerung. Kinnaird konnte die Peinlichkeit allerdings nur schwer ertragen. Er schrieb eine Petition an die FA, damit diese sein Eigentor aus ihren Aufzeichnungen strich. Bemerkenswerterweise nahm man die Petition sogar an. Mittlerweile ist das Tor wieder eingetragen, aber mehr als 100 Jahre wurde das Endspiel offiziell mit dem Ergebnis 2:0 aufgeführt.
Vielleicht ist es nur natürlich, dass der Torhüter als Kuriosität betrachtet wurde, seine Position nur widerwillig Anerkennung fand und ihm häufig Misstrauen begegnete. In seinem Buch Only the Goalkeeper to Beat betont Francis Hodgson, selbst Amateurtorwart, dass der Torwart ein Spielverderber sei. Schließlich ist er der einzige Mann auf dem Platz, der „alles daran setzt, genau das zu verhindern, was alle Anwesenden gerne hätten. […] Im Grunde genommen ist er ein Anti-Fußballer. Indem er sich der Verhinderung von Toren widmet, steht er genau dem entgegen, was Fußball im Kern ausmacht.“
Es gibt aber noch tiefer gehende Gründe für die oben genannten Vorbehalte. Die meisten Kulturanthropologen sind sich einig, dass Fußball, wie die meisten Sportarten, als ein gewissermaßen religiöser Ritus begann. Zusammenfassend schreibt Young dazu in seiner Geschichte des britischen Fußballs, die Ursprünge des Spiels lägen darin, dass man „den dunklen Gottheiten der Fruchtbarkeit durch Ballspielzeremonien gedient“ habe. „So wurde der Ball in Richtung einer Zielmarke getrieben – dem geheiligten Markstein in Form eines Baumes oder Wasserlaufes. Der Ball, das Sinnbild der Sonne, wurde nach Hause getragen, als Garant des Glückes.“ In dem jedes Jahr zu Fastnacht und Aschermittwoch in Ashbourne in Derbyshire ausgetragenen Shrovetide-Fußballspiel fänden sich beispielsweise noch, so Young, „die vorzeitlichen Beschwörungen der Gottheiten der Erde, der Luft und des Wassers“.
In einem Beitrag in The Contemporary Review von 1929 wies W. B. Johnson darauf hin, dass in vielen Fruchtbarkeitsriten ein scheibenoder kugelförmiges Objekt verwendet wird, um die Ankunft der Sonne zu symbolisieren und das Wachstum zu beflügeln. In manchen irischen Dörfern, so Johnson, würden am 1. Mai goldene und silberne Kugeln durch die Straßen getragen, die die Sonne und den Mond verkörperten, und in Oklahoma spielten amerikanische Ureinwohner eine Art Fußball, um die Ernte zu feiern. Dazu markierten sie das Spielfeld von Ost nach West, um den Durchgang der Sonne zu beschwören (ärgerlicherweise sagt Johnson aber nicht, welcher der 91 Stämme amerikanischer Ureinwohner in Oklahoma das Ritual zelebrierte). Der traditionelle Volksfußball in England folgt einem vergleichbaren Muster. Das Tor war häufig ein Baum, während bei manchen Spielen, so wie dem im schottischen Scone, der Ball mehrere Male in ein Loch im Boden gelangen musste (ein symbolisches Begräbnis), damit ein „Tor“ erzielt wurde.
Laut dem Glossary of Words used in the Neighbourhood of Whitby von F. K. Robinson, einem Lexikon der rund um die Stadt Whitby benutzten Begrifflichkeiten, glaubte man, dass es zwischen der Leistung eines Bauern beim Shrovetide-Fußballspiel in Whitby und seiner Ausbeute bei der nachfolgenden Ernte einen Zusammenhang gäbe. In der Normandie war man der Überzeugung, dass die siegreiche Mannschaft beim Volksfußball an Fastnacht einen besseren Ertrag an Cidre-Äpfeln erzielen würde als das unterlegene Team. Morris Marples konnte in seiner Geschichte des Fußballs zeigen, dass es etliche Beispiele von Gesellschaftsverbänden gibt, die daran glaubten, dass gute Ernten von einem geschickten Umgang mit dem symbolischen Ball abhingen.
