Wasser- und Himmelreich durch den Riegel der Westindischen Inseln erheblich gestört wird. Bevor er über den Cordilleren und Mangrovensümpfen des amerikanischen Festlandes enden muß, rafft er noch einmal alle Kraft zusammen und weht mit stürmischer Heftigkeit.
Unzählige Regenböen kamen. In breiter Front zogen sie über den Horizont: schwarze Regenwände, gekrönt von weißen Kumuluswolken. Während der vorige Schauer noch die Kimm voraus unsichtbar machte, fiel schon der nächste über uns her. Die zwischenzeitlichen Sonnenperioden reichten nicht aus, unsere Kleidung zu trocknen. So müßten wir Ölzeug tragen. Von außen regennaß, von innen schweißnaß – es war unerträglich. Aber wir wollten uns keine Lungenentzündung holen.
Der Wind war böig-unruhig. Ein Segelmanöver folgte dem anderen. Die Feuchtigkeit weichte die Haut der Hände auf. Blasen entstanden, entzündeten sich. Jeder Griff schmerzte, wenn die lahmen Finger sich ins Segeltuch krallten.
Erschöpft krochen wir in unsere Kojen. Unlustig quälten wir uns wieder an Deck. Wir verfluchten die Seefahrt.
Dann wurde das Wetter schön. Für vier Tage wehte der Passat gleichmäßig aus Nordost. Unser Bordleben nahm erträgliche Formen an. Der Abschiedsschmerz wich. Wir setzten die Passatsegel, gingen aber unsere Ruderwachen weiter, da wir wegen starken Schiffsverkehrs »Kairos« nicht sich selbst steuern lassen wollten. Unsere neue Wacheinteilung bewährte sich gut.
Wir hatten uns gerade wieder ans Leben auf See gewöhnt, als eine magische Klarheit über den Horizont stieg. Die Passatwolken, leichte Schönwetterwolken, wurden von ihr aufgesogen. Trotzdem wurde die Luft klebrig-feucht. Ein Schooner, der von achteraus langsam aufgeholt hatte, reffte Segel und drehte nach Süd ab. Wir segelten weiter.
Nachmittags 16 Uhr wehte es aus Ostnordost Stärke 6. Um 18 Uhr war es Windstärke 7 aus gleicher Richtung. Das Barometer zeigte nichts Außergewöhnliches. Ich reffte beide Passatsegel. Sie haben ein Bindereff und müssen zum Reffen heruntergenommen werden. Bei den heftigen Schiffsbewegungen war es ein langwieriges Unternehmen. Elga steuerte. Als die Sonne unterging, sahen wir vor ihrem roten Ball eine aufgewehte, feine Wasserstaubschicht über der groben See. Um 22 Uhr wehte es mit 8.
»Kairos« kam nun von den Wellenkämmen nicht mehr frei. Seine Fahrt war zu groß. Die mitlaufenden Seen versuchten ihn querzudrücken. Der Rudergänger arbeitete mit ganzer Kraft. Ich barg das Backbord-Passatsegel. Jetzt machte das Schiff wieder sichere Fahrt durch die Seen. Der Wind nahm weiter zu, er jaulte im Rigg. Der Seegang wuchs und lärmte wie ein Güterzug. Der Himmel zeigte klare Sternenpracht.
»Kairos« entfaltete eine uns bisher noch nicht bekannte Kraft. Da kamen diese Seen aus der Dunkelheit, steilten sich hinter dem Schiff auf. Das Heck wurde gehoben. Die See griff zu – Gegenruder jetzt! – der Bug kam hoch. Der Wellenrücken bildete kochende Kaskaden zu beiden Seiten des Schiffes und zog, während das Heck abwärts fiel, als solide, weiß-gefleckte Wand in die Nacht. »Kairos« schüttelte sich und warf das Wasser ab. Die nächste See kam rollend.
Manchmal brach sich der Seegang direkt hinter dem Heck. Wie mit einer Faust geschah der Schlag. Wasserhände griffen ins Cockpit, Gischtfinger umklammerten den festgelaschten Rudergänger, der plötzlich in reißendem Wasser saß und den Kurs nach der tanzenden Kompaßrose steuerte.
Es war ein wilder, nicht endenwollender Kampf.
In der Kajüte blieb es, abgesehen von den Rollbewegungen, bemerkenswert ruhig und still. Kamen wir hinunter, umgab uns die vertraute Umwelt so selbstverständlich und sicher, daß wir das Chaos oben vergessen und schlafen konnten.
Als die Sonne aufging, erreichten die Böen Stärke 9. Die See war weiß von Gischt, die Wellenhöhe betrug 6 Meter, manchmal mehr. Sturm war das. Unter den noch stehenden 8 Quadratmetern Segelfläche lief »Kairos« 141 Seemeilen von Mittag zu Mittag.
Es begegnete uns in 500 Meter Abstand ein 5000-t-Frachter. Bis zum Deck tauchte der Bug ein, warf stäubendes Wasser bis über die Brücke, bevor er sich triefend und schwerfällig hob. Auch bei der Großschiffahrt ging es nicht mehr friedlich zu.
