Christian Efing

Semantik für Lehrkräfte


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aufweist und sich somit eindeutig von anderen unterscheidet.

      Abb. 222b:

      Semanalyse der Verwandtschaftsbezeichnungen (nach Bierwisch 1969: 67). + = Merkmal trifft zu; – = Merkmal trifft nicht zu; 0 = indifferent in Bezug auf Merkmal

      Übung 222b

      In einer strengen Variante der Merkmalsemantik dürfen nur so viele Merkmale bzw. Seme angesetzt werden, wie zur semantischen Unterscheidung der betreffenden Wörter erforderlich sind. Untersuchen Sie die Merkmalmatrix in Abb. 222b auf überflüssige Merkmale.

      An dieser Stelle tut sich die Frage nach dem epistemologischen Status von semantischen Merkmalen auf: Sind diese reale sprachliche Erscheinungen der Objektsprache, oder handelt es sich vielmehr um Einheiten der Metasprache, die zum Zweck der linguistischen Analyse unterschieden werden? Die Existenz (universeller) semantischer Merkmale, die den Wortschatz einzelner Sprachen gliedern, ist in der Sprachtypologie und Universalienforschung noch immer umstritten (zu denken ist dabei an Merkmale wie [Singular] und [Plural] oder [belebt] und [unbelebt]), erweist sich letztlich jedoch für die semantische Merkmalanalyse als irrelevant: Ungeachtet ihres Status’ werden hier Merkmale entweder herausgegriffen oder eigens angesetzt, um im Zuge einer sprachwissenschaftlichen Konstruktion Wortfelder semantisch zu gliedern. Problematisch bei diesem abgrenzenden Verfahren mag sein, dass dabei das Wesentliche oder auch: Typische (vgl. Kap. 2.2.3) außer Acht bleiben kann.

      2.2.3 Prototypen- und Stereotypensemantik

      Während die Merkmalsemantik als eine geradezu klassische Vertreterin der strukturalistischen Sprachwissenschaft zu gelten hat, stellen Prototypen- und Stereotypensemantik typische Vertreterinnen der sog. kognitiven Semantik dar. Im Unterschied zur strukturellen verfolgt die kognitive Semantik das Ziel, semantische Phänomene nicht eigens linguistisch zu konstruieren, sondern als mentale Repräsentationen zu analysieren. Oder mit anderen Worten und dabei ein wenig traditioneller ausgedrückt: Die kognitive Semantik versucht, anhand sprachlicher Daten einen Einblick in die Funktionsweise des menschlichen Geistes zu erhalten. Dabei ist eine universalistische Richtung, die sich für sprachlich reflektierte kognitive Funktionsweisen überhaupt interessiert, von einer soziokulturellen Spielart zu unterscheiden, welche mentale Gemeinsamkeiten der Mitglieder einzelner sprachlicher Gemeinschaften herauszuarbeiten versucht.

      Unter einem Prototyp wird der beste Vertreter einer Kategorie verstanden (Übersicht bei Gansel 2017). Welche Vertreter das jeweils sind, lässt sich anhand von Experimenten ermitteln. Erste Erhebungen dieser Art wurden in den 1970er Jahren in den Vereinigten Staaten durchgeführt (vgl. Rosch 1975): Dabei mussten die Probanden beste Vertreter einer Kategorie aus vorgegebenen Beispielen nennen oder Aussagen zu besten Vertretern (mehr oder weniger spontan) bestätigen. Im Falle der Kategorie ergab sich dabei etwa das folgende Bild (vgl. Abb. 223a): Als bester Vertreter erschien robin (das Rotkehlchen), gefolgt von sparrow (Spatz), canary (Kanarienvogel), blackbird (Amsel), dove (taube) und lark (Lerche). Parrot (Papagei), pheasant (Fasan), albatross (Albatros), toucan (Tukan) und owl (Eule) lagen etwas weiter entfernt, flamingo (Flamingo), duck (Ente) und peacock (Pfau) noch etwas weiter; den weitesten Außenseiter bildete schließlich bat (die Fledermaus, die kein Vogel ist).

