Maria Borelius

So geht's mir gut nach der Geburt


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Sie horchen und versuchen, die Laute zu deuten. Sie lernen sehr schnell, sein Schreien von dem anderer Kinder zu unterscheiden. Und wenn eine Mutter nicht zu ihrem Kind kann, wenn es schreit, bekommt sie Angst und Schweißausbrüche – Chemie fürs Überleben.

      Der Gesichtssinn. Sie studieren das Gesicht Ihres Kindes genau. Und natürlich finden Sie, daß Ihr Baby schöner ist als alle anderen Kinder. Was drückt es aus? Zufriedenheit, oder fehlt dem Kind etwas? Was könnte es sein? Und wem ähnelt das Kind? (Hebammen behaupten oft scherzhaft, daß neugeborene Kinder sehr ihren Vätern ähneln. Wenn das stimmt, will die Natur damit vermutlich dem Mann beweisen, daß das Kind von ihm ist, damit er sich mit Lust und Kraft an seinem Schutz beteiligt.)

      Interessant ist auch, daß der Körper des Kindes so proportioniert ist, daß er Hilflosigkeit ausstrahlt und Erwachsene darauf reagieren. Das Kind hat ja, verglichen mit einem Erwachsenen, einen viel zu großen Kopf, große Augen, ein kleines, rundes Gesicht mit kleiner Nase und kurze Gliedmaßen. Das löst in unserem Gehirn Mütterlichkeit und Beschützerinstinkte aus. (Ähnlich reagieren wir bei den Nachkommen von Tieren. Große Kühe, Tiger oder Hühner wecken keine starken Sympathien, aber alle Menschen finden Kälber, Tigerbabys und Küken süß. Die Programmierung im Gehirn ist also so stark, daß sie immer ausgelöst wird, egal, wie und wo wir diesen äußerlichen Merkmalen begegnen.)

      »Ich wollte alles über diesen kleinen Menschen wissen. Wie er roch, sich anfühlte, sich anhörte. Wir rochen aneinander, diese zarte Haut und der süße Duft hatten etwas wahnsinnig Sinnliches.«

      Sara, 32, zwei Kinder

      Eine Mutter arbeitet unbewußt ständig daran, sich so schnell wie möglich dem Kind einzuprägen. Sie hält es vor sich, genau in dem Abstand, in dem ein Neugeborenes am besten sieht. Sie spricht mit ihm, damit das Kind die Stimme, die es bereits in der Gebärmutter vernommen hat, wiedererkennt. Und sie riecht stark. Der Blutgeruch der Geburt hält sich. Eine Mutter schwitzt in den Tagen nach der Geburt wie kaum sonst. Die Brüste riechen nach Milch. Schon fünf Tage alte Babys ziehen ein Tuch, das von ihrer Mutter getragen wurde, einem von anderen Frauen getragenen Tuch vor.

      Eine Mutter, die allzu lange von ihrem Kind getrennt ist, bekommt Angst. Das ganze Nervensystem scheint sie wie mit einem Magneten zu dem Kleinen hinzuziehen. Sie streichelt und berührt das Baby ständig, damit es vor allem mit ihr Genuß verspürt. Innerhalb von wenigen Tagen wird die Mutter das Zentrum der Welt für das Kind.

      Der Wunsch zu schützen wird frühzeitig geweckt, aber die Liebe zum Kind kann auf sich warten lassen.

      »Ich schaute ihn an und fragte mich, wer er war. Ich habe in den ersten Tagen wirklich keine Liebe empfunden. Mehr Erstaunen.«

      Kristina, 47, drei Kinder

      Die Liebe kann Tage und Wochen auf sich warten lassen. Aber wenn sie dann kommt, spürt man es. Es ist eine Verliebtheit, die deutliche chemische Spuren im Gehirn hinterläßt. Sie wird ein Leben lang währen, und viele Frauen finden, daß diese Bindung viel stärker ist als die, die man zu einem Mann empfinden kann.

      Der erste Glücksrausch

      Während der Geburt werden auch große Mengen Oxytozin gebildet, es befördert die Wehenarbeit in der Gebärmutter. Dieses Hormon hat viele psychologische Effekte.

      Die Wissenschaft hat nachgewiesen, daß es daran beteiligt ist, die Erinnerung an die Geburtsschmerzen auszulöschen. Es bewirkt auch, daß man sich nach innen wendet, daß man sich entspannt und fast tierische Mutterinstinkte entwickelt. Oxytozin schirmt gegenüber der Umwelt ab, macht aber weit offen gegenüber dem Kind. Man hat es auch das »Glückshormon« der Geburt genannt. Zusammen mit dem Endorphinkick kann es den Rausch erklären, den viele Frauen in den Tagen nach der Geburt erleben.

      Dann kommt der Gegenschlag.

