Kapitel.
Als Gesche Stelljes die Ziege im Morgentau auf die Weide band und im nassen Grase kniete, das Tier zu melken, schlüpfte Wöbke Dierks aus Ham Rugens Bettkasten.
Hinnerk Stelljes, der noch auf dem Stroh lag, und der die Gunst der Viertelstunde nützte, in welcher er sein Lager nicht mit Gesche zu teilen hatte, hob den Kopf ein wenig, als er Wöbkes rote Jacke sah, deren kurze Ärmel die runden weissen Arme der Deern freiliessen. Er hatte oft schon gedacht: so zarte Haut hat keine Deern im Moor, und keine hat so goldenes Haar wie Wöbke Dierks.
Hinnerk Stelljes’ Augen blieben weit offen.
„Na“, sagte er, „dat gift en gooden Dag.“
Wöbke sah drein wie ein gefangenes Reh. Hinnerk Stelljes hatte ausgesprochen, was sie längst gedacht hatte.
Die Deern schaute zu Ham Rugen. Der richtete sich im Bett auf und schwieg, wollte sich aber für alle Fälle bereit halten und kroch aus dem Kasten. Dann erzählte er Hinnerk mit zwei Worten, wie er die Deern im Moor entdeckt habe, und warum sie gekommen sei.
„Dat gift en gooden Dag“, wiederholte Stelljes und zog die Augenbrauen in die Höhe; das tat er immer, wenn er ein Wetter im Anzuge wusste. Aber das Wohlbehagen der Alleinherrschaft im Bettkasten war in diesem Augenblick lebhafter als der Gedanke an ein Wetter mit Blitz und Donner, das an Hinnerk Stelljes vorüberzog.
Holla — da stand Gesche schon in der Tür.
„Deern! Deern!“ schrie sie.
Die Überraschung, die ihr der unerwartete Anblick der Halbschwester schuf, war so über alle Massen gross, und das Bedürfnis, zu erfahren, wie Wöbke Dierks über Nacht von Klinkerberg in die ihr unbekannte Hütte gelangt, war so rege, dass kein Wort aus Gesches offenem Munde flog.
Hinnerk Stelljes wartete verborgen der Dinge, die da kommen sollten.
Ham Rugen lehnte mit über der Brust verschlungenen Armen am Tisch.
Wöbke Dierks blickte stumm zu Boden. Sie hielt die Schürze, die vordem ein Sack gewesen war, in der Hand.
Dann erzählte Ham Rugen.
Was nun mit der Deern werden solle? fragte Gesche. Hier könne sie doch nicht bleiben.
Ham Rugen meinte, das werde sich finden.
Da begann Gesche zu kreischen. Ham Rugen musste wieder an den Ruf der Greta denken, des schreienden Moorvogels — dessen Ruf schlägt einem der Wind auch so um die Ohren.
Den Alten hätten sie sich schon aufgeladen, behauptete Gesche, und es könne niederträchtig genug kommen, dann müssten sie ihn noch zehn Jahre füttern; und die Deern, für die keine Arbeit im Hause sei, auch noch? Da werde nichts daraus!
Während Gesche die Eier aus dem Hühnernest in der Ecke der Diele nahm und allerlei Hantierung verrichtete, schimpfte sie geläufig weiter.
Dann band sich Wöbke die grobe Schürze vor, nahm den Eimer und ging, Wasser zu holen.
Um das Wasserloch draussen vor der Hütte lief ein niederer Zaun; ein Haken lag über dem vermorschten Staket. Wöbke liess den Eimer daran hinab und zog ihn, zur Hälfte mit dem teefarbigen Wasser gefüllt, heraus.
Während Hinnerk Stelljes die Zeit für gekommen erachtete, sein Tagewerk zu beginnen, schüttete Wöbke Wasser in den Kessel und blies den Torf an.
Nicht lange danach löffelten sie zu viert den Buchweizen aus der Schüssel. Wöbke Dierks stand zwischen Ham Rugen und dem Fenster. Ham Rugen dachte, er wolle noch einen Schemel zimmern.
Als das Frühmahl vorüber war und Ham Rugen draussen im Morgenlichte stand, hörte er, wie Wöbke Dierks die Diele mit dem Rutenbesen kehrte. Als sie damit zu Ende gekommen, ging er mit Hinnerk und dem Mädchen an dem urbargemachten Landstreifen entlang.
Der Tau blitzte an jedem Buchweizenpflänzlein; der ganze Strich, auf dem Ham Rugen vor wenig Wochen das Moor gebrannt hatte, lag wie ein schwellendes Kissen in der braunen Landschaft, in das tausend und tausend Nadeln gesteckt waren. Und jede trug ein flimmerndes Kleinod.
