zu verlieren und sich nur noch dem Vorgang hinzugeben. Der Schmerz blockiert ja alle anderen Impulse außer dem, zu gebären. Für eine Frau, die es gewohnt ist, ihr Leben in die Hand zu nehmen und alles zu steuern, für die kann es schwer sein, wirklich loszulassen. Und auch für jene, die sich nicht auf andere verlassen wollen, kann eine Geburt eine Herausforderung sein.
Es können Ihnen Dinge widerfahren sein, die Sie als totalen Übergriff erlebt haben. Eine Hebamme, die Sie nicht versteht, ein Arzt, der die Kontrolle übernimmt, obwohl Sie es nicht wollen, oder eine Betäubung, die nicht gegeben wurde, obwohl Sie darum gebeten hatten.
Aber wie Sie Ihre Geburt im nachhinein erleben, ist nicht nur eine Frage der tatsächlichen Ereignisse. Wenn Sie finden, daß es schwer war, dann war es schwer. Auch wenn alles für eine »normale Geburt« spricht.
»Ich habe mein Kind in vier Stunden bekommen. In allen Papieren steht, daß ich eine prima Geburt hatte. Sie wurde eingeleitet, und deshalb bestanden die vier Stunden aus einer einzigen Wehe. Es war wie eine große Explosion, eine chemische Vergewaltigung.
Als ich mein zweites Kind bekam, mußte ich sehr viel Zeit darauf verwenden, es überhaupt zu wagen, noch einmal zu gebären.«
Helen, 33, zwei Kinder
Nur das eigene Erleben zählt. Lassen Sie niemanden behaupten, die Geburt wäre gut oder schlecht verlaufen oder Sie hätten keinen Grund »zu jammern«. Sprechen Sie mit anderen. Es tut gut zu erzählen, immer und immer wieder, was genau passiert ist und wie es sich angefühlt hat. Weinen Sie, wenn Ihnen danach ist. Schreien und lachen Sie. Wenn Sie das Bedürfnis nach einem physischen Ausleben haben, dann braucht das Nervensystem das, um das Erlebnis einzuordnen.
In vielen Krankenhäusern in Schweden arbeitet man mit neuen Methoden, um eine Geburt vorzubereiten. Eine Methode sind Tonkassetten, die schwangere Frauen sich einige Monate vor der Geburt anhören können. Man hört 20 Minuten ruhige Musik und bewußtseinstrainiernde Gedanken. Ein wichtiger Teil der Vorbereitung ist, daß der Schmerz vorhanden sein wird, daß er eine Funktion hat, und daß wir Frauen so beschaffen sind, daß wir ihn aushalten können.
Mit diesen Tonbändern erreicht man phantastische Ergebnisse. Die durchschnittliche Geburtszeit ist gesunken, weil die Frauen mit den Bändern besser entspannen können. Dammrisse waren seltener, weil sie besser auf die Signale des Körpers beim Pressen achten konnten. (In diesem Zusammenhang ist das Buch »9 Monate... und viele Fragen« von Gayle Peterson empfehlenswert, A.d.R.)
Im Danderyd Sjukhus in Stockholm bietet die Chefhebamme auch Gesprächstherapiestunden für Paare mit traumatischen Geburtserlebnissen an. Andere Krankenhäuser haben einen ähnlichen Service. Scheuen Sie sich nicht, auch in Ihrer Klinik danach zu fragen.
Wenn Sie die erste Geburt bearbeiten, kann die nächste noch besser werden. Und auch wenn Sie keine Kinder mehr wollen, haben Sie das Recht, mit dem, was passiert ist, vertraut zu werden.
3 Gefühlsschwankungen
»Ich hatte vier Tage lang Wehen, bis meine Tochter endlich zur Welt kam. Ich war völlig am Ende. Aber als sie schließlich da war, wurde ich innerhalb von wenigen Minuten wieder fit. Dann habe ich sofort die ganze Verwandtschaft angerufen. Ich habe alles erzählt, immer wieder, vom Kind, von der Geburt, ich konnte gar nicht aufhören. Woher hatte ich bloß die Kraft?«
Karoline, 34, zwei Kinder
Sie werden in den Stunden und Tagen nach der Geburt merkwürdige Veränderungen beobachten. Vermutlich die merkwürdigsten in Ihrem Leben. Sie werden Freude und Liebe erleben, Schmerzen und vielleicht auch eine Depression in einem bisher nicht gekannten Maße.
Dieses Kapitel handelt davon, was für ein Gefühl es ist, Mutter zu werden. Von einer Biologie, die ihr Bestes tut, um der Mutter und dem Kind zu helfen, einander zu finden und mit den ersten Tagen des Lebens zurechtzukommen.
