Hannes Lindemann

Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln


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– bangbang! Durch Aufschneiden der Fässer in verschiedenen Längen konnten sie jede gewünschte Klangnuance erreichen.

      Man kann auf einer Säge geigen. Es gibt einen jaulend-wehmütigen Ton. Diesen Ton stelle man sich getrommelt vor, gleichzeitig auf vielen Fässern verschiedener Klanghöhe. Steelbands machen eine wehmütig-singende Musik, steigern sich zu heulendem Paukenschlag. Trommler und Tanzende werden eins in Rausch und Ekstase.

      Abends kommen wir nach einem Spaziergang am Feuerwehrschuppen vorbei. Bongbungbangbuiiim! Sie tanzen. Wir stehen fassungslos.

      Gebleckte Zähne, schweißnasse Gesichter, rollende Augen, zuckende Glieder. Unheimlich wirken die Überreste europäischer Kleidung an diesen Körpern. Sie tanzen keinen afrikanischen Buschtanz, keinen westindischen Kalypso, auch keinen amerikanischen Rock’n roll. Sie tanzen das absolute Nichts, um sich zu vergessen. Unsichtbar steht hinter ihnen der Schatten des Weißen Mannes. Denn unsere Vorväter brachten ihre Vorväter in Ketten hierher.

      Sie tanzen rasend, gleich werden sie Fackeln entzünden.

      Sollen wir uns verstecken hinter dem uralten, nutzlosen Ford? – Wie mutlos.

      Sollen wir verächtlich den Kopf schütteln ob dieser barbarischen Tanzerei? – Wie herzlos.

      Morgen, die Ruhe vollkommener Erschöpfung wird über das Dorf gefallen sein, müssen wir absegeln.

Image St. Lucia, im Januar 1965

      Wir segelten nach Norden an der Insel St. Vincent vorüber, die ihre 1000 Meter hohen Berge dunkel, fast drohend zu den Wolken hob. Wir gingen unsere üblichen Ruderwachen. Die Nacht wurde ruhig mit flauem Ostnordost-Passat. Im Lee der Insel nahmen wir die Maschine zur Hilfe.

      Bei Sonnenaufgang standen wir zwischen St. Vincent und St. Lucia. Der Passat frischte auf und schuf einen harten, kurzen Stromseegang. Wir wurden stark nach West versetzt. Die Pitons, zwei steile Bergkegel an der Südwestküste von St. Lucia, färbten sich sonnenbeschienen. Zum Mittag verloren sie alle Farben, als sich Hitze dunstgleißend über die Insel legte.

      In Port Castries, dem Hafen von St. Lucia, klarierten wir ein, kauften Proviant und ergänzten Wasser. Wir machten anschließend einen Gang durch die Stadt. Schiefe Negerhütten, moderne Neubauten und wie verfallen wirkende Häuser im Kolonialstil säumten die heißen Straßen. Alles, was wir sahen, wirkte arm und verstaubt. Bunt waren nur die hölzernen Autobusse. Über die schreienden Farben ihrer Karosserien waren großzügig Bilder gemalt mit erklärenden Namen. »Neptun«, »Gliding Star«, »Roaring Lion«.

      Ich fragte einen der Busfahrer nach dem Sinn solcher künstlerischen Kraftentfaltung.

      »O mistarr«, sagte er und zeigte grinsend sein Raubtiergebiß, »das sind die Bus-Linien. Ich hierr mit ›Flying Crrocodile‹ fahrre zurr Ostküste – zweimal am Tag.«

      Während wir auf dem Rückwege diese Errungenschaft gesprächsweise in Hamburg einführten – »Tobender Elefant« nach Blankenese, bitte einsteigen!« – dämmerte uns, daß Busnummern den Schwarzen nichts sagen würden, da sie keinen Sinn für Zahlen haben.

      Am nächsten Tage segelten wir in die 5 Seemeilen südlich gelegene Marigot Bay. Ihre Einfahrt liegt schmal zwischen hohen Felsen. Hinter ihnen weitet sich die Bucht, die von einer flach-sandigen Miniaturlandzunge geteilt wird. Der hintere Teil, in dem wir ankern, bildet einen vollkommen geschützten Naturhafen. Er ist von Mangroven umwachsen. Hinter ihrem Dickicht heben sich Palmen. Am inneren Buchtufer liegt ein kleines Hotel auf blumenbunter Hangterrasse.

