Hannes Lindemann

Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln


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die sauberen Straßen, die gepflegten Rasen aufhören und überfüllte Kehrichttonnen, verwahrloste Häuser und schmutzige Gossen beginnen, da verläuft augenfällig die Grenze.

      1889 mußten die Franzosen die Arbeiten an dem von Ferdinand Lesseps geplanten Kanal einstellen. Milliarden an Geld, zehntausende an Menschenleben hatte dieser schmale Streifen Festland gekostet, der zwei Weltmeere trennt und zwei Landmassen zu einem Kontinent verbindet. Mit Gelbfieber, Malaria, Seuchen, mit Sumpf, Dschungel und granitenen Bergen hatte er Kapitalkraft, Ingenieurkunst, Organisationstalent zuschanden gemacht – acht Jahre vergeblichen Mühens.

      Zu einem Spottpreis kauften die Amerikaner die Rechte auf. Sie vollendeten den Kanal nicht mit Spaten und Bulldozer. Sie taten es mit Petroleum und Feuer. Sümpfe und Dickichte, die Brutplätze der krankheitsübertragenden Moskitos, wurden mit Petroleum übergossen und niedergebrannt. Jetzt konnte der Kanal in einem fieberfreien Gebiet zu Ende gebaut werden. Seitdem haben es die Amerikaner verstanden, ihre Canal Zone gesund zu halten. An der atlantischen Seite liegt der Hafen Cristóbal, an der pazifischen der Hafen Balboa. Die entsprechenden panamesischen Städte heißen Colón und Panama.

      Wir rüsteten uns in Cristóbal aus. »Kairos« mußte noch weit mehr als bei unserer Ausreise von Hamburg beladen werden. Denn wir wußten nicht, was es auf den Pazifik Inseln außer den ortsüblichen Lebensmitteln zu kaufen geben würde.

      Wir verfertigten wieder endlose Listen, tätigten endlose Einkäufe und schleppten alles im Schweiße unseres Angesichts an Bord. Schwierigkeiten bereitete die Beschaffung von Knäckebrot, wir mußten mit amerikanischen Biskuits vorliebnehmen. Sie schmecken pappig. Schön war der Erwerb von Salzwasserseife, mein morgendliches Duschbad auf dem Vorschiff würde im Zeichen schäumenden Genusses stehen.

      Abends saßen wir über Seekarten und Handbüchern. Im Großen Ozean waren die Galapagos Inseln unser erstes Ziel. Flauten, Gewitterböen, starke Strömungen herrschen dort. Aus den Erfahrungen unendlich vieler Segelreisen sind in den Handbüchern günstige Kurse über See beschrieben. Wir lasen, machten Punkte auf die Karten, legten Kurse fest, die bald das Abenteuer der Verwirklichung finden sollen.

      Mit Bob und Don besprachen wir die Kanaldurchfahrten unserer Jachten. Sie wollten uns bei unserer Durchfahrt helfen, wir ihnen bei der ihrigen.

      Drei Schleusen, als Schleusentreppe eine hinter die andere gebaut, heben die Schiffe zum Kanal. Durch ebensoviele geschieht das Abschleusen im Westen. Das Aufschleusen ist für Jachten nicht ohne Risiko, da das Füllen der Kammern vermittels Falldruck aus dem Stausee erfolgt. Das Wasser strömt aus meterdicken Bodenrohren ein. Es bilden sich starke Wasserwirbel. Dampfer werden von vier Dieselloks, die jeweils zwei Bug- und zwei Heckleinen übernehmen, in die Schleusen gezogen und während des Schleusens frei von den Mauern gehalten. Jachten werden ebenso wie die Dampfer, jedoch ohne Dieselloks, an vier Leinen in die Mitte der Kammern gelegt. Von Schleuse zu Schleuse fährt die Jacht unter eigener Motorkraft.

      Wir bezahlten unsere Gebühren im Verwaltungsgebäude. Das Ergebnis der vereinten Meßkünste unserer Johns betrug US-Dollar 2,88. Die Kosten für den Lotsen, den die Kanalordnung vorschreibt, waren darin bereits berücksichtigt.

