Hannes Lindemann

Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln


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endlose Seegeschichten erzählen.«

      »Ja. Und Weihnachten feiern wir gemeinsam auf Bequia!«

      Am nächsten Tage verholten wir »Kairos« zum Ankerplatz vor Peters Bungalow. Damit begann für uns ein Amphibienleben. Mit dem Schlauchboot pendelten wir zwischen Schiff und Bungalow hin und her. Elga konnte an Land Wäsche waschen, während ich mit den Instandhaltungsarbeiten an Bord begann.

      Wir hatten plötzlich einen Eisschrank, eine Terrasse, einen Vorgarten mit schneeweißem Sand zum Wasser hin, einen palmenumrahmten Blick übers Meer – und abends unseren Freund, der das alles so großzügig zur Verfügung stellte. Da oft Seegang um die Nordspitze der Insel herumlief, der »Kinya« und »Kairos« auf der Reede schwer rollen ließ, blieben wir auch nachts an Land und schliefen im Wohnraum des Bungalows.

      Wir fuhren mit Peter über die Insel. Wir sahen, was Zuckerrohr ist. Grün wie Gras, hoch wie zwei Männer, dicht wie Schilf wächst der Reichtum in ausgedehnten Feldern. Auf den Straßen zwischen den Feldern fuhren wir wie durch Schneisen: undurchdringliche Rohrmauern zu beiden Seiten.

      Die Negerhütten der Dörfer schienen alle direkt aus »Onkel Toms Hütte« zu stammen. Vier Lattenwände sind durchaus nicht immer gleichmäßig zusammengenagelt worden mit je einer Fensteröffnung ohne Glas und einer Tür an der Vorderseite. Darauf ist ein Wellblechdach gesetzt. Braucht man mehr, um glücklich zu sein?

      Im Hause leben Großeltern, Eltern, fünf, neun Kinder – es kommt wirklich nicht auf ein paar mehr oder weniger an. Alle sind froh und heiter. Da mit Petroleum gekocht und vielfach auch beleuchtet wird, geschieht es häufig, daß so ein Holzhaus Feuer fängt. Brennt es ab – wie herrlich, diese Abwechslung! – so zieht die Familie mit Kind und Kegel zu Verwandten. Brennt es nicht ab, löscht die wohlgeübte Feuerwehr, so ist es auch gut – haha! Man zieht mit Kind und Kegel wieder ein.

      Die Neger hier lieben die Arbeit nicht, aber am Sonntag wird gefaulenzt. Vor der Haustür, unter einer Palme, unter den Goldbuchstaben eines Denkmals aus der Kolonialzeit, auf einer alten Seeräuberkanone saßen, lagen, hockten, kauerten sie, die Nachfahren schwer arbeitender Sklavengenerationen. Sie schliefen, träumten oder unterhielten sich, wobei sie die entspannte Körperlage hin und wieder fachmännisch wechselten. Zum Abend rafften sie sich auf und holten ihre Musikinstrumente.

      »Wovon leben sie?« fragte Elga.

      »Sie arbeiten in der Stadt«, sagte Peter, »als Schauerleute, Taxifahrer, Ladengehilfen, Omnibusschaffner, Boten – ach, so alles mögliche. Auf dem Lande arbeiten sie als Plantagenarbeiter. Sie arbeiten, wenn sie Lust haben oder Geld brauchen. Lust haben sie nie, Geld brauchen sie immer.«

      »So ging’s mir auch«, sagte ich mit Nachdruck.

      »Man kann sich nicht auf sie verlassen«, sagte Peter.

      »In welcher Hinsicht?«

      »Sie denken anders als wir. Also – ein schwarzer Lagerhalter ist angewiesen, Meldung zu machen, wenn ein Artikel ein bestimmtes Minimum erreicht hat. Es geschieht, daß der Lagerbestand dann doch plötzlich geräumt ist. Zur Rede gestellt, sagt unser großer, schwarzer Lagermeister: ›O mistarr, das ist schrrecklich, ich weiß. Aberr gesterrn warr noch viel zu viel da!« Es handelt sich um einen Artikel, der seit Jahren einen völlig gleichmäßigen Abgang hat.«

      »Die Regierung ist schwarz?« fragte ich. »Wie geht denn das Regieren?«

      Peter bremste das Auto scharf, weil eine hoffnungsfrohe Negermammy in schneeweißem Kleid und unter einem Federhut riesigen Ausmaßes mit drei schokoladenfarbigen Kleinkindern gravitätisch über die Straße zur Kirche schritt.