      Wie das Klimakterium

      Viele Frauen fallen einige Tage nach der Geburt in eine richtige Depression. Man geht davon aus, daß die Hälfte aller Frauen ungefähr zwei bis drei Tage nach der Geburt einen starken Gefühlsumschwung erleben. Die Symptome sind Weinerlichkeit, ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit, Reizbarkeit und Pessimismus angesichts der Zukunft.

      Das kann wie ein Schock kommen. Die erwartete Freude über das Kind weicht einer Niedergeschlagenheit und Depression. Dieses Phänomen ist so weit verbreitet, daß die Wissenschaftler einen Namen dafür haben, »Maternity Blues« oder »Postnatale Depression« oder auch »Wochenbettdepression«.

      »Ich wurde so verdammt deprimiert. Am dritten Tag, genau als die Milch einschoß, kam es über mich. Ich habe ja lange gewartet, ein Kind zu bekommen, und ich dachte, es würde so ganz anders werden. Meine Depression dauerte sechs Monate.«

      Kicki, 37, ein Kind

      Ungefähr 10 bis 15 Prozent aller Mütter erleben länger andauernde Depressionen und ein bis zwei Frauen von tausend geraten in regelrechte Psychosen durch die Umstellung. Niemand kann mit Sicherheit sagen, was an diesen Hormonschwankungen die Biologie und was die psychologische Umstellung verursacht hat.

      Ist es die Umwelt...

      Für Umweltfaktoren spricht folgendes:

      Zum einen können nicht nur Frauen, die gerade entbunden haben, depressiv davon werden, plötzlich von der Außenwelt abgeschnitten zu sein, zusammen mit einem kleinen Menschen, der ständige Aufmerksamkeit erfordert. Eine solche Situation streßt die meisten Menschen. Und auch bei Adoptivmüttern kommt es vor, daß sie sich niedergeschlagen fühlen, wenn sie gerade Mutter geworden sind. Sie erleben den gesamten psychologischen Druck frischgebackener Mütter, ohne von den Hormonschwankungen betroffen zu sein.

      Der Grad der Niedergeschlagenheit scheint auch bei jedem weiteren Baby abzunehmen. Die soziale Umstellung ist geringer, wenn man bereits Kinder hat, obwohl die hormonelle Umstellung bei jeder Geburt die gleiche ist.

      Die Niedergeschlagenheit kommt also von der Veränderung, die es mit sich bringt, Mutter zu werden, und weniger von den Hormonen.

      ...oder die Biologie

      Andere Faktoren sprechen eher für eine biologische Erklärung. Zum Beispiel, daß die Depression ziemlich genau zwei bis vier Tage nach der Geburt einsetzt. Es scheint eine Art biologische Uhr zu geben, die das Ganze steuert. Es sind sehr viele Frauen davon betroffen, auch solche, die sonst keine Probleme mit Gefühlsschwankungen haben. Aber der wichtigste Grund, die Biologie zu verdächtigen, ist der, daß die Hormonumstellungen enorm sind. Und daß ähnliche Hormonumstellungen in anderen Lebenssituationen zu genau der gleichen Niedergeschlagenheit führen.

      Ein Kind zu gebären und mit dem Stillen anzufangen, ist, wie für eine Weile ins Klimakterium zu kommen. Das klingt merkwürdig, weil die Frau doch gerade ein Kind geboren hat und eine Frau im Klimakterium nicht mehr Mutter werden kann. Aber hormonell passiert ungefähr das gleiche. Während der Schwangerschaft ist der Gehalt an den weiblichen Hormonen Östrogen und Progesteron extrem hoch. Nach der Geburt sinkt er in den Keller. Das gleiche passiert mit einer Frau im Klimakterium. Bei einer Frau, die geboren hat, wird der Östrogenspiegel durch das Stillhormon Prolaktin niedrig gehalten. Bei einer Frau im Klimakterium stellen die Eierstöcke selbst die Östrogenproduktion ein.

      Hormonumstellungen sind immer lästig. Die sehr große Umstellung nach einer Geburt ganz besonders. Ein sinkender Östrogenspiegel löst eben genau solche Symptome aus wie Depression, aber auch Schweißausbrüche und Trockenheit in der Scheide. Also genau die gleichen Symptome, die eine Frau im Klimakterium erleben kann. Aber während sich bei ihr die Beschwerden über einen längeren Zeitraum hinziehen, geschieht die Umstellung bei einer Frau nach der Geburt blitzschnell. Die Folge kann eine starke Depression sein.

      ...oder sowohl als auch?

      Zusammenfassend kann man sagen, daß eine Depression vermutlich biochemisch durch die große Hormonumstellung nach der Geburt ausgelöst wird. Unterstützt wird sie dann noch durch all das, was einer