Christine Nöstlinger

Pudding Pauli rührt um


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sich auf ihren Sessel und räumte ihren ganzen Kram in die Schultasche zurück. Auch die vergammelte Semmelhälfte. Dann schob sie die Schultasche ins Pultfach, schnäuzte sich allerhand Tränenrotz weg und ging schniefend, Taschentuch vor der rot geheulten Nase, aus der Klasse.

      „Führt sich auf, als ob gerade ihre gesamte Familie ermordet worden wäre“, ätzte die Rosi leise hinter ihr her. „War eh ein hässliches Herz.“ Der Pauli holte sein Geometrie-Heft aus dem Rucksack, schlug es auf und malte mit dem Kugelschreiber jede Menge Fragezeichen auf das Löschblatt. Kleine und große, magere und dickbäuchige. Und während der Buntspecht an der Tafel vorführte, wie man mit Hilfe zweier Dreiecke eine Linie parallel verschieben kann, grapschte sich die Rosi das Löschblatt vom Pauli und schrieb in Schönschrift unter die Fragezeichen: Pudding, jetzt zeig, was du kannst!

      Das ist nämlich so: Pauli Pistulkas Hobby sind ungelöste Kriminalfälle. Er hat daheim eine dicke Mappe mit Zeitungsartikeln drüber, die er immer wieder liest und hin und her überlegt, wer der Täter sein könnte. Und dass er später mal Kriminalkommissar werden wird, steht für ihn felsenfest.

      Der Pauli holte sich sein Löschblatt von der Rosi zurück und schrieb, weil er nicht gerade zu den besonders Vornehmen gehört, mit seiner krakeligen Handschrift über die Fragezeichen: Worauf du einen lassen kannst!

      Eine Viertelstunde konnte der Buntspecht der 2a mit nervtötend kreischender Kreide seine Parallel-Verschiebungen vorführen, dann kam die Lea in die Klasse zurück. Und hinter ihr das kleine Gemüse. Das kleine Gemüse heißt eigentlich Dr. Kohl und ist die Stellvertreterin der Frau Hofrat Meier, der Direktorin der Schule.

      Sie ist, samt Super-Plateausohlen und irre hochtoupiertem Haarschopf kein bisschen größer als die großen Kinder der 2a und sie ist ein äußerst gütiger Mensch.

      Die Lea ging auf ihren Platz. Sie schluchzte nicht mehr, aber getröstet wirkte sie nicht.

      Das kleine Gemüse nickte dem Kollegen Buntspecht zu, stöckelte hierauf vor der ersten Pultreihe auf und ab und hielt eine Ansprache. Dass es sehr, sehr unschön, wenn nicht gar gemein ist, eine Schulkameradin zu beklauen, sagte sie. Aber sicher tut dem Dieb oder der Diebin der Diebstahl jetzt schon leid, und es würde von großem Mut zeugen, wenn er oder sie dieses Schmuckstück jetzt der Lea zurückgeben würde. Niemand sollte sich dafür schämen, ein reuiger Sünder zu sein!

      Die butterweiche, einfühlsame Ansprache vom kleinen Gemüse hatte leider keinen Erfolg außer dem, dass sich der Nenad zu Wort meldete und dem kleinen Gemüse und dem Buntspecht „eine Schultaschen-Kontrolle und Leibesvisitation“ vorschlug und die meisten 2a-Kinder ganz begeistert „Genau, das machen wir!“ riefen. Doch das kleine Gemüse lehnte entschieden ab. Das, meinte sie, übersteigt die Kompetenzen von Lehrpersonen bei weitem, und zudem sind Gymnasiallehrer wahrlich keine Warenhaus-Detektive, und das ist gut so!

      Der Buntspecht gab ihr recht und dem hoffentlich reuigen, aber sichtlich mutlosen Dieb den guten Ratschlag, das Herz in ein Kuvert zu tun und per Post an die Schule oder an die Adresse der Lea zu schicken. Und er garantiere, dass das Kuvert nicht auf Fingerabdrücke untersucht werden wird!

      Und das kleine Gemüse fügte dran: „Wir wollen doch bis auf Weiteres an das Gute im Menschen glauben!“

      „Amen und Psalmenende“, murmelte der Pauli ins Ratschen der Schulglocke rein, die für heute das vorzeitige Ende des Unterrichts kundtat, weil die letzten zwei Schulstunden wegen Erkrankung der Zeichenlehrerin ausfielen.