Hinnerk Stelljes schritt in die Hütte zurück; und während Ham Rugen mit Wöbke Dierks in der Torfkuhle stand und dem Mädchen zeigte, wo er die Jahre her gestochen und wie er die Gräben gezogen, liess er seine Augen mehr auf dem Kind als auf den braunen triefenden Moorwänden ruhen.
Die Schweigsamkeit, die in Wöbke ist, hat sie vom Gelände, in dem sie lebt, dachte er. Aber das goldene Haar und die weiche Sanftheit der Haut hat ausser ihr keiner. Er meinte auch, er habe noch nie einen Menschen gesehen, der einen so strahlenden Blick gehabt wie Wöbke und wusste nicht, woher dem Kinde diese fremde Schönheit komme.
Über den Mooren war an diesem Morgen zum ersten Mal das Zittern des Lichts. Die Grillen sangen schon, und die Lerchen stiegen. In den Schatten, welche die Birken warfen, war gar keine Bewegung; blank und golden tropfte der Schein der Sonne hinein, und nur ab und zu, wenn der Wind mit sanftem Atmen vorüberlief, begannen die Blätter der Birken ihr Lispeln, oder das Wollgras am schwarzen Moorgrunde wiegte die seidigen Hütlein.
Ham Rugen sagte sich, man wisse nicht, ob die Sonne mit der strahlenden Hand oder der sanfte Hauch des Windes das weiche Wehen hervorgebracht.
Wie er ein Stück durch den Torf geschritten war, um zu sehen, ob sich das Wasser in der tiefen Kuhle verlaufen habe, schaute er zurück und sah Wöbke noch schärfer gegen die dunkelbraune Torfwand sich abheben. Ringsum war flitterndes Licht, ein fast blendender Glanz, und aus den geraden Linien der Ebene, in der die scharfen Schnitte der Torfstiche standen, hoben sich die Kronen der Birken auf den silbernen Säulen. Die Moormyrte hatte sich mit rötlichen Blütenkätzchen behängt und wob da und dort einen rosigen Schimmer in das Grün.
Und über allem wölbte sich die blaue Kuppel des Himmels.
Die Rosmarinheide, die ihre roten Glöcklein im frühen Frühling über dem Moore läutet, und das seidene Flockengras sind auch von so lieblicher Schönheit, dachte Ham Rugen, dass man sie gar nicht im Heidemoore vermuten könnte. Und die Nachtigallen in den Stechpalmbüschen sind auch da — warum soll nicht eine Menschenblume dem schwarzen Grund entsteigen, die lieblicher und leuchtender ist als alles ringsumher? Der harte Heidewind weht auch um das zarte Silber der Birken und um die grünen Schleier ihrer Äste, und die Stämme bleiben doch immer wie silberne Säulen, und die Schleier der Birken flattern gar holdselig über den blanken Säulen und wandeln sich unter dem zitternden Schimmer der Sommersonne in leuchtendes Gold.
Sechstes Kapitel.
So erschien Ham Rugen das Moor mit seinen stillen Linien und schwermütigen Farben allgemach reicher an Lichtern und Formen, die er vordem nie wahrgenommen zu haben glaubte. Seit er nicht mehr mit dem Esker in der Torfkuhle oder im Moorgraben stand und das Blau des Himmels sich öfter in seinen Augen spiegelte, als das Braun oder Schwarz des triefenden Grundes, war ein mildes Licht in diese Augen gekommen. Das war nicht so, wie der flackernde Glanz, den das Prüfen der Büsche und das hastige Suchen versteckter Gefahr auf heimlichem Schmuggelpfade hineingebracht; es war auch nicht das blanke Leuchten, das mit der Jugend erlischt, sondern es war wie der sanfte Strahl einer Kerze, die späte Liebe entzündet und in diese Augen gestellt hatte.
Ham Rugen ging aus der Torfkuhle, um deren Ränder ein weicher, samtiger Rasen schwellte und auf denen Wöbke die Ziege führte, zu dem Moortümpel.
Da fand er, dass das faule Wasser den Weg geflossen war, den er ihm gezeigt hatte. Die Sonne hatte das schlammige Becken fast ganz ausgetrocknet, und Ham Rugen rief Hinnerk Stelljes und sagte ihm: wenn sie, während die Kartoffeln wüchsen und das Heidekorn der Ernte entgegenreife, noch mehr Gräben durch jene Stelle des Moores zögen, so werde der Grund, der hier nur aus schwarzer Moorerde bestehe, den Sommer über austrocknen. Sie könnten dann später das schwarze Erdreich, das Neigung zum Sauerwerden zeige, mit weichem, trockenen Heidesande mischen und das Land gegen den Herbst hin so tief lockern, als der Frost des Winters hineingefrieren müsse, um es vollends mürbe zu machen. Wenn das alles geschehen und Hinnerk Stelljes ein Stück Land von der Ausdehnung eines Morgens mit Kartoffeln bebauen könne,