Christine Nöstlinger

Pudding Pauli rührt um


Скачать книгу

Sie beendet den Unterricht beim ersten Pausenglockenton.

      Der Pauli wollte aufstehen, um die Fenster zu öffnen, doch die Rosi, sein Pult-Co, hielt ihn zurück und raunzte: „Pudding, jetzt lass die blöden Fenster, mein Magen knurrt wie ein Kampfhund!“

      Der Pauli seufzte, holte seinen Rucksack aus dem Pultfach und aus dem eine telefonbuchgroße Plastikdose, und aus der zwei adrette Leinensets, zwei Servietten und zwei Alufolien-Pakete.

      Die Rosi schälte eine Schnitte Bauernbrot, bestrichen mit Liptauer-Käse, verziert mit Paradeiserscheiben, Mini-Maiskolben und Gurkenfächern aus der Alufolie und betrachtete sie etwas enttäuscht.

      „Immer Wurst macht Gicht und Gicht ist eine schreckliche Geißel der Menschheit.“ Der Pauli schob der Rosi ein Leinenset und eine Serviette hin. „Über diesen Super-Spezial-Liptauer kannst echt nicht motzen, den habe ich heute in der Früh selber händisch gerührt, mit Butter und allem Drum und Dran und dazu noch ein winziges Häuchlein Tabasco!“

      Die Rosi biss von ihrem Liptauerbrot ab und murmelte lustlos kauend: „Macht sicher einen schönen Teint!“

      Der Pauli und die Rosi haben seit einem Jahr ein Abkommen: Der Pauli versorgt die Rosi von Montag bis Freitag mit Pausenbroten oder anderen Jausen-Schmankerln und mit einem warmen Mittagessen, dafür schreibt ihm die Rosi alle Mathe-Hausübungen. In perfekt nachgemachten Pauli-Ziffern und Pauli-Buchstaben. Ein Abkommen nach dem Motto: Jeder tut, was er am besten kann. Und an Rosis getürkten Hausübungen ist genauso wenig auszusetzen wie an Paulis Futter.

      Früher hat der Pauli nur hin und wieder gekocht, wenn es ihm Spaß gemacht hat, und meistens ist es Vanille-Pudding gewesen, den er sich – klumpenfrei! – gekocht hat. Darum hat er ja seinen Spitznamen weg. Aber zu seinem zehnten Geburtstag hat er einen einzigen Wunsch an seine Mutter gehabt, und zwar: Ich wünsche mir, so wie meine Freundin Rosi ein Schlüsselkind zu werden, ich bin alt genug dafür, ich kann sehr gut selber auf mich aufpassen, ich will nicht mehr in den Hort gehen!

      Paulis Mutter ist zuerst total dagegen gewesen. Sie würde im Büro keine ruhige Minute haben, hat sie gesagt, wenn ihr Pauli so ganz „unbetreut“ die Nachmittage zubringt. Dafür ist er zu jung! Erst wenn er vierzehn Jahre alt ist, wird sie das erlauben!

      Aber der Pauli hat sie erpresst. Also, nicht wirklich erpresst, weil er es ernst gemeint und den Hort echt gehasst hat.

      „Wenn du mir nicht erlaubst, nach der Schule heimzugehen“, hat er gesagt, „dann übersiedle ich zum Papa und seiner Neuen und besuche dich nur am Wochenende!“

      Da hat seine Mutter endlich nachgegeben. Damit ihr Pauli ein ordentliches Mittagessen bekommt, hat sie die Tiefkühltruhe mit Fertig-Menüs vollgepackt. Weil selber kochen ist ihre Sache nicht.

      Sie ist eine grausame Köchin, der alles schiefgeht, was sie rührt oder brät oder siedet. Darum versucht sie auch gar nicht mehr zu kochen. Sie ist ein Erfolgsmensch, sagt sie. Etwas zu machen, was ihr keine Lorbeeren einträgt, frustriert sie.

      Aber Paulis zartem Gaumen war das Gefrier-Zeug genauso zuwider wie der mittägliche Hort-Mampf, und so hat er beschlossen, selber zu kochen. Dass man ihn Hobby-Koch nennt, mag er aber wirklich nicht. Das ist kein Hobby, das ist reiner Selbsterhaltungstrieb, sagt er. „Und was gibt es heute zu Mittag?“ Die Rosi stopfte den letzten Bissen Liptauerbrot in den Mund und wischte sich die klebrigen Finger an der Serviette ab.

      „Wir könnten uns auf dem Heimweg Fisch und Salat besorgen. Magst?“, fragte der Pauli kauend.

