die nun nicht mehr von Piraten sondern von Händlern angeboten werden.
Limbo heißt Vorhölle. Limbo nannten die Sklaven den Tanz, den sie dem Weißen Mann zur Unterhaltung während seiner Abendlangeweile vortanzen durften. Auch heute noch wird er Touristen vorgetanzt. Seine grausige Vergangenheit ist auf Hoteltanzböden vergessen.
Um die Tanzekstase zu steigern, wurde dem besten Tänzer die Freiheit versprochen. Und um ihm die Freiheit nicht geben zu müssen, wird der Tanz vom Weißen Mann zu einer fast unlösbaren Aufgabe gemacht. Zwei senkrechte Holzstangen tragen eine waagerechte. Sie werden das Tor zur Freiheit, wenn der Neger unter ihnen hindurchzutanzen vermag, ohne mit anderen Körperteilen als den tanzenden Füßen die Erde zu berühren und ohne die waagerechte Stange zu werfen. Sie liegt 30 Zentimeter über dem Erdboden!
Tanz, Nigger, tanz! Im Takt rasender Trommeln, mit vorgeschobenen Knien, zuckend den schweißüberströmten Körper hintüber gebeugt – tanz, Nigger, tanz! – schlangengleich die balancierenden Arme nach hinten gestreckt, in konvulsivischem Zittern, den Hinterkopf fast auf dem Boden – tanztanztanz! – gelingt es kaum einem, unter der Stange hindurchzutanzen. In die Freiheit?
Die Inseln sind heute die Inseln von Schwarzen. Aber welchen Preis mußten sie dafür zahlen, die Neger, die nie an Eroberung dachten. Gewiß, sie versuchen in Sklavenaufständen ihr Schicksal zu ändern. Herrenhäuser und Zuckerrohrfelder brennen. Von tanzenden schwarzen Teufeln werden weiße Männer, Frauen und Kinder buchstäblich in Stücke zerrissen. Aber es ist nur ein Aufzucken. Die Blutströme des Aufruhrs werden in Blutströmen der Unterdrückung erstickt. Von marschierenden weißen Teufeln werden schwarze Männer, Frauen und Kinder buchstäblich zu Hackfleisch bombardiert.
Das 19. Jahrhundert bringt die Abschaffung der Sklaverei. Freiheit: man läßt die Schwarzen laufen. Damit die Entwurzelten nicht ins Ausweglose laufen, gibt man ihnen ärztliche Hilfe, Schulunterricht, immer mehr politische Rechte. Die europäischen Regierungen beginnen, unter der wachsenden finanziellen Belastung zu stöhnen. Die Schwarzen, einst billiges Arbeitsvieh, werden jetzt eine teure Nutzlosigkeit. Zum Teufel mit ihnen!
Immerhin ist die Karibische See nun kein europäisches Schlachtfeld mehr. In Südamerika kämpfen die spanischen Kolonien unter Bolivar um ihre Unabhängigkeit und gewinnen sie. Im Krieg gegen die Vereinigten Staaten verliert Spanien seine letzte »westindische« Besitzung, Kuba.
So bleibt im 20. Jahrhundert von Spaniens einstiger Herrlichkeit nichts, von Frankreichs Ruhm nur ein paar zu »französischen Provinzen« erklärte Inseln, von Englands Seeherrschaft nur der unsichere Versuch, Urenkel afrikanischer Sklaven zu guten Demokraten zu machen.
Unsere Borduhr schlug 8 Glasen: Mitternacht! Das neue Jahr lag vor uns. Wir nahmen uns in die Arme.
Ich sagte nach einer Weile: »Du weißt, daß mein Urgroßvater im nordamerikanischen Bürgerkrieg für die Befreiung der Sklaven kämpfte. Mein Großvater erzählte mir von ihm und sagte dabei: ›Junge, eines Tages steht auch dir die Welt offen!‹ Ich denke jetzt oft daran – weniger an den idealistischen Reitersmann, der seinen Idealismus übrigens mit einem weggeschossenen Unterkiefer bezahlte, als vielmehr an das Wort meines Großvaters. Er wußte, daß man in die Welt hinausgehen und etwas wagen muß. Wir tun es und haben immer noch Angst. Lösen wir uns doch endlich von dieser Angst.«
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Antigua, im Januar 1965 |
Es sind nur 40 Seemeilen von der Marigot Bay auf der englischen Insel St. Lucia nach Fort de France auf der französischen Insel Martinique.
Während des ganzen Tages sahen wir die Vulkankegel von Martinique voraus. Als nachmittags die Sonne niedrig stand, begannen sie zinkgrün zu leuchten. Als abends die Sonne sank, glühten die Wolken über ihren Gipfeln rot auf, die Lavahänge färbten sich stahlblau, ohne jedoch den zinkgrünen Unterton zu verlieren.
