Robert Mccammon

MATTHEW CORBETT in den Fängen des Kraken


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macht nichts! Wir richten es wieder!«, sagte Sally Almond, die bereits eine Magd anwies, ein Wischtuch zu bringen.

      Aber Matthew sah, wie Effrem hinter seinen Brillengläsern vor Scham die Tränen in die Augen stiegen. Er wollte einen Schritt auf seinen Freund zugehen und ihm eine tröstende Hand auf die Schulter legen, wurde aber fast von Opal Delilah Blackerby beiseite gestoßen, die in die Apfelmostströme trat, sich auf den Boden kniete und die zerbrochenen Glasstücke in ihre Schürze zu sammeln begann.

      »Opal!«, sagte Matthew und stieß sich zu ihr durch. »Was machst du da?«

      Sie sah zu ihm auf und dann zu Sally Almond, die sie ebenso erstaunt anstarrte. Opal stand auf, die Glasscherben auf ihrem Rock umklammernd. Ihre Augen hatten einen benommenen Ausdruck, als hätte sie einen Moment lang vergessen, wo sie war. »Oh!«, sagte sie zu Matthew. »Verzeiht! Ich wollte nur … ich meine … ich bin es so gewohnt, sauberzumachen … ich wollte nur … das ist halt, was ich tue, versteht Ihr

      »Ihr seid ein Gast hier«, sagte Sally. »Und keine Magd.«

      »Jawohl, Ma’am.« Opal runzelte verwirrt die Stirn. »Entschuldigt, aber … ich glaube, ich weiß nicht, wie man ein Gast ist.« Sie hielt immer noch die Vorderseite ihres Kleides mit den Glasstücken hoch, und als die Scheuermagd kam, um den verschütteten Most mit einem Stapel Tücher aufzuwischen, streckte Opal die Hand aus, um eins davon zu nehmen. Überrascht wich das Mädchen ihr aus.

      »Opal!«, sagte Matthew und packte sie am Ellbogen. »Niemand erwartet von dir, dass du für jemand anderes saubermachst. Komm, wir stehen im Weg.«

      »Aber … Matthew«, sagte sie. »Das ist, was ich arbeite. Auch grad erst gestern, in ‘ner Schänke an der Poststraße. Ich meine … was anderes hab ich noch nie gearbeitet. Oh«, machte sie und blickte auf die Finger ihrer rechten Hand. Sie bluteten. »Ich muss mich wohl ’n bisschen geschnitten haben.«

      Matthew zog sofort sein Taschentuch heraus. Aber er war nicht schnell genug.

      »Hier, Miss! Lasst mich mal sehen!«

      Und Matthew wurde Zeuge eines ganz und gar unerwarteten Ereignisses. Als Opal Delilah Blackerbys blaue Augen in die braunen Augen von Effrem Owles schauten, konnte man fast ein deutliches Plopp hören wie das eines Kiefernzapfens, der im heißen Kaminfeuer aufplatzt. Matthew war überzeugt davon, dass Effrem nur als ein Gentleman wie üblich handelte und sich vielleicht auch die Schuld dafür gab, dass dieses Mädchen sich geschnitten hatte – aber in diesem Sekundenbruchteil geschah noch etwas anderes. In diesem Sekundenbruchteil fand ein Austausch statt, vielleicht ein gegenseitiges Erkennen, irgendetwas … Es war ein durchschlagender, mächtiger Sekundenbruchteil, und Matthew sah, wie das Mädchen, das nichts anderes kannte, als sauberzumachen, und das schon so lange nach ein bisschen Wärme suchte, mit den Wimpern klimperte. Und der schüchterne Sohn des Schneiders, der gern Schach spielte und einem anderen Herzen so verzweifelt gern etwas bedeuten wollte, bekam leicht rote Wangen und musste von ihr wegschauen. Aber sie reichte ihm ihre Hand. Er nahm sie, und als er sein Taschentuch auf die Verletzung presste, lenkte er seinen Blick wieder auf ihren und Matthew sah ihn lächeln – nur ein kleines, schüchternes Lächeln. »Das wird schon wieder«, sagte Effrem.

      »Ist nichts weiter«, antwortete Opal, aber sie entzog ihm ihre Hand nicht. Matthew sah zu Berry hinüber, die diesen kleinen Austausch auch bemerkt hatte. Sie nickte fast unmerklich, als wollte sie sagen: Ja, aber vielleicht ist es doch etwas.

      Und in diesem Moment spürte Matthew die Welt erzittern.

      Oder, um genauer zu sein, den Fußboden. Matthew war nicht der Einzige, der es merkte, denn Gespräche stockten und Berry blinzelte überrascht, weil sie es ebenso gespürt hatte. Nach dem Beben knurrten die Planken wie alte braune Löwen, die aus dem Schlaf geschreckt worden waren. Dann flog die Tür der Schänke auf und das weiße Gesicht von Gilliam Vincent schrie unter der schiefen gelben Perücke und aus seinem schwarzen Mantel schmerzerfüllt: »Das Dock House Inn ist in die Luft gegangen!«

      Im großen Gedränge, auf die Nassau Street hinauszugelangen, wurde die Etikette vernachlässigt und das Tanzen war vergessen. Matthew lief inmitten der Menschenmenge zur Tür hinaus und fand sich neben John Five und dessen Braut Constance wieder. Berry wurde gegen Matthews Seite geschubst, als sie alle in Richtung Hafen auf die Rauchwolken und Flammenexplosionen starrten, die hoch in die Nacht schlugen.