      Bevor die Rosi dazu kam, ihr Einverständnis kundzutun, kreischte die Lea, die ihren Platz am Pult vor dem Pauli und der Rosi hat, urlaut: „Mein Herz ist weg! Mein Herz ist weg! Jemand hat mir mein goldenes Herz gestohlen.“

      Die Rosi verdrehte die Augen und murmelte: „Muss sie denn jeden Tag Theater machen?“

      Um die Lea herum versammelten sich ein paar Kinder. Die Lea zeigte mit zitternder Dickpfote auf ihr Pult und schluchzte: „Hier … hier ist es gerade noch gelegen … und jetzt ist es weg … einfach weg! So eine Gemeinheit! “

      „Da wird ja die Milch in der Kuh sauer“, murmelte der Pauli kopfschüttelnd. „Wovon kreischt denn die alte Nervensäge diesmal?“

      Er war erst beim Acht-Uhr-Läuten in die Klasse rein gesprintet und hatte nicht mitbekommen, dass die Lea stolz ein goldenes Herz herumgezeigt hatte. Ein daumennagelgroßes Herz, in das Lea graviert war. Eine Tante hatte es ihr zum elften Geburtstag geschenkt. Und die goldene Kette, von der das Herz baumeln kann, wird ihr ein Onkel zum Geburtstag schenken, hatte sie erzählt, aber der Onkel kommt erst am Wochenende zu Besuch.

      Die Rosi klärte den Pauli auf. Der Pauli legte die Leinensets in die Plastikdose, zerknüllte die Alufolienstücke und die Servietten zu Knödeln und sagte: „So eine hysterische Schnepfe, bei uns stiehlt doch keiner!“

image

      Die Rosi nickte zustimmend, und die Lea heulte weiter und schwor Stein und Bein, dass ihr schönes, goldenes, teures Herz noch vor einer Minute auf ihrem Pult, neben der Füllfeder gelegen ist. Und ihre Pultnachbarin, die Maria, sagte, ja, dafür ist sie Zeugin, das kann sie beschwören!

      Die Kinder, die sich um das Pult der Lea herum versammelt hatten, gaben gute Ratschläge. „Schau doch in der Schultasche nach!“ Und: „Vielleicht liegt es im Pultfach drin!“

      Ein paar hockten sich hin und suchten den Fußboden ab. Aber die Lea schüttelte stur den Kopf und schluchzte, dass sie ja nicht blöde ist und weder in der Schultasche noch im Pultfach nachschauen muss, weil sie doch genau weiß, dass das teure, schöne, goldene Herz mitten auf ihrem Pult neben der Füllfeder gelegen ist! Und dann ist sie – ganz kurz – zum Papierkorb gegangen und hat ihren roten Buntstift gespitzt, und dann ist sie – auch nur ganz kurz – zur Evi gegangen und hat der die zwei Euro zurück gegeben, die sie ihr schuldig gewesen ist, und wie sie zu ihrem Pult zurückgekommen ist, ist das Herz nicht mehr da gewesen!

      Der Pauli schoss die Alu- und die Serviettenknödel in Richtung Papierkorb. Die Aluknödel landeten im Papierkorb, die Serviettenknödel im Abseits. Zufrieden mit der Treffer-Rate lehnte er sich zurück, verschränkte die Arme über der Brust und betrachtete milde kopfschüttelnd die aufgeregte Kinderversammlung rund um das Pult der schluchzenden Lea.

      Als die Glocke die Zehn-Uhr-Pause ausgeläutet hatte und der Mag. Specht, wegen seiner farbenfreudigen Klamotten von der 2a „Buntspecht“ genannt, mit zwei großen, hölzernen Tafeldreiecken unter dem Arm in die Klasse kam, löste sich die Kinderversammlung langsam auf. Und die Lea holte tief Luft und schluchzte dem Buntspecht ihren Herz-Kummer samt allen Details vor.

      Zuerst einmal sagte der Buntspecht, dass man wertvollen Schmuck eben nicht in die Schule mitnehmen soll und dass man das den Schülern schon hundertmal gepredigt hat, und dann sagte er: „Und jetzt durchsuche deinen ganzen Kram in aller Ruhe genau! Man glaubt oft, etwas hundertprozentig zu wissen, und muss hinterher feststellen, dass man irrte!“

      Die Lea schüttelte stur den Kopf und wollte erklären, dass sie genau weiß, wo ihr Herz gewesen ist, aber der Buntspecht ließ sie nicht zu Wort kommen, sondern forderte barsch: „Nun mach schon!

      Wir wollen nicht die ganze Stunde verzetteln, wir wollen arbeiten! Nächsten Montag ist Schularbeit und die ist für einige von euch die letzte Chance, einer Nachprüfung zu entgehen!“

      Die Lea zog widerwillig ihre Schultasche aus dem Pultfach, hob sie hoch, kippte sie und beutelte sie über dem Pult aus. Bleistifte und Bücher fielen raus, Radiergummis und Lineale, Hefte und eine Geldbörse, ein kleiner Plüsch-Elefant und ein paar Cent-Münzen, ein Notizblock und eine vergammelte Semmelhälfte. Aber kein goldenes Herz!

      „Und jetzt sieh im Pultfach auch noch nach!“, verlangte der Buntspecht.

      Die Lea bückte sich, streckte die Arme ins Fach rein, tastete herum und schüttelte den Kopf.

      Der