ein Lied sang.
Wir mußten weiterhin unsere Ruderwachen gehen, da der Wind zu seitlich einkam, um das Setzen der Passatsegel zu gestatten. Aber »Kairos« lief wieder 4 bis 5 Knoten Fahrt. Das gab uns neue Kraft. Kompaßrose und Steuerstrich, von den übermüdeten Augen kaum noch erfaßt, brannten sich ins Gehirn ein.
»Kairos« segelte.
Wir fürchteten, daß unsere Müdigkeit Fehler in der Navigation verursachen könnte, Ablesungsfehler an Sextant und Chronometer, Rechenfehler – immer wieder kontrollierten wir uns gegenseitig.
»Kairos« segelte durch die schnell grob werdende See. Manchmal fiel die Müdigkeit von uns ab. Geschah es gleichzeitig bei beiden, so sprachen wir von der plötzlich nah gerückten Ankunft. Noch 400 Seemeilen bis Barbados! Die große Freude der Erfüllung begann, unsere Seelen zu stärken. Wie schön war es doch, auf einem guten Schiff einem guten Ziel entgegenzufahren; wie schön war es, gemeinsam in aller Einsamkeit den richtigen Weg zu finden; wie schön, täglich der Natur gegenüberzustehen und ihre Gesetze verstehen zu lernen. Und wir sprachen über den Preis, den der Mensch dafür zu zahlen hat. Einsamkeit, Erschöpfung, Müdigkeit und Angst – in der Erfüllung wandelt sich alles zum Guten.
»Kairos« segelte.
»Wenn wir nach unserer Fahrt gefragt werden, wie sie war«, sagte ich am Abend vor unserem Landfall, »so werden wir die Fragen beantworten können – gewiß. Fragen von Seglern, von Reportern, von Navigatoren, von Romantikern –« Ich nahm Elga die Pinne ab, denn meine Wachzeit hatte begonnen. Die Segel über uns standen wie schwarze Flügel vor dem Leuchten im Westhimmel. »Aber werden unsere Antworten etwas Wahres aussagen können, ich meine: über das Ganze? Wir waren doch nur ein Teil. Das Ganze war der Atlantik.«
Wir blickten zurück, wo unser leuchtendes Kielwasser nach kurzem Schäumen spurlos verschwand. Die Nacht hob sich dort über den Horizont. In ihr beschlossen lag der Aufbruch des nächsten Tages – aller Tage, der vergangenen wie der kommenden.
Als ich morgens an Deck kam, um meine Morgendusche zu nehmen, sah ich backbord achteraus drei Tölpel fliegen, die in charakteristischen Sturzflügen Fische fingen. Diese Vögel nisten an Land und fliegen tagsüber zum Fischfang seewärts.
Eine Stunde später sichtete Elga einen Tanker 5 Seemeilen entfernt auf Gegenkurs. Wie gebannt starrten wir zu der Erscheinung hinüber. Außer uns und unseren Dingen an Bord hatten wir ja seit 30 Tagen nichts Menschliches gesehen. Da zog er seinen Kurs, hob sich in den Seen, fiel gischtend in die Wellentäler und war richtig schön anzusehen.
Mittags kam die letzte astronomische Standortbestimmung. Schon am Vortage hatten wir unseren Standort von der Atlantik-Karte, auf der Barbados ein winziger Punkt ist, in die Ansteuerungs-Karte übertragen, die Barbados in allen Einzelheiten zeigt.
»Noch 36 Seemeilen bis zur Nordspitze!«
Elga rief es mir aus der Kajüte vom Kartentisch zu. Ich blickte vom Kompaß auf – eigentlich nur, um meine brennenden Augen zu entspannen. Als sich die Augen an die Ferne des Horizonts gewöhnt hatten und schon wieder zurückkehren mußten zu der flimmernden Enge der Kompaßrose – da sahen sie im Westen einen schmalen, grauen Strich. Er war ganz unbedeutend unter der Fülle hoher Kumuluswolken. Aber er war trotzdem nicht zu verkennen.
Und ich sagte es zu Elga, so wie man von einem Wunder spricht: »Elga, es ist Land voraus.«
Sie kam an Deck und blickte nun auch zu dem schmalen, grauen Strich. Dann ging sie zum Bug und stand dort lange wie angenagelt. Und dann kam sie zurück und weinte und sagte: »Ja, es ist wirklich Land.«
Es ist von unserer Atlantikfahrt nun nicht mehr viel zu berichten. Im Laufe des Nachmittags wurde aus dem grauen Strich eine Insel, auf deren Nordspitze wir zusteuerten. Unsere Navigation war so genau, daß wir den Kurs nicht zu korrigieren brauchten. Das beruhigte uns.
