Hannes Lindemann

Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln


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»goldenen Küsten« liege. Das genügt.

      Gold! Goldene Küsten! Mit einer Schar Abenteurer bricht er auf. Sie dringen in den Dschungel ein, hacken sich einen Pfad durch die grüne Hölle. Die meisten sterben am Fieber, an den Pocken, an Schlangenbissen. Kein Sterben in Frieden: es ist Aufbäumen, Qual, Verdursten und Verrotten, bis sich die Seele aus der verquollenen Kehle herausgeröchelt hat. Doch mit Ungestüm dringen die Überlebenden weiter vor – ein paar Meilen jeden Tag.

      Allen voraus ist Balboa. Wo sind diese goldenen Küsten? Madonna, wo?

      Am 3. Oktober 1513 erreichen sie das unbekannte Meer. Vor ihren fiebernden Augen breitet es sich nach Süden aus. Südsee nennen sie es deshalb. Golden funkelt die Sonne auf den Küstenwellen. Balboa watet bis zu den Knien in den Goldschimmer hinein und ruft mit pathetisch erhobenen Armen: »Im Namen der Königskrone von Kastilien ergreife ich von diesen Gewässern, Ländern, Küsten, Häfen und südlichen Eilanden Besitz!«

      Der Große Ozean ist entdeckt. Er schenkt Balboa außer Sonnenglanz kein Gold. Nach seiner Rückkehr gerät er darum in eine endlose Kette von Intrigen und wird schließlich enthauptet. Der das Todesurteil verlesende Offizier heißt Francesco Pizarro. Mit ihm löst sich die Suche nach Gold vom Atlantischen Ozean, wird in den südamerikanischen Kontinent getragen und dann in den Großen Ozean, in die Südsee.

      Bereits eine halbe Seemeile vor den Wellenbrechern des Außenhafens von Cristóbal nahm uns US-amerikanische Organisation liebevoll in ihre perfekten Arme. Ein riesiger Scheinwerfer flammte auf und erfaßte uns. Er leuchtete gerade so lange, um uns identifizieren zu können.

      »Wir sind wie Steinzeitmenschen für sie«, sagte ich.

      »Wieso?«

      »Weil wir keine Radiotelefonie haben, um uns anzumelden.« Mit den grünen Richtfeuern auf der Gatunschleuse in Linie liefen wir schlingernd in den Außenhafen. 46 Seemeilen Kanalfahrt trennten uns noch vom Großen Ozean.

      Eine Hafenbarkasse mit dem Namen »US Gesundheit« kam angeprescht. »Let go anchor!« rief man uns zu. Und während unser Anker noch in ungeahnte Tiefen sank – ich hätte viel lieber im flachen Innenhafen geankert – sprang ein alerter Mann bereits an Bord. Die schienen es hier mächtig eilig zu haben.

      Der Mann trug am Hemd ein Namensschild »John Frost« und in der Hand eine Tasche, sehr groß, mit Formularen und einer Spritze für Insektenpulver. In der Brusttasche des Hemdes stak säuberlich eine endlose Reihe von Kugelschreibern in allen Farben. Am Gürtel war eine Klein-Tasche befestigt mit Injektionsspritze und Ampullen – sicherlich für »akute Fälle«.

      »Hello!« rief Mr. John Frost. »Fein, daß ihr Leute da seid! Mache hier die Einklarierung. Können unseren job jetzt gleich tun, dann brauchen wir’s morgen nicht zu tun. Guten Trip gehabt? Fein! Immer ’ne Menge Wind jetzt in der Karibe.«

      Während wir ein wenig fassungslos dieses US-Wunder anstarrten, kletterte Mr. John Frost in die Kajüte. Dort ließ er sich nieder und begann, Formulare um sich zu verbreiten. Wir waren schüchtern gefolgt.

      »Na, alles gesund an Bord? Fein! Nennt mich John. Haben euch schon gestern erwartet.«

      »Erwartet?« fragte ich.

      John freute sich. »Ja, denkt ihr Leute denn, wir wissen nicht, was in der Karibe ’rumfährt? Wir wissen’s!«

      »Ach so«, sagte ich.

      Wir füllten hungrig, müde, mit brennenden Augen die Formulare aus. Dann wurde das Schiff vermessen – richtig mit Zentimeterband: Vorschiff, Achterschiff, Mittelschiff, Maschinenraum. Wir schwitzten alle heftig, aber es half nichts. Die Ergebnisse wurden fein säuberlich in Tabellen eingetragen.

      »Danach wird die Gebühr errechnet«, erklärte John.

      »Wie umständlich für eine Jacht«, meinte Elga. »Ein Frachtdampfer hat das alles sicherlich in seinen Schiffspapieren. Nehmen Sie doch für Jachten eine einheitliche Gebühr, John.«

      John lachte. »Das ist nicht mein job, Leute. Ich vermesse. Wenn ihr mal wieder des Weges kommt, haben wir euch in unseren Akten. Dann kommt ein anderer an Bord. Wir sind alle spezialisiert.«

      »Ach so«, sagte ich.

