Robert Mccammon

MATTHEW CORBETT in den Fängen des Kraken


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Leichenbeschauer der Stadt Ashton McCaggers hatte Berry ihre Auswahl an glühenden Verehrern.

      »Tja …« Berrys Tonfall nach handelte es sich nicht nur um ein tiefsinniges Thema, sondern auch eins, das sie stark verwirrte. »Matthew, ich dachte …«

      »Geh nur«, sagte Matthew zu ihr, wenn auch nur, weil er befürchtete, dass Effrem ihm auf den Ärmel sabbern würde. »Ich komme gleich nach.«

      »Famos!«, sagte Effrem, der sich für den Marsch in den anderen Raum an Berrys Seite schob. Sie ging mit ihm, weil sie Effrem mochte. Nicht auf die Weise, auf die er gemocht werden wollte, sondern weil Matthew ihn zu seinen guten Freunden zählte und sie in Effrem die Treu von Freundschaft sah, die Berry zu den höchsten Gütern dieser Welt rechnete. Als Berry und Effrem gingen, lehnte Hudson Greathouse sich leicht auf seinen Stock, legte den Kopf schief und bedachte Matthew mit einem Grinsen, das genauso schief war. »Verzieh mal den Mund«, riet er ihm. »Was ist denn los mit dir?«

      Matthew zuckte die Schultern. »Ich bin wohl nicht zum Feiern aufgelegt.«

      »Dann bemühe dich drum. Mein Gott, Junge! Ich bin derjenige, der nicht mehr tanzen kann! Und ich kann dir sagen, dass ich in jüngeren Jahren ordentlich das Tanzbein geschwungen habe. Also rühre dich, solange du noch kannst!«

      Matthew starrte auf das Stück Fußboden zwischen ihnen. Manchmal fiel es ihm schwer, Hudson ins Gesicht zu sehen. Durch seine Geldgier und aus einer schlechten Entscheidung heraus hatte Matthew Greathouse und sich selbst Slaughter ausgeliefert. Sicher, Greathouse konnte sich mithilfe seines Gehstocks gut bewegen, und an Tagen, an denen er sich wie ein Hengst und nicht ein Wallach fühlte, auch ganz ohne Stock gehen. Aber viermal in den Rücken gestochen zu werden und dann fast zu ertrinken, ließ einen Mann altern, machte ihn langsamer, hielt ihm die bittere Wahrheit seiner eigenen Sterblichkeit vor Augen. Natürlich war Greathouse stets ein Mann des Zupackens gewesen und kannte daher das Risiko, sich Gefahren in den Weg zu stellen. Aber Matthew gab seiner eigenen Verlogenheit immer noch die Schuld für die Dunkelheit, die sich manchmal wie ein Schatten über Greathouses Gesicht legte und die schwarzen, tiefliegenden Augen des Mannes noch dunkler machte und die Fältchen um sie herum zahlreicher. Allerdings war selbst ein zusammengestutzter Hudson Greathouse noch eine Kraft, mit der man rechnen musste – sollte es jemand wagen, ihn auf die Probe zu stellen. Nicht viele würden dies tun. Er hatte ein auf raue Art gutaussehendes, markantes Gesicht und trug seine dichten eisengrauen Haare zu einem mit schwarzem Band zusammengebundenen Zopf. Er war fast zwei Meter groß, hatte breite Schultern und einen ausladenden Brustkorb und eine ebenso ausladende Gestik; er wusste, wie man ein Zimmer eroberte, und mit seinen achtundvierzig Jahren – am achten Januar war sein Geburtstag gewesen – besaß er die ausgefuchste Lebenserfahrung eines Menschen, der sich nicht unterkriegen lässt. Und das war gut so, denn die Wunden und der Gehstock hatten ihn weder seine Arbeit für die Herrald-Vermittlung niederlegen lassen, noch seine Anziehungskraft auf diverse New Yorker Frauen geschmälert. Sein Modegeschmack war einfach, wie sein grauer Anzug, das weiße Hemd und die weißen Strümpfe über den ungeputzten schwarzen Stiefeln attestierten, die wussten, wie man Tritte verteilte, wenn es darauf ankam. Matthew fand, dass Mr. Vincent sich glücklich schätzen konnte, lediglich mit einer Beleidigung aus dem Raum entkommen zu sein. Denn seit Matthew Greathouse das Leben gerettet hatte, war dieser sein bester Freund und heftigster Beschützer. Einen Streitpunkt gab es trotzdem.

      »Bist du tatsächlich ein so großer Idiot?«, fragte Greathouse.

      »Wie bitte?«

      »Stell dich nicht dumm. Ich rede von dem Mädchen.«

      »Dem Mädchen«, wiederholte Matthew betäubt. Er sah zur Seite, um zu prüfen, ob Doctor Jason und die schöne Rebecca immer noch ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihn konzentrierten, aber die Mallorys waren ein paar Schritte weitergegangen und unterhielten sich mit dem rotgesichtigen Zuckerhändler Solomon Tully, dem mit den dritten Zähnen samt Zahnrädern aus der Schweiz.