      Abb. 223a:

      „Abstufungen der Vogeligkeit“ (Aitchison 1997: 68)

      Das Ergebnis der Untersuchung belegt nun zweierlei: Aus einer universalistischen Perspektive der kognitiven Linguistik heraus ist zum einen festzuhalten, dass abstrakte Kategorisierungen im menschlichen Denken (auch) als Prototypikalisierungen erfolgen – in diesem Falle durch eine besonders charakteristische Vogelart, das Rotkehlchen. Zum anderen kann aus einer soziokulturellen Sicht heraus festgestellt werden, dass solche Prototypikalisierungen spezifisch für bestimmte sprachliche Gemeinschaften sind – denn in Australien oder China wird das Rotkehlchen sicher nicht im Zentrum der Prototypikalisierung von Vögeln stehen, sondern eine andere Art. Dies gilt bereits für den europäischen Raum: So kommt etwa das Rotkehlchen in dem volkstümlichen Lied „Alle Vögel sind schon da“ von Hoffmann von Fallersleben (1847) gar nicht vor; hier erscheinen vielmehr „Amsel, Drossel, Fink und Star“ an erster Stelle.

      Amsel, Drossel, Fink und Star, aber auch Rotkehlchen und Spatz ähneln sich, sodass ihnen als mehr oder weniger zentrale Vertreter des Prototyps Vogel gemeinsame Eigenschaften zugeschrieben werden können. Eine standardisierte Beschreibung solcher Eigenschaften, die für eine bestimmte Kategorie oder natürliche Art charakteristisch bzw. normal sind, wird als Stereotyp bezeichnet (vgl. Putnam 21990: 41). Im vorliegenden Fall läuft dies insbesondere auf Merkmale wie [klein], [fliegt], [singt] und [gefiedert] hinaus. Diese Merkmale haben nun einen ganz anderen epistemologischen Status als die Seme der Merkmalsemantik: Sie stellen keine sprachwissenschaftlichen Konstrukte zur Unterscheidung von lexikalischen Einheiten eines Wortfelds dar, sondern sind Kriterien einer nach Putnam operationalen Definition, die zur Klärung beitragen, ob ein gegebener Gegenstand zu einer bestimmten Klasse bzw. Kategorie gehört oder eben nicht.

      Zusammengefasst lässt sich der Zusammenhang zwischen Prototyp und Stereotyp wie folgt darstellen (vgl. Abb. Abb. 223b): Ein Prototyp stellt den idealen Vertreter einer Kategorie dar (diese Kategorie kann auch als Gattung oder als Hyperonym bezeichnet werden; vgl. Kap. 2.4.2) – hier repräsentiert durch eine einfache Zeichnung, die für einen echten Vogel steht (ggf. eine einzelne Amsel). Dieser Prototyp wird nun durch Vertreter verschiedener Subkategorien mehr oder weniger ideal repräsentiert (diese sind dann entsprechend als Arten oder als Hyponyme zu bezeichnen) – in diesem Falle beispielsweise durch solche von Amsel, Drossel, Fink und Star. Diesen ideal-typischen Vertretern sind nun einige charakteristische Merkmale eigen – hier also etwa [klein], [fliegt], [singt] und [gefiedert]: Diese bilden gemeinsam den Stereotyp, der dem Prototyp entspricht. Zuletzt sind einige weitere Merkmale anzusetzen, die den Vertretern bestimmter Subkategorien zukommen – im Falle der konkreten Amsel zum Beispiel [schwarz] und [gelbe Augen].

Prototyp: Vogel (Hyperonym)
Typische Vertreter (Hyponyme) Amsel, Drossel, Fink und Star
Stereotyp: Charakteristische Merkmale [klein], [fliegt], [singt] und [gefiedert]
Weitere Merkmale eines Referenten – etwa Amsel [schwarz] und [gelbe Augen]

      Abb. 223b:

      Prototyp und Stereotyp (in Anlehnung an Schwarze 1996: 718f.)

      Übung 223a

      Diskutieren Sie (im Kurs oder in anderer Gemeinschaft) Prototypen und Stereotypen anderer Kategorien – zum Beispiel von Baum, Möbel oder Trinkgefäß. Wie verhalten sich in diesem Zusammenhang Abstrakta wie Vernunft, Freiheit oder Demokratie?

      2.2.4 Frame- und Skriptsemantik

      Die Bedeutung eines Wortes erschließt sich nicht allein im Hinblick auf deren Relation zu Bedeutungen anderer Wörter, sondern ist darüber hinaus auch abhängig von einem entsprechenden Weltwissen der Sprachverwendenden. Dieses Weltwissen wiederum