      Das kleine Gemüse und der Buntspecht eilten aus der Klasse, und als sie zur Tür draußen waren, rief der Nenad: „Dann machen wir es eben in Eigenregie, dazu brauchen wir die Lehrer doch nicht!“

      Der Pauli verstaute sein Geo-Heft und sein Schreibzeug im Rucksack, stand auf und sagte zum Nenad: „Ohne mich, weil das eine Schnapsidee ist.“

      „Wieso ist das eine Schnapsidee?“ Der Nenad, fast einen Kopf größer als der Pauli und doppelt so breit, baute sich vor dem Pauli auf. Und schaute ihn argwöhnisch an. Ganz so, als habe er gerade den Herz-Dieb gefasst.

      „Taschenkontrolle wäre ja noch hinzukriegen“, erklärte ihm der Pauli, „aber die Leibesvisitation kannst nie im Leben hinkriegen. Sollen wir uns alle vielleicht splitternackt ausziehen? Weil so ein kleines Herz passt nämlich in die kleinste Unterhose!“

      In der 2a hob heftiges Diskutieren an. Die einen waren gegen das Ablegen aller Klamotten, die anderen fanden nichts dabei, sich komplett auszuziehen.

      „Mädchen untereinander, Buben untereinander, klarerweise getrennt“, schlug die Evi vor. „Das können wir in der Turnsaal-Garderobe machen.“

      „Bringt aber auch nichts!“, sagte der Pauli. „Denn sogar ein komplett Nackerter kann so ein kleines Ding mühelos verstecken. Oder habt ihr noch nie gelesen, dass Drogendealer jede Menge Rauschgift in ihrem Körper verstecken? Viel, viel größere Mengen als so ein kleines Herz!“

      „Du meinst, der Dieb könnte der Lea ihr goldenes Herz runtergeschluckt haben?“, fragte die Verena. „Damit man es bei der Leibesvisitation bei ihm nicht findet? Und dann … dann … dann … dann …“

      Die Verena verstummte. Wie der Dieb dann das gestohlene Herz wieder zurückerhalten würde, wollte ihr einfach nicht über die vornehmen Lippen kommen.

      „Genau!“, rief der Moritz. „Der Hund von meiner Großmutter hat einmal eine halbe Perlenkette aufgefressen, weil er zu blöd ist, um zu kapieren, was man fressen kann und was nicht, und dann hat meine Großmutter mit einem Steckerl eine Woche lang seine Haufen durchsuchen müssen. Und bis auf zwei Perlen alle völlig unbeschädigt wieder gefunden!“

      „Oder man nimmt gleich den Ausgang als Depot!“, sagte der Pauli.

      „Das ist einfacher. Darum haben die Polizisten bei Leibesvisitationen ja immer Gummihandschuhe an!“

      „Jetzt versteh ich aber echt nur mehr Bahnhof“, raunzte die Maria, die im Überzuckern wahrlich kein großes Licht ist. „Von welchem Depot redest du denn?“

      „Hast du denn noch nie ein Fieber-Zapferl bekommen?“, fragte der Sepp grinsend.

      Da kapierte die Maria endlich, wovon die Rede war, wurde knallrot im Gesicht und rief: „Ihr seid vielleicht ungustige Schweindln! Schämt euch!“

      „Man ist kein Schweindl und muss sich auch nicht schämen, wenn man weiß, wie es im Leben zugeht“, sagte der Pauli zur Maria, schnappte sich seinen Rucksack, schulterte ihn, nickte dem Nenad und den anderen zu und marschierte zur Klassentür raus. Die Rosi jappelte hinter ihm her.

      2. Kapitel,

      in welchem sich ein Verdacht breitmacht und Pizza-Schnecken gebacken werden.

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      Auf dem Heimweg von der Schule hätten sich der Pauli und die Rosi beinahe zerstritten. Weil die Rosi die Idee, dass jemand das Herz verschluckt haben könnte, für ziemlich bekloppt hielt und die zweite Versteck-Idee für noch bekloppter.

      „Das kannst du doch echt nicht glauben!“, hielt sie dem Pauli vor. Aber der Pauli beharrte drauf, dass es sehr wohl möglich sein könnte, und nur darauf kommt es an! Was einer glaubt oder nicht glaubt, ist unwichtig. „Wir haben ja auch geglaubt, dass in unserer Klasse keiner stiehlt“, sagte er, „und jetzt müssen wir einsehen, dass das ein Irrtum gewesen ist!“

      „Und wie willst du den Dieb finden, du ewiger Besserwisser?“, fragte die Rosi.

      „Zuerst stellt sich immer die Frage nach dem Motiv!“, antwortete der Pauli. „Also warum der Dieb gestohlen hat!“

      Die Rosi tippte sich an die Stirn. „Warum stiehlt man denn? Um etwas zu bekommen, was einem anderen gehört! Das ist doch von vornherein klar.“

      „Das brauchst mir nicht erklären!“, rief der Pauli. „Aber streng mal dein kleines Hirn ein bisschen an! Wer könnte das blöde Herz denn überhaupt