Hannes Lindemann

Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln


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die heutige Hauptstadt von Portugiesisch-Guinea, Bissau. Es schien, als hätte ich die Gewohnheit angenommen, immer nachts irgendwo vor Anker zu gehen. Der Ankergrund von Bissau ist ganz abscheulich: Tidenströmungen von drei bis sechs Knoten4, lehmiger Grund und unbeleuchtete Boote überall.

      Als ich an Land ging, erfuhr ich, daß das Flugzeug mich tatsächlich gesucht hatte; man wollte nicht glauben, daß die LIBERIA diesen tobsüchtigen Tornado, den schlimmsten, den man seit Jahren erlebt hatte, heil überstand. Der Hafenkommandant gratulierte mir, der Rundfunk schleppte den verschollen Geglaubten vors Mikrophon.

      Portugal hat für Afrika, insbesondere Westafrika, viel getan. Zahlreiche Namen, Forts und Städtegründungen sind ein bleibender Beweis dafür. Portugal hat überdies, nach dem Grundsatz Heinrich des Seefahrers, zu kolonisieren versucht, indem es Pflanzen in Afrika einführte oder auch systematisch weiter verbreitete: Bananen, Zitrusfrüchte, Mango, Mais, Maniok, Tabak. Auch Haustiere brachte es ins Land.

      Als die ersten Syrer und Libanesen nach Liberia kamen, wurden sie ihres Aussehens wegen von den Eingeborenen „Portugiesen“ genannt. Wie tief muß sich selbst dort die Erinnerung an die Portugiesen eingegraben haben!

      Die portugiesischen Gebiete Afrikas sind seit etwa zehn Jahren Portugal angegliedert und werden vom Ministério do Ultramar in Lissabon verwaltet. Zivilisierte Afrikaner, assimilados, haben die gleichen Rechte wie die Portugiesen, aber auch die gleichen Pflichten, zum Beispiel müssen sie Wehrdienst leisten und Steuern zahlen. Rassen- oder Farbschranken gibt es nicht. Die vielen Mulatten – ein portugiesisches Wort sagt: Gott schuf die Portugiesen, jedoch die Portugiesen die Mulatten – gelten als „Weiße“. Ob Portugal auf Grund dieser Einstellung seine afrikanischen Gebiete für sich wird retten können, ist nach den Aufständen in Angola dennoch unwahrscheinlich.

      Bissau ist ein kleines, großzügig angelegtes Städtchen, dessen europäisches Viertel ebenso gut in Portugal stehen könnte. Die Privathäuser sehen einfach aus, alle Regierungsgebäude dagegen zeigen etwas von „diktatorischer Größe“: nichts für den Einzelnen, alles für den Staat.

      Den Gouverneur traf ich verschiedene Male. Im Gegensatz zu seinem spanischen Kollegen in Rio de Oro beantwortete er offen alle Fragen, die ein Besucher an ihn richten konnte. Unruhen hätte es bisher noch nicht gegeben, nationalistische Ausbrüche irgendwelcher Art wären unbekannt; er glaubte daran, daß Portugal dieses Gebiet für immer halten könne.

      Ein deutscher Ingenieur, den ich traf, nahm mich zu einer Exkursion ins Innere des Landes mit, wo wir noch unerwartet auf Eingeborene vom Balante-Stamm stießen, die einen Kriegstanz vorführten, wie ihn ihre Vorfahren vor tausend Jahren bestimmt nicht besser gekonnt hätten. Mein Landsmann erklärte mir auch, daß bei diesem Stamm eine seltsame Sitte herrsche: wenn die Jungen beschnitten werden, müßten sie als Zeichen ihrer Mannbarkeit eine außergewöhnliche Tat vollbringen – und das sei meist ein Diebstahl!

      Vor uns dampfte der Regenwald, der echte Urwald. Er wächst in Westafrika dort, wo es keine langen Trockenzeiten gibt; er ist fast immer Laubwald. Da er keinem ausgesprochenen Wechsel der Jahreszeiten unterliegt, blüht, wächst und gedeiht er ohne Unterlaß. Jeder Baum hat seinen eigenen Rhythmus; Laubwechsel findet innerhalb weniger Tage statt, man bemerkt ihn gar nicht, da er sich von Ast zu Ast vollziehen kann.

      Betritt man zum ersten Male den immergrünen Wald, so ist man überrascht, wie wenig Unterholz es dort gibt, wie wenig Gestrüpp und Gesträuch. Der Waldboden ist kahler als in unseren Laubwäldern; Ameisen, Termiten, Bakterien, Pilze und Insekten arbeiten in Windeseile welke Blätter, Samenkörner, morsche Äste und ganze Urwaldriesen zu Humus um. Im Treibhausklima und im Treibhaustempo!

      Läßt man den Blick die astlosen Bäume hinaufgleiten, bis zu den Kronen empor, so erkennt man den Stockwerkwuchs des Urwaldes und entdeckt zahllose Schlinggewächse, Kletter- und Luftpflanzen, die dem Boden die letzten Sonnenstrahlen wegnehmen. Lianen umschlingen die Bäume mit festem Griff. Sie gleichen Schiffskabeln – doch besseren und stärkeren als den von Menschenhand geschaffenen. Die Fischer verwenden in Westafrika statt Tauen wurmdicke Lianen, die sich nicht strecken und auch nicht zusammenziehen oder gar im Wasser faulen.