Während die Sonne unterging, konnten wir schon Einzelheiten an Land erkennen. Als wir ins Lee der Insel liefen, blinkten bereits Leuchtfeuer. Durch die Landmasse aufgehalten, verlor der Passat an Kraft, wehte schließlich gar nicht mehr. Der Seegang ließ nach. Stille umgab uns.
»Riechst du die Blumen?« fragte Elga aufgeregt.
Wir drehten »Kairos« bei und legten uns schlafen, nachdem wir uns überzeugt hatten, daß er leewärts abtrieb. Denn das Einlaufen in die Carlisle Bay vor Bridgetown wollten wir am Tage erleben. Wir wollten das neue Land sehen und es sollte uns sehen: mit allen Flaggen gesetzt! Ein Fest sollte uns das werden, ein Finale unter flatternden Farben und mit rasselnder Ankerkette als Schlußakkord.
So geschah es dann am Sonntag, dem zweiten Advent. Der Anker fiel. Die Kette lief aus und warf vertrocknete Krumen kanarischen Sandes aufs Deck. Wir stießen sie lachend über die Reling, wo sie ins glasklare Wasser fielen und langsam zu Boden sanken.
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Bequia, Weihnacht 1964 |
Wir ankern in der Admiralty Bay vor Port Elizabeth an der Leeseite der Insel Bequia. Namen sind Schall und Rauch. In dieser Admiralitätsbucht haben in vergangenen Jahrhunderten gewiß mehr Piraten als Admiräle geankert. Und Port Elizabeth besteht aus einer Handvoll Negerhütten um eine steinerne Kirche.
Es ist heiß. Wir haben unser Sonnenpersennig aufgetakelt, das vermittels starker Holzlatten vom Mast bis zum Heck und über die ganze Breite des Schiffes gespannt werden kann.
Die Bucht liegt vollkommen windlos, still wie ein See. Die Berghöhen mit ihren Spiegelungen auf der teilweise silbrig geriffelten Wasserfläche, die Fächerlinien der Palmen, das Weiß des Strandes, die Negerhütten mit blau aufsteigendem Rauch, die Insel-Schooner und eine amerikanische Ketsch vor Anker: es ist ein Bild, wie es noch nicht gemalt wurde.
Der Frieden der eleganten Palmenkronen am nahen Ufer wird in einer plötzlichen Regenbö zum Flirren fechtenden Widerstandes. »Kairos« reißt an der Ankerkette. Hastige, weißblasige Wellen springen über das Wasser. Niederströmender Regen löscht alle Bilder aus.
Als er abzieht, glänzt die Bucht für Minuten in Silbergrau. Dann bricht die Sonne hervor und verklärt Wasser, Ufer, Berge zu neuer Schönheit.
Wir sitzen und schauen. Diese Inseln mit ihren Buchten strahlen eine unerhörte Betäubung aus. Ihre Schönheit wirkt wie ein Rauschgift. Mit diesem Wissen muß man sich wappnen, will man sich ihrer Schönheit hingeben. Mehr als nur eine Weltumsegelung fand hier ihr vorzeitiges Ende.
»Jacht läuft ein!« sagt Elga.
Ich schrecke auf aus meinen Träumen. »Es ist Peter mit seiner ›Kinya‹.«
Peter Sch., Segler und Exportkaufmann, unser bester Freund, ließ sich nach einer Segelreise von Hamburg nach Südamerika auf Barbados nieder. Er baute sich dort eine Existenz auf und verwirklichte dabei den Traum seines Lebens: zwischen diesen Tropeninseln kann er Geschäftsreisen mit seiner Jacht machen.
Zehn Meter neben uns geht die »Kinya« vor Anker. Nachdem Peter das Deck aufgeklart hat, kommt er mit dem Dinghi zu uns herübergerudert.
»Frohe Weihnachten!« sagt er. »Laßt uns gleich baden, mir ist heiß.« Wir tun es und –
So sind diese Inseln. Ihre zauberhafte Gegenwart löscht Vergangenheit und Zukunft aus. Ich wollte über den Fortgang unserer Reise erzählen, sitze aber nun hier und träume und bade.
Wir blieben 14 Tage auf Barbados und lebten recht komfortabel, größtenteils in Peters Bungalow. Unser Freund kam am Nachmittag unseres Ankunfttages in die Carlisle Bay gesegelt, ging genauso wie eben jetzt zu Anker und brachte uns unsere Post, außerdem einen Karton mit frischem Brot und Obst, Butter in einer kleinen Eisbox: ein Segler weiß, was Seglern nach langer Fahrt fehlt. Die Begrüßung war stürmisch, wir hatten uns zwei Jahre lang nicht gesehen.
»Paßt auf, Leute«, sagte Peter. »Ich weiß nicht, wie eure Pläne sind. Ich wohne nördlich von Bridgetown in einem Bungalow am Strand. Wie wär’s, wenn ihr dort neben ›Kinya‹ auf