      Früh am Morgen kam der Lotse. Es war das erste Mal, daß eine so kompetente seemännische Persönlichkeit unser Deck betrat. Bob, Don, Elga und ich standen achtungsvoll auf den nunmehr überfüllten Decks.

      Er begrüßte uns jovial: »Hello! Fein, daß ihr Leute klar seid! Na, werft man los. Wollen sehen, daß wir diesen Floh schnell durchkriegen. Wie lang sind die Leinen? Wie stark ist die Maschine? Deutsches Schiff? Ha! Wo ist das Bier?«

      Nun – die vier 50-Meter-Leinen hatten wir bereits in Hamburg gekauft, die Maschine lief, nur Bier hatten wir nicht. Aber Whisky tat es schließlich auch.

      »Nennt mich Tim«, sagte unser Lotse.

      Hinter einem 9000-t-Dampfer liefen wir in die erste Schleuse. Die Männer an Land schleuderten die Wurfleinen. Mit ihnen wurden unsere Festmacher aufgeholt und an den Pollern hoch oben auf der Mauer belegt. Fest? Fest! Das Wasser begann einzuströmen und zu wirbeln.

      Um das Schiff freizuhalten, mußten die Leinen bei schnell steigendem Wasser laufend eingeholt werden. Schwitzend arbeiteten wir, hol ein, hol ein! Wurde das Schiff seitwärts gedrückt, wurden die Leinen blitzschnell festgelegt. Innerhalb von 8 Minuten hatte sich der Wasserstand um 9 Meter gehoben.

      Die Tore zur nächsten Schleuse öffneten sich. Noch einmal gab es eine Belastung, als der vor uns liegende Dampfer den anziehenden Diesellokomotiven mit einem Stoß seiner Schraube Unterstützung gab. Unsere Leinen knirschten und zitterten.

      »Go on!« schrie Tim und winkte wie ein Feldherr den Männern auf der Mauer, unsere Leinen zu lösen. »Go on! Gib ihr Saft, Junge! Teufel, hab noch nie so’n kleines Schiff gelotst.« Noch zweimal wiederholte sich der Vorgang, dann befanden wir uns 27 Meter über dem Spiegel der Weltmeere.

      Auf dem Gatun See liefen wir unter Maschine und Segel schnelle Fahrt. Im schmalen Gaillard Durchstich glühte die Sonne. Wir bargen die Segel. Ein deutscher Bananendampfer begegnete uns.

      Das Abschleusen war sehr viel weniger atemberaubend. Es entstehen dabei keine Wasserwirbel. Wieder hatten wir alle Hände voll zu tun – diesmal um Leine zu stecken, fier weg!

      Dann öffnete sich das letzte Schleusentor. Es war dunkel geworden, als wir unter Tims Weisungen zur Reede des Balboa Yacht Club steuerten. So konnten wir den großen Ozean an diesem Tage nicht mehr sehen. Aber wir spürten ihn: mit der einsetzenden Flut begann seine Dünung in die Bucht zu laufen. Aus welcher Weite kam sie?

      Ich brachte »Kairos« an die Boje.

      »Stop it!« rief Tim. »Hier sind wir – okay!«

      »Boje fest!« riefen Bob und Don vom Vorschiff.

      Elga stellte die Maschine ab. In der plötzlichen Stille schwiegen alle.

      Ich stieß Elga unbemerkt an. Wir fühlten: die Atlantische Welt lag hinter uns. Nur 46 Seemeilen?

      Hier war die Stadt Balboa. Hier hatte der Mann Balboa gestanden und mit geöffneten Armen gerufen: »Ergreife ich Besitz von diesen Gewässern, Ländern, Küsten, Häfen und südlichen Eilanden.«

      Nun gab es für uns nur noch einen Weg nach Hause – westwärts um die Erde herum.

      ∗ Eine Windfahnen-Steuereinrichtung war 1964 in Deutschland noch nicht zu erhalten – und in England zu teuer. – Anm. d. Verf.

      ∗∗ Talion: mosaische Vergeltung

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