Jakob Wassermann

Ulrike Woytich


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nehmen und zu behalten, so unabweisbar hatte sie die Empfindung: das ist für mich bestimmt, das gehört mir und gehört zu mir.

      Sie hütete sich aber, hiervon etwas merken zu lassen, auch lenkte Mylius’ Gebaren ihre Aufmerksamkeit völlig auf seine Person. Er kramte in Truhen, Fächern, Schubladen, schleppte Dutzende von Gegenständen herbei, erklärte, deutete, bewunderte, forderte sie auf zu bewundern, nannte Preise, berichtete, wo er dies entdeckt habe, welche Geschichte hinter jenem lag, wer es veräussert habe, wer es zu erwerben trachte, nannte Namen von Herzogen und Herzoginnen, Fürsten und Fürstinnen, Grafen, Baronen, grossen Herren aller Länder, zitierte Gespräche mit ihnen, schilderte die Mühen und Listen, deren es bedurft, um eine Schale, ein Service, einen alten Schreibtisch, eine Schmiedearbeit, ein Gemälde in seinen Besitz zu bringen. Er war verwandelt, ein Mensch von anderer Kategorie als der, den sie in ihm zu sehen gewohnt war; seine Miene hatte etwas still Verliebtes und Gehobenes wie bei einem Trophäenträger; das allein schon hätte Ulrike Vorstellung und Begriff von dem Wert der aufgehäuften Altertümer gegeben, auch wenn sie minder weltläufig und unbelehrter gewesen wäre, als es ihr passte, sich zu stellen. Sein Lächeln war gutmütig-spöttisch, als wollte er sagen: du hast dich getäuscht, Armselige, bekenne nun deine traurige Ignoranz. Er hatte gleitende, geschmeidige, streichelnde, sachtreue Bewegungen, die Hände umfassten das einzelne mit stolzer Sorgfalt. Da war ein Ding, das einer Königin zu eigen gewesen war; da eines, an dem das Schicksal eines grossen Geschlechtes hing; da eines, das von der Verarmung eines ehemals glänzenden Hauses zeugte; da eines von unbekannter Herkunft, bedeutend und anziehend nur für Kenner. Mylius betastete sie, schätzte sie ab, klammerte sich mit den Blicken an sie, kannte ihre verborgenen Merkmale, ihre geheimen Fehler, wusste um ihre Einzigkeit oder ob der Wert verringert war durch Duplikate, Pendants und Nachahmungen, hielt Zwiegespräche mit ihnen, als seien sie lebendige oder schlummernde Geschöpfe, warf eine Anekdote hin, die an diesem haftete, ein historisches Ereignis, das jenes erhöhte und beleuchtete, einen langwierigen Prozess, der um ein drittes geführt worden war. Da war eine mit Halbedelsteinen besetzte Kette aus erstaunlicher Silberfiligranarbeit; wie er sie wog; wie er sie bedächtig auf die Stoffunterlage breitete; er sagte, sie sei einst Eigentum der schönen Fürstin Sapieha gewesen; als wenn er sie um den Hals der Fürstin legte, war die Gebärde, als wenn mit der Kette auch die Fürstin selbst sein geworden wäre und er Macht hätte über ihre abgeschiedene Seele oder sie auferstehen lassen könnte aus dem Grab.

      Es war Äusserung von Macht. Zum erstenmal erfuhr Ulrike zu innerst und im tiefsten Kern, was Besitz ist. Dieser Mann besass! Alle diese Gegenstände waren sein, weil er in allen lebte, in allen herrschte, sie alle durchdrang, durchwirkte, durchblutete. Dieser alte Mann war unnahbar, unangreifbar durch Besitz, und durch Besitz wuchs er in ihren Augen zu gewaltiger Grösse.

      Aber sie hätte sichs nie verziehen, wenn sie das geringste hiervon hätte wahrnehmen lassen. Was sie da sah und gesehen hatte, galt nicht und entschied nicht für sie. Ihr war nötig Einblick, Überblick, Zahl, Bestimmtheit, Mass und Unbezweifelbarkeit. Mit ihren aufgestachelten Sinnen witterte sie aufs schärfste, dass alles, was er ihr dargeboten und gewiesen, etwas anderes verbarg, Wichtigeres noch, dass es nur das Fundament war, über dem sich ein Gebäude erhob, dessen Umfang und Höhe sie nicht zu erkennen vermochte, weil er es wie ein Zauberer den Blicken der Menschen entrückt hatte, zu dem er ihr aber den Zutritt je früher freigeben würde, je blinder sie sich stellte.