»Da bekommt der Käpt’n ja’n ganz nassen Hut, wenn er auf die Brücke geht!« schrie Elga kopfschüttelnd. »Und diese entsetzlichen Bewegungen!« Ihr Kopfschütteln ging auf den ganzen Körper über. »Ich wäre in zwei Minuten seekrank.«
Es war schade, daß wir nicht hören konnten, was da drüben über uns gesagt wurde. Sicherlich schüttelten sie sich auch.
Abends ließ der Wind nach. Windstärke 6 bis 7 aus Nordost. Ich setzte das zweite Passatsegel gerefft. Doch »Kairos« lag mit ihm schlecht in der steilen See. So barg ich es wieder.
In der Nacht kreuzten zwei Dampfer unseren Kurs. Der eine kam so dicht, daß Elga mich weckte. Die Peilung zu ihm stand. Es drohte Kollisionsgefahr. Offensichtlich konnte man unsere Positionslichter wegen des Seegangs nicht sehen. Unter dem einen Passatsegel waren wir kaum manövrierfähig. Nach der Seestraßenordnung haben Dampfer Segelschiffen auszuweichen. Doch hier? Wir luvten an, so gut und so viel es ging. Wir kamen klar. Unheimlich stampfend klangen die Maschinengeräusche des Riesen herüber. Sein Hecklicht starrte wie ein bewegungsloses Auge. Die Gefahr war vorüber. Uns war übel vor Angst.
Nordost 6 – tagelang. Unser Ziel war dieses Mal keine Insel, in deren Lee wir gemütlich zum Ankerplatz segeln konnten. Unser Ansteuerungspunkt war die Punta Manzanillo, ein 500 Meter hohes Kap an der flachen Küste eines Kontinents, 25 Seemeilen nordöstlich des Hafens Cristóbal.
Ich fühlte Unbehagen. Es ist eine riskante Sache, vor starkem Wind und vor hoher See eine unbekannte Küste anzulaufen. Der Wind konnte zu dieser Jahreszeit jeden Augenblick wieder auffrischen. Dann würde Manövrieren vor der Küste sehr schwierig, wenn nicht unmöglich sein. Wir mußten das Ziel auf den Kopf treffen. Jedesmal, wenn ich den Sextanten zur Hand nahm, tat ich ein stilles Gebet.
Am Tage unseres Landfalls ließ der Wind jedoch noch weiter nach. Bei Nordost 4 bis 5 setzten wir das Großsegel und die Fock 1.
Voraus, wo heute mittag die Küste in Sicht kommen mußte, standen Kumuluswolken. Es wurde diesig. Aus der brechenden See wurde schnell eine lange Dünung. Nach der Vormittagsbeobachtung der Sonne legte ich mich schlafen.
Es wurde ein erquickender Schlaf. Die Luken standen weit geöffnet. Wir trugen Segel, die uns voll manövrierfähig machten. Das Wetter war handig. Alle Umstände machten das Leben behaglich.
Als ich erwache, zeigt meine Uhr weit nach Mittag. Elga hat mich nicht zur Mittagsbeobachtung geweckt! Ich stürze sehr unbekleidet an Deck.
Dort sitzt Elga. »Wenn du dich jetzt umdrehst«, sagt sie heiter, »wirst du Amerika sehen – bitte!«
Ich wende mich um. Es versetzt mir einen Schlag: in 6 Seemeilen Entfernung, genau auf der Linie unseres Kurses liegt Punta Manzanillo. Ich erkenne den Sattelberg sofort, wie er im Handbuch beschrieben ist.
»Mensch! Elga!« schreie ich los. »Amerika! Stell dir vor, das ist Amerika!«
Ich konnte mich nicht beruhigen. Amerika, einst von Columbus irrend gefunden und seitdem als Zauber von Ferne, von Gold, von Freiheit immer wieder in unsere Europäerseelen gesenkt.
Nach dem Mittagessen hat sich Elga schlafen gelegt. Wir segeln nun auf neu abgesetztem Kurs entlang der Küste nach Cristóbal. Ich steuere und fühle, wie mein Herz schlägt. Du bist verrückt, Junge, sage ich mir, es ist eine Küste wie jede andere auch.
Aber so wie wir jetzt: heiß, feucht, dunstverhangen, so müssen auch die Spanier diese Küste gesehen haben. Das liegt 460 Jahre zurück. Was sind 460 Jahre für eine Ozeanküste? Nicht genug, um sie überhaupt zu verändern.
Wie eine Barriere legte sich damals die Küste vor grenzenlose Träume von Gold und Reichtum. Oder gab es Gold hinter ihren Dschungeln?
Der Mann, dem diese Frage keine Ruhe ließ, hieß Vasco Nuñez de Balboa. Er war ein verschuldeter Soldat, der mit der Conquista sein Glück in der Neuen Welt suchen wollte. Maßloser Ehrgeiz, bedenkenlose Kühnheit, blitzschnelle Entschlußkraft, eisernes Durchstehvermögen, das sind die Eigenschaften dieses Mannes.
Es