E. K. Chambers legte in seinem 1903 erschienenen Werk The Medieval Stage eine etwas andere Variante des Ritus dar. Er war der Auffassung, dass der Ball nicht die Sonne darstellt, sondern den Kopf eines Opfertieres. So oder so, die Folgen für den Torhüter bleiben unverändert. Wenn Fußball ein Fruchtbarkeitsritus ist, bei dem man den Göttern dadurch seinen Dienst erweist, dass man den Ball in oder gegen eine geweihte Markierung zwingt, also ein Tor erzielt, kann der Torhüter – der natürlich erst deutlich später dazukam – nur eine Fehlentwicklung sein. Schließlich besteht seine Aufgabe ja darin, den Vollzug des Ritus zu verhindern. Demnach wäre der Torhüter gewissermaßen der Zerstörer der Ernte, der Überbringer des Hungers.
Das könnte einer der Gründe sein, weshalb die Figur des Torhüters Unbehagen hervorruft. Allerdings sind diese Ursprünge heute nicht mehr präsent, und man versteht sie höchstens unterbewusst, wenn man sie denn überhaupt versteht. Es gibt natürlich noch eine weitaus offensichtlichere Unstimmigkeit in der Rolle des Keepers. Er nämlich hat am wenigsten zu tun, wenn seine Mannschaft ihr Bestes gibt, und wird nur dann zur Bestform auflaufen, wenn die Mannschaft in gewisser Weise versagt. Darin gleicht er der Rettungswacht oder dem Feuerwehrmann, denen man dankbar ist in Zeiten der Not, auch wenn sich jeder fragt, weshalb es überhaupt zu dieser Not gekommen ist.
Tottenhams ehemaliger Torhüter Ted Ditchburn hat das Paradoxe dieser Situation 1951 in seinem Beitrag zu dem Sammelband My Greatest Game vielleicht am besten eingefangen:
„Ich komme nun zu den Augenblicken, in denen ein Keeper wahrlich glänzen kann. Diese Abschnitte kommen im Normalfall leider dann, wenn die eigene Mannschaft ein schlechtes Spiel abliefert, so dass man reichlich zu tun bekommt. Kein Keeper kann wirklich warm werden, solange er nicht hart zu arbeiten hat. Eine oder zwei gute Paraden zu machen, ist für die meisten Torhüter normalerweise die Regel. Um aber eine Vorstellung abzuliefern, bei der die Menge tobt und schreit, muss der arme Torwart einem Hagel an Schüssen und einem Sturm von Angriffen ausgesetzt sein. Das ist zugegebenermaßen wirklich traurig. Schließlich kann man nicht glänzen, solange die eigene Seite nicht überrannt wird. Obwohl es schon möglich ist, nach einer bravourösen Vorstellung auf der Seite der Sieger zu stehen, steht man in solchen Fällen meistens doch als Verlierer da.“
Immerhin sprach Ditchburn zu einer Zeit, als der Torwart und seine besondere Rolle bereits allgemein anerkannt waren. Diese Akzeptanz entwickelte sich erst während der 1870er und 1880er Jahre. Dazu beigetragen hatte bezeichnenderweise ein Spieler, der seine Karriere als Feldspieler begann. James McAulay, der als Erster den Titel „Prinz der Torhüter“ erhalten sollte, besaß als Mittelstürmer einen so guten Ruf, dass er auf dieser Position auch sein Länderspieldebüt gab. 1881 erzielte er für Dumbarton im schottischen Pokalfinale den Ehrentreffer gegen Queen’s Park. Das Spiel selbst ging 1:2 verloren (und ein Wiederholungsspiel nach Protest noch einmal 1:3). Auch ein Jahr später lief er als Mittelstürmer im Endspiel auf. Wieder unterlag Dumbarton, wieder gegen den gleichen Gegner. Dumbartons Torwart John Kennedy, der in beiden Finals gespielt hatte, verlor danach katastrophal an Form. So kam es, dass McAulay dessen Platz einnahm.
McAulay stand auch im Tor, als Dumbarton das schottische Pokalendspiel 1883 gegen Vale of Leven gewann. Insgesamt lief er noch achtmal als Torwart für Schottland auf, bis er von Berufs wegen – er war Ingenieur – 1887 nach Burma ziehen musste. „Erst als Torhüter wurde seine ganze Größe offenbar“, hieß es in einem Beitrag anlässlich seiner Auswanderung im Glasgow Herald. Als „unerschrocken, besonnen, ja geradezu lässig“ und „Vollbringer unzähliger Paraden mit Händen wie mit Füßen“ wird er dort außerdem beschrieben.
Der Eindruck, den McAulay hinterließ, wird in dem 1887 erschienenen Buch Athletics and Football aus der Feder von Montague Shearman deutlich. Shearman war Gründer des Leichtathletikverbandes Amateur Athletics Association und später Richter. „Die vielleicht bedeutendste Position auf dem gesamten Feld