      »Oh, Jesus!«, schrie Gilliam Vincent. Er begann die Nassau Street in Richtung Süden hinunter auf den Brand zuzulaufen, der vielleicht neun Querstraßen weit entfernt war. Matthew sah Vincents Perücke zu Boden fallen und eine bleiche Glatze entblößen, auf der ein paar vereinzelte graue Haarsträußchen kerzengerade wie ins Mark erschütterte Soldaten auf einem leeren Schlachtfeld standen. Trotz seiner Eitelkeit war Vincent seine Perücke nicht so wichtig wie das Schicksal seines geliebten Dock House Inn, wo er mit schmalen Augen und voller Arroganz sein Königreich regierte. Und so wuchsen seinen Füßen förmlich Flügel, als er schreiend losrannte: »Feuer! Feuer! Feuer!«

      Im Nu hallten Warnschreie durch die gesamte Stadt. In Manhattan hatte man bereits die Erfahrung gemacht, dass Flammen vernichtende Feinde waren. Matthew nahm an, dass von den dort schlafenden Gästen nicht mehr viel übrig sein konnte, wenn es tatsächlich das Dock House Inn war, das irgendwie in die Luft gegangen war, wie Vincent es ausgedrückt hatte. Gelbe und orangefarbene Flammen züngelten fünfunddreißig Meter hoch in die Luft. Hätten sich nicht bereits Wolken vor den Mond geschoben, wäre die bleiche Scheibe von den aus New York aufsteigenden dunklen Rauchfahnen schwarz gefärbt worden. »Männer, hierher!«, brüllte jemand – ein Aufruf, Eimer zu holen und an die Brunnen zu laufen, die hier und dort in den gepflasterten Straßen zu finden waren. Manche rannten zurück in Sally Almonds Schänke, um erst ihre Mäntel, Schals, Handschuhe, Mützen und Dreispitze zu holen. Matthew nahm seinen schwarzen Mantel von einem Wandhaken und zog sich seine grauen Handschuhe und die Wollmütze über. Mit einem schnellen Blick auf Berry, der sagte: Das Tanzen muss warten, glaube ich, lief er mit den anderen Männern auf den Ort der feurigen Zerstörung zu.

      Die Häuser spien ihre Menschen auf die Straßen. Viele hatten ihre Morgenmäntel an, aus denen in der Kälte die nackten Beine herauslugten. Laternen schwangen vor und zurück wie auf einer Mittwinterversammlung von Glühwürmchen. Nachtwachtmeister eilten recht hilflos umher und hielten ihre grünen Lampen als Zeichen der Autorität hoch, so fragwürdig diese auch sein mochte. An der Ecke der Broad und Princes Street prallte Matthew fast mit dem alten Benedict Hamrick zusammen, der sich für einen ehemaligen Soldaten hielt und dessen weißer Vollbart ihm bis an seine mit Spucke polierte Gürtelschnalle hinunterhing. Hamrick marschierte eine ohrenbetäubende Blechtrillerpfeife blasend umher und schrie jedem, der ihm Gehör schenkte, unverständliche Befehle zu – was bedeutete, dass er in seinem Fantasiereich der Coldstream Guards keinen einzigen Soldaten mehr hatte.

      Trotz des alltäglichen Chaos, der schnatternden Händler und dem Pferdemist in den Straßen und Sklaven in den Dachstuben wurde New York in Krisenmomenten zu einem zielstrebigen Moloch. Die Einwohner von Manhattan waren wie Ameisen, die aus einem getretenen Nest herausschwärmten und sich fieberhaft verteidigten. Aus Häusern und Scheunen wurden Eimer zutage gefördert. Ein mit Eimern beladener Pferdewagen kam die Broad Street heruntergeklappert. Gruppen von Männern fanden sich zusammen, schnappten sich die Eimer und rannten los, um an den Brunnen Position zu beziehen. Irgendwie nahmen die Löschketten innerhalb von Minuten nach Gilliam Vincents erstem Schrei Form an. Wasser kam in Bewegung, wurde schneller und schneller die Schlange entlanggereicht. Dann gabelte sich die Löschkette in zwei oder drei Schlangen, sodass von mehreren Punkten aus Wasser aufs Feuer geworfen werden konnte – das nicht das Dock House Inn verzehrte, wie sich herausstellte, sondern eine Lagerhalle in der Dock Street verschlang, in der Schiffstaue hergestellt und gelagert wurden.

      Es war ein heißer Brand. Ein Brand, dessen Zentrum weiß glühte, und Augenbrauen versengen und die Gesichter der Nächststehenden anschwellen lassen konnte. Selbst Matthew, der mit den anderen fieberhaften Ameisen einen Straßenblock weiter nördlich arbeitete, konnte Hitzewellen in staubigen Wogen an sich vorbeirollen fühlen. Die Arbeit ging weiter. Die Eimer bewegten sich so schnell, wie die Muskeln es zuließen, aber schon sehr bald wurde offensichtlich,