      Es war indessen acht Uhr geworden, und Ulrike sagte, sie müsse nach Hause, sie wolle ihn nicht länger stören. Mylius schüttelte den Kopf. Er habe seiner Frau Botschaft durch den Diener geschickt, dass er spät oder gar nicht zum Essen kommen würde, antwortete er; habe ausrichten lassen, er habe eine Besprechung mit einem Geschäftsfreund, der morgen früh wieder abreise. Warum das? fragte Ulrike verwundert, es laufe ja seiner ehrwürdigsten Gewohnheit entgegen; man wisse ja, dass er in Jahren nicht den Abend ausserhalb der Familie verbracht habe; was ihn denn eigentlich verhindere, nach Hause zu gehen? Es sei nun so, antwortete er, plötzlich mürrisch geworden; er habe sichs schon gestern vorgesetzt, als sie ihm ihr Kommen angekündigt, und als sie in den Laden getreten, sei es beschlossen gewesen. Es wäre etwas zwischen ihm und ihr, das hätte erledigt werden müssen. Also ihretwegen? fragte Ulrike noch verwunderter; es schmeichle ihr natürlich ungemein; sie könne sich nicht denken, worauf er es beziehe; meine er den Trödelladen, mit dessen Inhalt er sie eben bekannt gemacht, sie sagte es in absichtlich geringschätzigem Ton, so müsse sie gestehen, es habe sie interessiert, mal so was zu besichtigen, aber damit seien sie ja nun fertig, und er brauche zu Hause das Essen nicht versäumen. Mylius schien geärgert; er entgegnete, um sein leibliches Wohl möge sie sich nicht sorgen, er habe ein paar Brote in die Tasche gesteckt und werde sie jetzt mit ihrer Erlaubnis verzehren. Er zog ein nicht ganz sauberes Päckchen aus der Rocktasche, wickelte es auf, es enthielt drei mit Wurst belegte Semmeln, und reichte es ihr auf der flachen Hand. Sie dankte; sie ihrerseits müsse heim, sagte sie und schickte sich an, durch den vorderen Raum ins Kontor zu gehen, um Mantel und Hut zu holen.

      Dieser ganze banale Wortwechsel war von Ulrike aus eine höchst geschickt inszenierte Komödie.

      Mylius folgte ihr langsam. Er verwandte kein Auge von ihrem Gesicht. Sein Blick war unruhig und finster. Als sie nach dem Mantel griff, sagte er: „Sie irren. Wir sind durchaus noch nicht fertig.“

      „Wieso?“ fragte sie, erschrocken tuend, „soll ich vielleicht noch mehr Trödel bestaunen? Genug für heute.“

      Mylius würgte den Bissen, den er im Munde hatte, hinunter und sagte erbost: „Trödel? Trödel? Das Wort scheint Ihnen Spass zu machen. Sie haben also nicht begriffen, was der Trödel ist und was dahintersteckt? Ist in dem geehrten Köpfchen zu wenig Platz also. Das geehrte Köpfchen kann nicht fassen, dass der Trödel eine ungeheure Lebensarbeit veranschaulicht und in sich schliesst? Schade. Hätte das geehrte Köpfchen für klüger gehalten.“

      „Lassen Sie mein Köpfchen gefälligst aus dem Spiel“, fuhr ihn Ulrike missmutig an. Dann, nach einer Pause, sagte sie, es sei Maulwurfswesen. Staub sei es, Wurmfrass, Verfall, Überbleibsel, Allerweltshausrat. Dass Hunderttausende in dem Ramschmagazin steckten, wolle sie nicht leugnen, dürfe sie auch nicht bezweifeln, aber das sei, wie wenn man Goldkörner aus einem Berg graben wolle. Wer habe was von den Hunderttausenden? Er allein habe Freude davon. Doch das sei Narrenfreude nur, denn er gönne sich ja nicht die Butter aufs Brot. Es seien auch bloss eingebildete Werte, abhängig vom Belieben der Sonderlinge und der ridikülen Laune reicher Dummköpfe. Heute Mode, morgen Moder. Eine Zufallswoge treibe den Preis empor, eine andere stürze ihn. Handel sei soviel wie Borg; man setze die Dinge gegeneinander zum Pfand. Das sei nichts Festes, nichts wobei man sagen könne: das und das hab ich, keiner kann mirs streitig machen und keiner wegnehmen, darum muss ich nicht zittern in der Nacht, nicht Diebe und Feuer fürchten, es steht da wie ein Turm. Ihr imponiere bloss das Feste; sie sei für den Turm und nicht für Ramsch. Und wenns noch zehnmal soviel Trödel wäre und hundertmal so kostbar, es könne ihr nichts bedeuten, nicht mehr als schillernde Seifenblasen, die ja auch aus trübem Wasser entstünden. Er wiege sich vielleicht in der Illusion, er schwimme in Reichtümern, aber sie wisse recht gut, dass er sich selber keinen Glauben beimesse und es in seinem Innern für eitel Blendwerk halte. Wie käme es denn sonst, dass er ein Leben führe wie ein Armenhäusler und den eigenen Sohn wegen jämmerlicher fünfzig Gulden zuschanden schlage? Er möge ihrs nicht übelnehmen, aber sie müsse reden, wie ihr der Schnabel gewachsen sei, und ihr widre nun einmal gründlich vor der Armenhäuslerluft um ihn herum. Ihr widre einerseits, andererseits daure er sie, daure sie die Frau, dauerten sie die Kinder.

      Mylius entgegnete nichts. Er ging hin und her, hin und her, unablässig. Die Stimme, die da sprach, verursachte ihm eine ungewohnte Pein. Sie durchwühlte ihn; es war, als schabe sie ihm die Haut vom Leibe, aber er erinnerte sich nicht, je eine so sonderbare Lust beim Anhören einer Stimme verspürt zu haben. Sie versetzte ihn in einen Rausch von Zorn und Hass, doch Zorn und Hass mündeten in jene Lust. Er fühlte manchmal ähnliches, wenn er unerkannt eines seiner Häuser betrat, die irgendwelchen Strohmännern zugeschrieben waren, aber in Wirklichkeit ihm gehörten, ihm vom Dach bis zum Keller, und wenn ihn niemand grüsste, niemand beachtete, während doch jeder einzelne in Devotion erstorben wäre, hätte er gewusst, wer der unscheinbare Fremdling war. Darauf eben war seine Existenz gegründet, ihr Verführerisches, ihr Gefährliches, auf das Harun-al-Raschid-Sein, das heimliche König-Sein, Fülle