      Als ein englischer Admiral zum Ende des 18. Jahrhunderts auf St. Lucia landete, um die Insel zum soundsovielten Male den bösen Franzosen zu entreißen, geriet er in arge Bedrängnis. Seine Landetruppen kamen nicht voran, und seine Landungsflotte wurde von einem französischen Geschwader hartnäckig attackiert. Man schickte dem »löwenhaft kämpfenden« Admiral ein Verstärkungsgeschwader aus Antigua, das die französischen Schiffe zwar fortlocken konnte, aber den Franzosen ebenfalls nicht gewachsen war. Die Engländer ergriffen die Flucht und wären wohl in Grund und Boden gebohrt worden, hätte ihr Geschwaderkommandant nichts von der Marigot Bay gewußt. Er fand die schmale Einfahrt, ließ einsegeln und im hinteren Teil der Bucht ankern. Die hohen Schiffsmasten wurden mit Palmenwedeln getarnt. Die Franzosen suchten lange nach den »vom Meer verschluckten« Engländern, besannen sich dann auf ihre Hauptaufgabe und kehrten um. Sie kamen zu spät. »Der Löwe von St. Lucia«, befreit von den ihn in den Schwanz zwickenden Kriegsschiffsschwärmen, hatte Port Castries inzwischen erobert. Zum soundsovielten Male sank die Trikolore in den Staub, und der Union Jack begann zu flattern. Er flatterte nicht lange. Die Franzosen kamen wieder.

      Auch damals schon war die Banane Hauptexportartikel der Insel. Sie reifte unter dem Union Jack ebensogut wie unter der Trikolore. Die schwarzen Sklaven auf der Insel entwickelten bei dem lärmvollen Wechsel ihrer Herren eine besondere Sprache: ein französisch-englisches Kauderwelsch, das unter dem Union Jack ebensogut verstanden wurde wie unter der Trikolore.

      Heute ist die Insel englischer Besitz. Sie soll demnächst unabhängig werden. Banane und Kauderwelsch werden auch das überleben.

      Nachmittags rief uns ein Mann aus einem Mahagoni-Motorboot an: »Wenn Sie etwas über Hamburg hören wollen, besuchen Sie mich heute abend!«

      Elga faßte sich zuerst. »Sind Sie aus Hamburg? Kommen Sie an Bord!«

      »Nein, vielen Dank«, sagte er und ließ seinen Renner vorschnellen. »Ein anderes Mal.«

      »Welche Jacht?« rief ich ihm nach.

      »›Walanka‹ – dort!«

      Wir sahen zu der großen Motorjacht hinüber, die am Vormittag eingelaufen war.

      In stolzer Linie hob sich der fleckenlose Bug der »Walanka«. Ihre Brücke schien uns himalayahoch. Am Heck wehte das britische Blue Ensign. Wir ruderten – ruck und ruck – zur Gangway, wo unser Gastgeber lächelnd stand.

      »Herzlich willkommen! Mein Name ist S.«. Er trug nun nicht mehr Shorts und Sporthemd wie am Nachmittag, sondern lange Hosen und Hemd mit Schlips.

      Wir stellten uns vor. Ich betrachtete heimlich meine Shorts, die etwas fleckig, und meine Füße, die zwar fleckenlos doch nackt waren. Elga war glücklicherweise passender angezogen.

      Mr. S. führte uns in den Salon, wo – meine nackten Zehen krallten sich in den dicken Teppich – etwa zwölf Personen in Abendkleidung zu einer Cocktailparty versammelt waren. Ich sagte also etwa zwölfmal »How do you do«. Dann setzte ich mich in einen Sessel, der halb so groß wie unsere Kajüte war und ausgezeichnete Möglichkeit bot, meine Füße unter ihm zu verstecken. Elga wurde von einigen Herren in die Sofaecke mit Stehlampe und Rauchtisch entführt.

      »Whisky, please«, flüsterte ich dem lautlos vor mir erschienenen Steward zu.

      »Mir auch noch einen!« sagte der alte Kapitän neben mir mit Kommandostimme. In seinen jungen Tagen, wie er mir erzählte, hatte er Rahschiffe um Kap Hoorn gesegelt.

      »Well«, sagte er und holte in aller Ruhe seine schwarze Pfeife aus der Tasche, die er auf den Hochglanztisch legte. »Es war manchmal hart da unten, Sie können’s mir glauben. Aber was hatten wir für herrliche Schiffe!«

      Er stopfte seine abgewetzte Pfeife. »Ich bin kein Jachtsmann, no, nie gewesen. Sah Ihr Boot, als wir einliefen. Was ich nicht verstehe, ist, wie Sie mit Ihrem Grashopper in schlechtem Wetter klar kommen.«

      Ich versuchte, ihm die Seetüchtigkeit einer Hochseejacht zu erklären.

      »Well«, sagte er schließlich, »das leuchtet mir ein. Ihre Jacht kann nicht kentern, weil sie entsprechenden Ballast hat. Sie kann nicht vollschlagen, weil sie starke Luken und ein selbstlenzendes Cockpit hat. Das Rigg ist kräftig – well, und der liebe Gott hilft bei allem ein wenig. Aber, Junge, die Bewegungen im Seegang müssen euch ja umbringen.«

      »Ja, manchmal«, sagte ich. »Und die Ruderwache ist