Alexander Onischuk sei eine „Improvisation“ gewesen. Am Ende bestand seine Aufgabe darin, oben mit Weiß einen schwarzen Läufer unter günstigen Umständen zu gewinnen. Das sofortige 1.Txc8 wäre jedoch zu plump. Wieso? Und auch die Variante 1.Df3 Dg4 2.Txc8 Dxf3 3.gxf3 Lb6 wirkte undeutlich. Sutovsky machte es besser. Wie?
Lösung: 1.Th8+! (Viel genauer als 1.Dg3?! Dxf6 2.Dg8+ Kh6. Ganz falsch wäre 1.Txc8?? Dxf2+! 2.Txf2 Td1 matt.) 1…Kg6 (Nicht 1…Kxh8? 2.Df8+ nebst Matt.) 2.Dg3+ Kxf6 (Nicht 2…Dg4? 3.Tg8+. Auch 2…Lg4 verliert: 3.h3 Txf2 4.Txf2 Dxf2+ 5.Dxf2 Lxf2+ 6.Kxf2.) 3.Txc8 (Auch 3.Th6+ ist gut.) 3…Td3 4.Dg8 1:0.
Bobby Fischers Erbe
Zweieinhalb Jahre nach seinem Tod ist Bobby Fischers Erbe noch nicht geregelt. Das oberste Gericht Islands hat unlängst zwecks Klärung einer Vaterschaft die Exhumierung von Fischers Leichnam angeordnet. Er liegt in Reykjavik begraben, wo er 1972 Weltmeister geworden war. Über das schachliche Erbe des wunderlichen US-Amerikaners bestanden hingegen niemals Zweifel. Nur manchmal lag Fischer falsch. Zum Beispiel behauptete er, die sogenannte Drachen-Variante tauge nichts, damit würden Großmeister sogar gegen schwache Spieler verlieren. Und das romantische Königsgambit (1.e4 e5 2.f4) hielt er für eine Eröffnung von gestern. „Königsgambit ist erledigt“, resümierte Fischer in einer Analyse aus dem Jahr 1961.
Ausgerechnet Magnus Carlsen, der heutige Weltranglistenerste, sieht dies offenbar anders. Bei seinem jüngsten Turniersieg in Mediasch/Rumänien spielte er sowohl die Drachenvariante als auch das Königsgambit! Letzteres gegen den Chinesen Wang Yue: Am Ende bahnte sich Carlsen mit Weiß einen schönen, klaren Gewinnweg. Wie?
Lösung: 1.g4! (Am klarsten: Ein Freibauer entsteht.) 1…hxg4 2.h5 Le4 (Oder 2…Lc6 3.Kg3 und gewinnt, z. B. 3…f5 4.h6 Kf6 5.Txf5+ Kg6 6.Txg5+ Kxh6 7.Kxg4, nebst Turm nach g1, König nach b6 und Txb7.) 3.Tc7 f5 4.h6 f4 5.h7 g3+ 6.Ke1 f3 7.h8D f2+ 8.Ke2 Ld3+ 9.Ke3 1:0 (wegen 9…f1D 10.De8+ Kf5 11.Tf7+).
Turniere schrumpfen
Schachspieler und -organisatoren bekommen die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise zu spüren. Selbst die Chess Classics in Mainz sind einstweilen geschrumpft. Das lange Zeit größte Schnellschachfestival der Welt wird diesmal nur an zwei statt an sieben Tagen im August ausgetragen. Langjährige Sponsoren hätten sich zurückgezogen, heißt es. Auch in Dortmund, wo in dieser Woche die 38. Auflage der Schachtage beginnt, wird gespart. Wie im Vorjahr hat das Geld bloß für sechs Großmeister gereicht. Neben den üblichen Wladimir Kramnik und Peter Leko spielen Schachrijar Mamedjarow sowie erstmals auch der frühere Fide-Weltmeister Ruslan Ponomarjow und Le Quang Liem aus Vietnam mit. Einziger Deutscher am Brett: Arkadij Naiditsch.
Erstaunlich, dass andere deutsche Großmeister derzeit kaum noch Chancen auf ein Rundenturnier erhalten. Da haben es die Schweden besser. Obwohl das Turnier in Malmö diesen Sommer ebenfalls auf sechs Spieler verkleinert wurde, waren vier Schweden darunter. Wie kombinierte Jonny Hector mit Weiß?
Lösung: 1.Sg4! (Demaskiert den Spieß in der e-Linie.) 1…Sxg4 (Ein letzter Trick. Die Dame konnte nicht gut wegziehen, z. B. 1…Dxf3 2.Sxf6+ gxf6 3.Txe8+ und 4.gxf3.) 2.Dxg4! (Viel genauer als 2.Txe4? Txe4, dann hätte Schwarz, Tiger Hillarp Persson, noch etwas kämpfen können, z. B. mit 3.h3 Td3!) 1:0.
