diesen Reisen liegt kein Profit, sie dienen keinem Zweck im üblichen Sinne. Sie werden oft mit bescheidensten Geldmitteln, mühsam erspart, und immer mit unbeirrbarer Zielstrebigkeit durchgeführt. Gewiß, sie reichen manchmal an die Grenzen des sinnlos Phantastischen. Eine Skala, die von krankhaftem Ehrgeiz bis zu weltfremder Träumerei reicht, liefert unzählige Motive. Sie enden mehr als einmal in Untergang, Strandung und Schiffbruch. Aber von der Mehrzahl wird auf diesen zwecklosen Reisen nüchterne, saubere Seemannschaft betrieben. Es werden Leistungen vollbracht, die ohne Zuschauertribünen und ohne johlendes Massenpublikum nach nichts weiter fragen als nach der Bewährung von Jacht und Mannschaft.
»Wo ist die ›Takebora‹ mit ihrem Einhandskipper?«
»Frag mich nicht«, sagt Bryan. »Irgendwo westwärts. Der Junge hat’s wirklich eilig.«
»Wann wollt ihr weiter?«
»Gar nicht.«
»Was? Aber –«
Bryan winkt ab. »Gil bekommt ein Baby. Wir wollen die ›Askadil‹ verkaufen und nach Sydney fliegen. Dort werde ich wieder eine Praxis eröffnen und – weißt du, wir segeln dann eben später von der anderen Seite in den Pazifik. Wenn die Kinder größer sind …« Er zuckt hilflos mit den Schultern.
Ich weiß, wie sehr dieser Mann an seinem Plan hing, die pazifischen Inseln segelnd zu besuchen. Ich weiß, mit welcher Hartnäckigkeit er alle Schwierigkeiten überwand. Und ich bewundere, mit welchem Können er seine »Askadil« segelt. Bei uns an Bord können wir alles mehr oder weniger teilen – bei ihm an Bord muß Gil, seine Frau, in erster Linie für das Kind da sein.
»Ihr könnt unsere Seekarten haben«, sagt er nach einem Schweigen. »Du sagtest mir mal, daß ihr in Panama die Karten für den Pazifik kaufen wollt. Ihr habt doch Australien eingeplant?«
»Ja.«
»Gut, dann gebt ihr mir die Karten in Sydney zurück.«
»Das ist eine große Hilfe. Vielen Dank, Bryan. Wir hörten inzwischen, daß die Lieferung von Seekarten in Panama äußerst ungewiß sein soll – übrigens auch in der US-Canal-Zone.«
»Kommt morgen ’rüber und sucht euch aus, was ihr braucht. Ihr spart ’ne Menge Porto.«
»Und Zeit, wenn das alles von England kommen muß.«
Am nächsten Tag holten wir uns fast 100 Seekarten, Spezialkarten und dazugehörige Handbücher von unseren Freunden. Unsere Freude wurde nur getrübt durch ihre Niedergeschlagenheit über das vorzeitige Ende ihrer Pläne.
English Harbour gab die erinnerungsreiche Kulisse zu unseren Vorbereitungsarbeiten für die Karibische See. Wenn ich in der Takelage hing, blickte ich oft zu den alten Hafengebäuden hinüber.
Hier waren die Großsegler eines Volkes repariert und ausgerüstet worden, das wie kein anderes die Weltmeere befuhr und Männer groß werden ließ, die kühl, sachlich und wirklichkeitsnah die Hohe Schule der Segelschiffahrt entwickelten.
Es lebt in den seefahrenden Völkern die Erinnerung an die Kunst dieser Segelschiffahrt und ebenso der Wunsch, sie nicht zu verlieren – sie, die dem Industrieunternehmen der Maschinenfahrt weichen mußte, nachdem sie in Jahrhunderten unter schwersten Erfahrungen entwickelt wurde. So segelt auf jeder Jacht ein Bruchteil Erinnerung mit, auch ein Bruchteil Gewissen. Es weiß um die Vollkommenheit, die der Mensch mit seinen großen Segelschiffen erreichte: mit eigenem Geschick Materie zu bilden und in eigener Entscheidung den Gesetzen der Natur zu gehorchen. Das ist der Einklang, den der wagende, sich mit dieser Erde auseinandersetzende Mensch erreichen muß – der Einklang von Materie und Geist und Freiheit. Ein Weg dorthin führt auf kleiner Jacht mit richtigem Kurs über die Weltmeere.