      Im untersten Stockwerk des Urwaldgebäudes herrscht eine Luftfeuchtigkeit von nahezu 100 Prozent. Die wenigen Eingeborenen, die unter dem grünen Baldachin hausen, können unbekümmert ihr Feuer anzünden: hier droht nicht die Gefahr eines Waldbrandes.

      Im Regenwald halten sich nur wenige Großtiere auf. Ich bin früher im liberianischen Urwald oft auf Jagd gegangen, ohne jemals ein Tier vor die Flinte bekommen zu haben. Nur Affengeschrei erklang aus den Wipfeln – spöttisch, als wollten die Biester mich auslachen. Um am Abend solcher Buschtrips doch noch Fleisch in die Pfanne zu bekommen, beschloß ich meine Jagdausflüge in den Urwald meist mit einem Besuch der Faktorei, um eine Ente zu kaufen. Am Randes des Urwaldes, in den Savannen und an Gewässern, war die Jagd entschieden leichter.

      Dennoch ist die Lebensgemeinschaft von Flora und Fauna im Urwald ungewöhnlich vielgestaltig; sie wird an Artenreichtum lediglich von der des Meeres übertroffen. Während in unseren Wäldern nur ein Dutzend verschiedener Bäume stehen, birst der Urwald von Hunderten von verschiedenen Baumarten. Und alle diese Pflanzen wachsen so schnell, daß ein Hektar Urwald eine Holzmenge liefert, die zu produzieren ein Hektar Wald in unseren Breiten sechsmal so lange braucht. Hin und wieder entdeckt man im Urwaldgebiet kleine Eingeborenen-Siedlungen, die von armseligen, mühsam angelegten Pflanzungen umgeben sind. Nach drei bis fünf Jahren Ernte roden die Eingeborenen einen anderen Abschnitt und lassen auf dem zurückgebliebenen, ausgelaugten Land Sekundärwald aufschießen.

      Auch bei der Abfahrt von Bissau mußte ich wieder auf Stauwasser warten, ehe ich bei der starken Strömung und der stattlichen Zahl von Nachbarbooten den Anker aus dem Morast hieven konnte. Ich hatte mir vorgenommen, durch die vielen Inseln und Sandbänke nach Süden zu gelangen; bei der starken Strömung und der Ungenauigkeit der Seekarten mußte ich mich darauf beschränken, nur am Tage zu segeln. Hier war zentimetergenaues Navigieren nötig, wenn die LIBERIA nicht plötzlich wie ein gestrandeter Wal auf einer Sandbank sitzen sollte.

      Im Bissagosarchipel ankerte ich abends in der Nähe der Insel Bubaque, auf der die deutsche Kamerun-Eisenbahngesellschaft früher einige Tausend Hektar Palmölwälder besessen hatte, die nach dem Kriege dem portugiesischen Staat übergeben werden mußten. Die Eingeborenen dieser Inselwelt haben sich lange gegen die portugiesische Oberherrschaft gewehrt; man erzählte sich von einer Königin, deren Untertanen sich bis in die jüngste Zeit weigerten, an die Portugiesen eine Hüttensteuer zu zahlen.

      Geburtswehen in Conakry

      Ohne böse Überraschungen gelangte ich nach einer 260 Seemeilen langen Fahrt an einem Sonntagabend nach Conakry, der Hauptstadt des früheren Französisch-Guinea, das sich, als ich dort ankam, gerade von Frankreich losgesagt hatte und zur jungen Republik Guinea geworden war.

      Am Hafen setzte eine üble Strömung vorbei, die in der Dunkelheit den Landfall unnütz dramatisierte. Schließlich legte ich an einem Bauxitschiff an. Kaum hatte ich festgemacht, als ein afrikanischer Polizist erschien und die Personalien aufnahm. Ein anderer Polizist lud mich zum Duschen ein, und als ich davon zurückkam, stieß ich auf eine dritte Amtsperson, den frisch gebackenen Hafenkommandanten, einen Mulatten, der sehr verärgert war, weil er die Gelegenheit verpaßt hatte, als erster seines neu erworbenen Amtes zu walten. Später freundeten wir uns an, und er fuhr mich auch zum Präsidenten Sekou Touré.

      Conakry war ein Hexenkessel, voller Aufruhr und Empörung; Gerüchte und Klatsch hielten die Stadt in Atem, und über Menschen und Dingen lag eine Spannung, die sich jeden Augenblick zu entladen drohte. Die Franzosen waren ehrlich empört, daß Guinea sich von ihnen gelöst hatte; sie transportierten alles ab, was ihnen wertvoll erschien; von schweren Straßenbaumaschinen bis zum Bleistift, von Aktenbergen bis zum letzten Revolver. Auch die Afrikaner waren empört: „Erst stellt man uns frei, uns von Frankreich zu lösen, und dann, als wir uns dafür entschieden, werden wir einfach isoliert!“

      Kaum hatte es sich herumgesprochen, daß eine deutsche Yacht im Hafen eingetroffen war, da erhielt ich Besuche und freundliche Worte. Zwei Zollbeamte brachten mir sogar ein Bündel Bananen aufs