Man müßte eigentlich völlig fertig sein
Eine Frau, die gerade geboren hat, müßte eigentlich total erschöpft sein. Der Körper hat alle Energiereserven aufgebraucht. Die Muskeln haben ihr Äußerstes geleistet. Die Gelenke und Bänder sind über alle Maßen beansprucht worden. Und dennoch fühlt man sich fit und munter. Alle Sinne sind hellwach. Gerüche, Licht, Geräusche, alles nimmt man mit unerwarteter Schärfe wahr. Die Erklärung dafür ist die Chemie.
Während der Schwangerschaft hat der Körper allmählich immer mehr Endorphine gebildet. Endorphine sind körpereigene Morphine. Sie werden im Gehirn erzeugt, um Schmerzen bei körperlicher Anstrengung und eben während der Schwangerschaft zu lindern. Sie haben eine starke Wirkung: Sie unterstützen den Körper, Unerwartetes leisten zu können, sie betäuben den Schmerz, verhelfen zu äußerster Wachheit und schärfen die Sinne. (Vielleicht haben Sie die Wirkung von Endorphinen schon einmal beim Sport verspürt. Wenn man zum Beispiel joggt, merkt man nach einer Weile, daß das Laufen leichterfällt, die Natur einem schöner vorkommt, man besser denken kann und wacher ist. Da schlagen auch die Endorphine zu.)
Die Endorphinproduktion erreicht während der Geburt ihren Höhepunkt. Das Gehirn versucht, dem Schmerz der Wehenarbeit entgegenzuwirken und produziert große Mengen Endorphin. Und wahrscheinlich haben Sie instinktiv auch noch nachgeholfen, indem Sie sich in der Eröffnungsphase bewegt und so die Endorphinproduktion zusätzlich gesteigert haben.
In den Arm gekniffen
Wissenschaftler sind der Sache nachgegangen und haben Frauen in den Arm gekniffen, vor, während und nach der Geburt. (Geduldige Versuchspersonen, nicht wahr!) Es hat sich herausgestellt, daß die Fähigkeit, Schmerz zu ertragen, während der Entbindung äußerst stark ansteigt. Aber nur bei Frauen, die irgendeine Form von Geburtsvorbereitung hinter sich haben. Man vermutet, daß die Weitung des Muttermundes den Endorphinausstoß auslöst. Auch bei sonstiger Stimulation des Muttermundes erhöht sich die Fähigkeit, Schmerz zu ertragen. Durch die Endorphine sind Sie zu größeren Leistungen fähig, als Sie für möglich gehalten hätten. Nach der Geburt ist der Endorphinspiegel höher als je zuvor in Ihrem Leben, es sei denn, Sie hätten einen dramatischen Unfall hinter sich. Daher rührt das merkwürdige Paradox: völlig am Ende und trotzdem fit.
In früheren Zeiten ging es dabei sicher ums reine Überleben.
In der grauen Vorzeit des Menschen waren eine Frau und ihr Neugeborenes eine lockende Beute für Raubtiere. Wo sie geboren hatte, roch es nach Blut und Wehrlosigkeit. Ein deutliches Signal für Raubtiere und Aasfresser, daß es hier leichte Beute gab. Deshalb war es wichtig, daß die Mutter schnell Kräfte sammeln und mit ihrem Kind den Geburtsplatz verlassen konnte. Der Endorphinkick gab diese zusätzliche Energie, um sich und ihr Kind in Sicherheit zu bringen. Und außerdem brauchte sie ausreichend Energie, um das Kind sofort zu pflegen und zu stillen, obwohl eine Geburt dem Körper die letzten Kraftreserven nimmt.
Mit allen Sinnen
Das Endorphin erhöht auch die Sensibilität aller Sinne, denn es kommt jetzt darauf an, so schnell wie möglich einen neuen kleinen Menschen anzunehmen. Dieses Geschöpf ist ja zum Teil ein fremdes Wesen für Sie. Und Sie sind auf vielerlei Weise eine Fremde für das Kind. Und dennoch ist ein Kind entsetzlich abhängig. Ohne die Fürsorge und, ganz allmählich, die Liebe der Mutter kann es nicht überleben. Aus diesem Grund hat die Natur das äußerst sinnreiche Zusammenspiel zwischen den beiden erfunden. Die ganze Biologie arbeitet darauf hin, daß Mutter und Kind einander finden.
Eine Mutter muß ihr Kind kennenlernen, allmählich seine Signale deuten können und es schützen und umsorgen wollen. Das Baby muß das Gesicht, die Stimme und den Geruch der Mutter kennenlernen. Ihr Wesen wird sich auf ewig in ihm einprägen, es weiß, daß es jemanden hat, zu dem es gehört.
Die Sinne öffnen sich.
Der Geruch. Das Fett, das am Neugeborenen haftet (Käseschmiere), riecht stark und eigentümlich. Die meisten Mütter mögen den Geruch und vergessen ihn ihr Leben lang nicht.
Der Tastsinn. Die Haut des Kindes ist zart, es ist ein