      Um 23 Uhr, nach drei Stunden Arbeit, waren wir fertig – richtig fertig. John bekam einen männermordenden Gordon’s Gin eingeschenkt und zeigte sich erstaunt, daß wir noch kein Abendbrot gegessen hatten. Nachdem er uns mehrere Male eingeschärft hatte, mit welchen Papieren wir zu welchen Behörden morgen zu gehen hätten, verschwand er strahlend und winkend auf »US Gesundheit« im Lichtdunkel des großen Hafens.

      Lautes Schlagen an Deck weckte uns am nächsten Morgen. Vollkommen verschlafen, nur mit einer Turnhose bekleidet, stürze ich an Deck. »US Gesundheit« liegt längsseits. Ein panamesischer Bootsmann donnert mit dem Bootshaken aufs Kajütsdach.

      »Hölle!« fahre ich den Bootsmann an. »Hau ab!«

      Er grinst amerikanisch, strahlend also.

      Ein alerter Mann springt an Bord – am Hemd ein Namensschild »John Brians«, in der Hand eine Tasche, sehr groß, mit Formularen und einer Spritze für Insektenpulver. In der Brusttasche des Hemdes steckt säuberlich eine endlose Reihe von Kugelschreibern aller Farben. Am Gürtel ist eine Klein-Tasche befestigt mit Injektionsspritze und Ampullen für »akute Fälle«.

      »Hello!« ruft er. »Fein, daß ihr Leute da seid! Mache hier die Einklarierung. Tun wir’s gleich, dann brauchen wir’s später nicht zu tun. Guten Trip gehabt? Fein! Immer ’ne Menge Wind jetzt in der Karibe.«

      Ich erkläre verwirrt, daß gestern John I …

      »Ja, John!« ruft John II, »feiner Junge das! Aber er hat ’nen job auf’m Tanker jetzt. Und da bin ich eben zu euch gekommen. Nennt mich John.«

      Wir werden also vermessen. Warum auch nicht? Vorschiff und Achterschiff. Wieviel Ladeluken? Wieviel Särge? Welche Häfen seit Beginn der Reise? Wann wurde das Schiff zum letzten Mal entrattet?

      »Entrattet?« frage ich.

      »Entrattet«, sagt John II geduldig, als spräche er zu Steinzeitmenschen. »Entrattet – also – von Ratte – wie große Maus.« Er zwinkert mit den Augen. »Sehe schon, keine Ratten an Bord. Würde das Schiffchen ja auch gar nicht tragen können.«

      Dann erklärt er uns, mit welchen Formularen wir zu welchen Behörden heute gehen müssen. Und dann ist er ganz erstaunt, daß wir noch kein Frühstück gehabt haben. Und schließlich entschwindet er strahlend und winkend auf »US Gesundheit« in die lichtgebadete Sonnenweite des großen Hafens.

      In der Stadt liefen wir uns die Absätze krumm an diesem Tage. Doch allerorten war man von überwältigender Freundlichkeit.

      Wir hatten unser kleines, rotes Schlauchboot ganz in der Ecke des Hafenbeckens festgemacht. Als wir am Nachmittag zurückkehrten, fürchteten wir schon in der Ferne das Schlimmste. Der Bug eines Flugzeugträgers ragte über die Dächer der Schuppen. Wenn ich etwas nicht mag, dann, daß Flugzeugträger neben unserem kleinen, roten Schlauchboot festmachen – besonders seitdem es nicht mehr ganz neu ist und Flickstellen hat. Wir eilten zur Pier.

      Aber es war alles in Ordnung. Das Schlauchboot lag klein und rot in der Hafenecke und rieb seine Nase vertrauensvoll an dem grauen Riesenbug. Seht mal, schien es zu sagen, womit ich heute spielen darf!

      Wir verholten »Kairos« zum Jachtclub, dessen Gebäude am alten Französischen Canal liegt. Dort machten wir am Steg fest. Die »Posh« aus Los Angeles und die »Coaster« aus Seattle lagen dort. Die Skipper Bob und Don lebten mit ihren Familien an Bord. Sie wollten ebenfalls durch den Kanal – die »Posh« dann weiter nach Los Angeles, die »Coaster« nach Hawaii.

      Sie begrüßten uns mit einem Willkommenstrunk, der lustig zum Abend in ein Barbecue auf dem Clubsteg überging.

      »Fein, Leute!« sagte ich schließlich gesättigt und konnte, von einer Menge Whisky zu sozialem Denken gebracht, meine Erfahrungen des Tages zusammenfassen: »Fein, daß ihr Leute und wir Leute – daß wir alle da sind.«