Weit im Norden hob sich der Mont Pelée, davor stieß der Doppelkegel der Pitons de Carbet in die blutigen Wolken. 1300 Meter hochgetürmte Lavamassen grüßten zu uns herüber in einem Farbenspiel, das durchaus der schaurigen Vergangenheit dieser Vulkane entsprach. Manchmal gaben die Wolken die Kraterränder frei: es war, als zeige ein Untier im Schlaf die Zähne. Außer daß in ihren Schluchten Schwefeldämpfe quellen, schweigen die Ungeheuer zur Zeit. Das Grün der Vegetation reicht zu ihren Kraterrändern. Am Fuße der Berge konnten wir menschliche Siedlungen erkennen.
Ein Schauer, der über uns entstanden war, verdunkelte Teile des Meeres und des Himmels in Sintfluten. Der Passat frischte heftig auf und änderte die Richtung, so daß wir in die Baie du Fort de France kreuzen mußten.
Wilde Bergformen, wilde Wolkenbildungen, wilder Seegang – »Kairos« segelte schwer geneigt in diese Urwelt hinein, deren einziger Trost die menschlichen Zeichen waren: zur Nacht aufleuchtende Lichter und das Leuchtfeuer des Hafens. Ohne sie hätten wir uns gefürchtet, diese Insel anzulaufen.
Spät in der Nacht fiel unser Anker im Hafen.
Der nächste Morgen kam klar und friedlich. Die Stadt, sonnenweiß am Ufer, sandte Geräuschfetzen ihres lärmenden Lebens zu unserem Ankerplatz unterhalb des alten Forts.
Wir hatten die Flagge »Q« gesetzt – »an Bord ist alles wohl, erbitte freie Verkehrserlaubnis« – doch kein Beamter ließ sich sehen. Wir warteten den halben Vormittag, dann ruderte ich zu der französischen Jacht dicht neben uns. Ich fragte den Skipper, wie es seine Landsleute mit den Hafenformalitäten hielten.
Er lächelte entgegenkommend und sagte: »Oh, monsieur, beunruhigen Sie sich nicht ganz unnötig! Gehen Sie an Land. Irgendwann kommt jemand zu Ihnen. C’est la France!«
Wir beunruhigten uns also nicht unnötig, ruderten an Land und bummelten durch die Straßen. Vom tiefsten Schwarz bis zum leichtesten Gelb zeigten die Menschen alle Hautschattierungen. Sie schienen selbstsicherer und klüger als die tragikomischen Neger, die wir auf den englischen Inseln trafen. Es fehlte ihnen diese zukunftslose und darum unheimliche Clownhaftigkeit. Die Männer waren in ihrem Frohsinn ernsthafter. Die Frauen zeigten etwas wie französischen Chic, den ihr betäubender Parfumduft freilich an die Grenze des Erträglichen brachte.
»Halt mich fest, Liebste!« bat ich Elga.
»Du findest sie chic, nicht wahr?« sagte Elga.
»Du findest mich ohnmächtig, sehr bald«, sagte ich.
Wir gingen zum Platz mit den Bushaltestellen und erkundigten uns nach Rundfahrtmöglichkeiten. »St. Pierre« lasen wir an einem der grün-gelben Fahrzeuge. »Das ist die Stadt«, sagte ich, »die der Mont Pelée vernichtete.«
Vom Städtchen Morne-Rouge hatten wir am nächsten Tage einen umfassenden Blick auf das Mont-Pelée-Massiv. Sein Krater war wolkenverhüllt. Wie erstarrte Gletscher führten die Hänge aus Lava zum Meer. Auch in ihrer erloschenen Bewegungslosigkeit war Drohung. Felder und Anpflanzungen waren angelegt, wo irgend nur die Möglichkeit bestand zu pflanzen und zu ernten. Wie lächerlich betriebsam sind wir Menschen doch – oder ist es heroisch unbeugsam?
Der Bus fuhr zur Küste hinab. Wir stiegen aus – in die Stille einer vernichteten Stadt.
Vor 63 Jahren war nicht Fort de France das Handelszentrum der Insel, es war St. Pierre – eine Stadt, wie sie nur Franzosen gründen können: bunt, lebhaft, heiter, überschäumend. Am 8. Mai 1902 brüllte der Mont Pelée auf. Eine Wolke giftigen, entzündlichen Erdgases wälzte sich über die Stadt. Die Vernichtung kam so schnell, wie sich dieses liest. Eine explosionsartige Feuersbrunst flammte auf. Mehr als 30000 Menschen erstickten und verbrannten. Sechzehn Schiffe auf der Reede sanken. Bis auf den Nordteil lag die Stadt vernichtet.
Für diesen nördlichen Stadtteil brauchte der Berg ein Atemholen. Am 20. Mai fegte er ihn mit einer kochenden Schlammflut hinweg. Dann deckte er Trümmer und Leichen mit einem Stein- und Aschenregen zu.
Man versuchte, die Stadt wieder aufzubauen. Es wurde nicht mehr als ein Fischerdorf daraus, das wie in einer anderen Welt steht.
Zwischen