„Im Zweifel immer Schloss“
Er sei es nicht gewohnt, „in Schach-Zusammenhängen zu denken“, hat der geniale Übersetzer Harry Rowohlt in seiner Zeit-Kolumne „Pooh’s Corner“ eingeräumt. Hintergrund war sein vom Satiremagazin Titanic entdeckter Fehler in Kurt Vonneguts Roman Mann ohne Land. Rowohlt hatte den Satz „My father said, ‚When in doubt, castle‘“ so übersetzt: „Mein Vater sagte, ‚Im Zweifel immer Schloss‘“. Weil es hier jedoch um Schach ging und das Wort „castle“ sowohl „Schloss“ als auch „Rochade“ bedeutet, hätte es besser „Im Zweifel immer Rochade“ geheißen. Als er dies bemerkte, sei er „kalkweiß vor Scham“ geworden, schreibt Rowohlt.
Heutige Meisterspieler, Menschen also, die den ganzen Tag in Schach-Zusammenhängen denken, nehmen die Rochade-Empfehlung manchmal lockerer. Im Bild oben wurde gar nicht rochiert! Und Richard Rapport, der erst 14-jährige Großmeister aus Ungarn, bestrafte solch mangelnde Königspflege, indem er mit Weiß beim Mitropa-Cup in Chur/Schweiz den Deutschen Meister Niclas Huschenbeth mattsetzte. Wie?
Lösung: 1.Dd5+! (Nach Zügen wie 1.Dg4?! Tc7 2.Se6+ Kc8 hätte Schwarz noch mitgemischt. Das wunderbare 1.Dd5+! führt hingegen in allen Varianten zum Matt, z. B. 1…cxd5 2.Se6; oder 1…Kc7 2.Lf4+ e5 3.Lxe5+ Kb6 4.Sd7+ Ka5 5.Dxc4 cxb5 6.Da2+; oder 1…Ke8 2.Dd7+ Kf7 3.Lxc4+ Kg7 4.De6, Idee: 5.Df7 matt.) 1:0.
Rybka rechnet tief
Eigentlich braucht kein Mensch jedes Jahr ein neues Schachprogramm. Durchschnittsdenker haben gegen Computer ohnehin kaum noch Chancen, und als Analysehilfe reichen die Vorgängerversionen aus. Heute gilt es schon als unwahrscheinlich, dass Topgroßmeister mal eine Partie gegen ein tief rechnendes Multiprozessor-Programm gewinnen. In einem längeren Wettkampf sähe es ganz düster aus. Klar, Partien von Schachgenies wie Vishy Anand und Magnus Carlsen sind meist ansehnlicher als die von Computern, weil es sich um Kontrahenten aus Fleisch und Blut handelt, mit Geist und Struktur. Bloß schleichen sich da eben manchmal auch Fehler ein.
Immer weniger Fehler begehen dagegen die neuen Programmversionen. Und das macht sie bei Profis begehrenswert. Wesselin Topalow soll sogar ein kleines Vermögen investiert haben, um vor der WM gegen Anand auf einem 112-Core-Superrechner exklusiv mit Rybka4 analysieren zu können. Erst nach der WM erschien die Version im Handel. Mit welchem Manöver bezwang Rybka4 als Weißer Stockfish 1.7.1.?
Lösung: 1.c6! (Den Sieg verspielt hätten 1.Txe6? Kf7 bzw. 1.Tb1? Kf7 2.Txb5 Td8. Es ging aber auch erst 1.Ta1!, dann 2.c6!) 1…bxc6 2.Ta1! (Schwarz ist hilflos gegen die Drohung 3.Ta7 nebst 4.b7.) 2… e5 (Oder 2…Kf7 3.Ta7 Ke7 3.b7 bzw. 2…b4 3.Ta7 Td8 4.b7 und 5.Ta8.) 3.Ta7 Td1+ 4.Kf2 h6 5.b7 Kh7 6.b8D 1:0.
Zu wenig Geld für Kopfarbeit?
Schade, dass der Deutsche Schachbund im September eine junge, vermutlich chancenlose B-Mannschaft zur Schacholympiade ins sibirische Chanty-Mansijsk schicken wird. Die vier besten deutschen Großmeister – Arkadij Naiditsch, Georg Meier, Daniel Fridman und Jan Gustafsson – bleiben lieber zu Hause, weil ihnen ein Honorar von je 2.500 Euro zu wenig erscheint für zwei Wochen Kopfarbeit in Sibirien. Als Profi könne man so nicht rechnen, zumal auch die Vorbereitungszeit bedacht werden müsse, sagt einer der vier Großmeister. Länder wie Spanien und Frankreich würden ihren Nationalspielern deutlich mehr zahlen. Vom Deutschen Schachbund sind zwar keine allzu großen Sprünge zu erwarten angesichts jährlicher Einnahmen und Ausgaben von jeweils ungefähr einer Million Euro. Dennoch müssen die Funktionäre nun wohl darüber nachdenken, künftig etwas leistungssportorientierter zu kalkulieren. Damit wieder die Besten an den Brettern sitzen.
Was sah Jan Gustafsson mit Schwarz (gegen Marko Tratar) beim Bosnien-Open in Sarajevo?
Lösung: 1…c3! (Dieser Bauer wird bärenstark, denn er darf nicht genommen werden: 2.bxc3? Dxe2 bzw.