      »Dem Mädchen«, betonte Greathouse. »Merkst du nicht, dass sie auf dich aus ist?«

      »Wieso aus?«

      »Na, aus!« Greathouses zusammengezogene Augenbrauen waren ein beunruhigender Anblick. »Jetzt weiß ich, dass du zu viel arbeitest! Ich hab’s dir ja gesagt, oder nicht? Nimm dir Zeit zu leben

      »Meine Arbeit ist mein Leben.«

      »Hm«, machte Hudson. »Das kann ich mir gut als Inschrift für deinen Grabstein vorstellen. Also, ehrlich, Matthew! Du bist jung! Weißt du nicht, wie jung du bist?«

      »Darüber hab ich mir noch keine Gedanken gemacht.« Ah, ja! Jetzt kam wieder ein schneller Blick von Rebecca Mallory. Was ihr auch durch den Kopf gehen mochte, Matthew wusste, dass sie ihn nie weit aus ihren Gedanken ließ. Natürlich war Matthew nach den Geschehnissen, die auf die Tode von Slaughter und Leka folgten, klargeworden, dass die Mallorys irgendetwas mit der Person zu tun hatten, die zu einem finsteren Stern am Horizont von Matthews Welt geworden war: Professor Fell, Kaiser des Verbrecherreichs von Europa und England. Und jetzt von dem Wunsch besessen, die Neue Welt zu kontrollieren, indem er sie in seinen Würgegriff schloss wie die Arme des Kraken, der sein Symbol war.

      Wir haben einen gemeinsamen Bekannten, hatte Rebecca Mallory gesagt.

      Matthew hegte keinerlei Zweifel daran, dass die Mallorys Professor Fell näher kannten als er. Alles, was er über den Mann wusste, war, dass er eine Unmenge ruchloser Pläne verfolgte – von denen Matthew bereits ein paar ins Wanken gebracht hatte –, und dass Professor Fell vor einiger Zeit das Leben des jungen Problemlösers mit einer Blutkarte abgestempelt hatte, einem blutigen Fingerabdruck, der bedeutete, dass Matthew für einen bestimmten Tod auserkoren war. Ob diese Bedrohung noch bestand oder nicht, wusste er nicht. Vielleicht sollte er einfach den Raum durchqueren und die Mallorys fragen?

      »Du lenkst ab von dem, was ich gesagt habe.« Greathouse bewegte sich und stand nun zwischen Matthew und dem gutaussehenden Pärchen, das Geheimnisse hütete. Matthew hatte seinem Freund gegenüber nichts davon erwähnt; bisher gab es keinerlei Grund, ihn in diese Intrigen hineinzuziehen. Besonders, da der große Mann jetzt nicht mehr seine volle Größe besaß und in seiner verletzbaren Haut menschlicher geworden war. »Und falls du denkst, was ich denke, dass du denkst, hör auf, das zu denken.«

      Matthew sah Greathouse in die Augen. »Und was soll das sein?«

      »Du weißt schon. Dass du immer noch bedrückt bist und dir die Schuld gibst und all das. Es ist passiert, es ist vorbei und fertig. Ich an deiner Stelle hätte vielleicht das Gleiche getan. Zur Hölle auch«, knurrte er, »ich bin mir sicher, ich hätte das Gleiche getan. Mir geht’s gut, das kannst du mir glauben. Lass das endlich los und kehre ins Leben zurück. Und ich meine nicht nur lauwarm, sondern ganz und gar. Hörst du?«

      Matthew hörte. Greathouse hatte recht; es war an der Zeit, diese Dinge der Vergangenheit loszulassen, denn sie verdarben sowohl seine Gegenwart als auch seine Zukunft. Vielleicht würde es noch eine Weile dauern, bis er wieder ganz da war, aber er zwang sich zu antworten. »Ja.«

      »Braver Junge. Braver Mann, meine ich.« Greathouse lehnte sich näher an ihn heran. Seine Augen fingen das Kerzenlicht ein und glitzerten mit teuflischem Humor. »Hör mal«, sagte er leise. »Das Mädchen mag dich. Das weißt du. Sie ist eine ansehnliche Jungfer, sehr ansehnlich sogar, und sie könnte einen Mann in Wallung bringen, wenn du verstehst, was ich meine. Und ich sag dir, in dem Bereich versteckt sie mehr, als sie preisgibt.«

      »In welchem Bereich?« Fast gegen seinen Willen spürte Matthew ein Lächeln an seinen Mundwinkeln ziehen.

      »Im Liebesbereich.« Es kam wie ein Flüstern heraus. »Du weißt doch, was man sagt: Ein Spalt in den Zähnen, und im Bett gibt’s nichts zu gähnen.«

      »Ach, sagt man das?«

      »Ja. Definitiv

      »Hudson? Hier seid Ihr!« Diese Worte kamen von einer Frau, die mit raschelnden zitronengelben Röcken und amüsierter Miene auf sie zuging. Sie war groß und schlank mit einem vollen Schopf blonder Haare, der entgegen der respektablen Damenmode frei auf ihre bloßen