»Wir müssen eine bessere Wacheinteilung finden«, sagte Elga heute am Vorabend unseres Auslaufens. »Dieser Vier-um-vier-Stunden-Törn ist mörderisch.«
»Wie wär’s, wenn jeder während der Nacht zweimal 3 Stunden geht?« schlug ich vor. Das hörte sich im Hafen wundervoll an.
»3 Stunden sind als Wachzeit gut, als Schlafenszeit aber zu kurz«, gab Elga zu bedenken. Wir rechneten hin und her.
Schließlich hatte ich eine Idee. »Wir rechnen die Nacht immer mit 12 Stunden. Paß auf, Schlafmütze, wir machen die Nacht jetzt eine Stunde länger.« Und ich erklärte, was mir vorschwebte.
»Verstanden?« fragte ich dann.
»Nein.«
»Also – hier.« Ich malte auf eine alte Seekarte:
»Die Nacht hat nun 13 Stunden. Wir haben anfangs jeder 4 Stunden Schlaf. Du kannst sogar eine noch längere Freiwache haben, wenn du nach dem rechtzeitigen Abendessen vor 19 Uhr in die Koje kommst. Während des Tages teilen wir die Zeit zum Schlafen so, wie es Segelmanöver, Arbeit und Navigation zulassen.«
»Ja«, sagte Elga, »laß uns das ausprobieren.«
Nach dem Abendbrot ruderten wir zur »Bella Donna« hinüber. Bob und Sheila wollen in diesem Jahr über die Bahamas, Bermuda und die Azoren nach England zurücksegeln.
»Wer geht denn außer uns noch in den Großen Ozean?« fragte ich, als wir mit den beiden im Cockpit saßen, jeder mit einem großen Glas Rum-Cocktail, dessen Mixen Bobs anerkannte Spezialität war.
»Die ›Shireen‹, die ›Takebora‹ – ja, und ihr. Da ist auch noch die ›Posh‹«, sagte Bob. »Sie sind alle schon unterwegs Richtung Panama.«
»Wir sind also die Nachhut von vier Pazifikjachten. Erinnert ihr euch: in Las Palmas waren wir fünfzehn für den Atlantik. Es werden weniger und weniger, je weiter wir von Europa fortkommen.«
»Schreibt ihr uns?« fragte Sheila. »Es wäre schön, von Sonne und Segeln zu hören, wenn wir im Herbst wieder im Nebel sitzen.« Wir saßen und sprachen – sprachen bald über Winde und Kurse und Jachten. Wir wußten, daß dies unser letztes Gespräch für Jahre, vielleicht für immer war.
Dann nahmen wir Abschied.
Jetzt sitze ich in unserer Kajüte. Elga schläft bereits. Ich denke über die Freundschaft zwischen uns Jachtseglern nach. Sie ist intensiv und ehrlich – grenzenlos in Hilfsbereitschaft und Gedankenaustausch. Den gemeinsamen Stunden im Hafen folgen einsame Monate auf See. Dann hört man voneinander – durch andere Freunde, durch einen Brief. Und sieht man sich wieder: Jahre und Weltmeere liegen dazwischen. Die Freundschaft ist tiefer geworden.
So lebt zwischen den Kontinenten mit ihren staatlichen Grenzen eine kleine Gemeinschaft von Gleichgesinnten. Sie kennen keine Sprach- und Grenzschwierigkeiten, keine Farb- und Rassenunterschiede. Politik ist für sie eine längst überwundene Kinderkrankheit. Stets ist ihre erste Reaktion: Unbekanntes verstehen zu lernen, das hat die See sie gelehrt – ihre zweite: zu helfen, wenn es notwendig ist. Sie kommen von überall her und gehen nach überall hin – auf kleinen Schiffen über das Meer, das ihr Leben und Denken formt.
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Balboa, Panama Canal Zone, im Februar 1965 |
Unsere Freunde standen am Ufer oder auf den Kajüten ihrer Jachren und winkten. Einige sprangen auf die alten Kanonen, andere kletterten in die Wanten der Mäste. Sie riefen alle: »Farewell!«
»Kairos« segelte aus der Bucht von English Harbour. Elga weinte. Ich schluckte. Die winkenden Gestalten wurden klein und verschwanden hinter den Ruinen der Battery auf Barclay Point. Wir waren plötzlich allein.
»Kurs 259 … Grad … am Kompaß«, sagte Elga vom Kartentisch. »Er führt genau … zwischen … Montserrat und … Redonde hindurch.«
Heiser sagte ich: »Es ist schön, immer wieder Abschied zu nehmen.«
Elga schüttelte den Kopf.
»Doch«,