      Dann sagte er: »Regierungs- und Verwaltungsleute werden in England ausgebildet. Manchmal kommt bei ihrem Regieren und Verwalten etwas heraus, als ob sie zuviel gelernt haben – manchmal, als ob sie alles vergessen haben.«

      Weitere Kirchgänger kamen uns entgegen. Die meisten Frauen und Mädchen waren sonntäglich weiß gekleidet. Alle trugen Hut, Schirm, Handtasche und Stöckelschuhe. Dicke Mammies freilich gingen barfuß, trugen aber die viel zu kleinen Schuhe in der Hand. Und alle hatten sorgfältig gesträhntes Haar.

      Glattes Haar, wie es weiße Frauen haben, das ist der höchste Wunsch jeder schwarzen Eva. Wenn’s mit Gewalt und Pomade nicht geht – und es geht meist nicht – muß ein Zopf gemacht werden. Und ist das Krusselhaar nicht mit einem Zopf zu bändigen, dann tun es eben mehrere.

      »Sieh, sieh bloß!« rief Elga. »Die hat fünf – nein, sieben Zöpfe!« Sie fiel ins Rückenpolster zurück. »Und alle mit kleinen roten Schleifen.«

      Was bei den Frauen die Frisur, war bei den Männern der Hut. Es gab keine Farbe und keine Form, die nicht getragen wurde. Der Vielfalt war nichts hinzuzufügen und auch nicht dem Stolz, mit dem diese Hüte getragen wurden.

      »Sie sind großartig«, sagte ich. »Ich mag sie!«

      »Die Hüte?« fragte Elga und schnappte nach Luft.

      »Nein, nein. Die Schwarzen, die Neger. In dieser Schicksalsstunde beginne ich eine tiefe Zuneigung zu farbigen Menschen zu fassen – jawohl!«

      Peter seufzte. »Du hast noch nie mit ihnen arbeiten müssen.«

      Meine neue Völkerliebe war zu allem bereit. »Na, und?« fragte ich aggressiv. »Ich habe ihre Frisuren und Hüte gesehen. Was ist das schon: mit ihnen arbeiten – mit ihnen lustig sein will ich!«

      »Das kannst du haben«, sagte Peter.

      »Ich nehme dich beim Wort, Seemann. Wann?«

      »Heute abend.«

      Wir fuhren durch Zuckerrohrfelder zur Ostküste, wo der Atlantik in riesenhafter Brandung zu stäubender Gischt verdampfte.

      Elga starrte ängstlich-fasziniert auf die donnernde See. »Da zu stranden – na, ich danke.«

      »Für die Besatzung ein böses Ende, ja«, antwortete Peter. »Gewinn freilich für den, der das Strandgut birgt.«

      Wir sahen ihn fragend an.

      »Es ist ein Märchen«, erklärte Peter, »ein karibisches Märchen – grausam, piratenhaft, gewinnbringend. – Laßt uns hier picknicken.«

      Auf einer Hangwiese verzehrten wir das von Elga vorbereitete Essen. Peter erzählte: »Vor zweihundert Jahren lebte ein Mann namens Sam Lord hier auf der Insel. Er ließ sich ein festungsähnliches Haus an der Südspitze bauen, direkt am Strande hinter dem Cobbler Reef. Er gewann seinen sagenhaften Reichtum dadurch – also, er hatte auch Zuckerrohrplantagen, die großen Gewinn abwarfen. Aber nebenher pflegte er Schiffe mit falschen Feuern aufs Cobbler Reef zu lenken. – Noch heute heißt das Haus Sam Lords Castle. Ein Amerikaner hat es kürzlich gekauft und natürlich ein Luxushotel daraus gemacht.«

      Die Südspitze der Insel schob sich flach ins Wasser. Viereckig festungsgleich steht auf ihr ein Haus, in grauen Steinquadern erbaut. Von der Gartenmauer am Strand sahen wir das Riff. Es lag etwa eine Seemeile vor der Küste. Die See tobte über ihm.

      Sam Lord vor zweihundert Jahren brauchte nichts weiter zu tun, als hier an Land einige Lichter wie Ankerlaternen von Schiffen aufzuhängen. Bei den groben Navigationsmethoden seiner Zeit genügte das, um das Opfer zumindest unsicher zu machen.

      »Mann, merkwürdige Lichter. Gefallen mir nicht«, mag der Kapitän eines zur Carlisle Bay bestimmten Schiffes gesagt haben.

      »Es müssen Ankerlichter sein, Sir«, antwortet der Maat. »Die Schiffe liegen ruhig. Das ist bereits im Lee der Insel.«

      Die beiden Männer starren in die Nacht.

      »Lassen Sie die Bramsegel wegnehmen und schicken Sie einen Mann nach vorn zum Loten«, ordnet der Kapitän an. »Ausguck in den Vortopp! Ja, es scheint der Ankerplatz zu sein.«

      Die Segel werden festgemacht. Von vorne klingen bald die ausgesungenen Lotmessungen. Aber das Riff springt steil zur Oberfläche.

      »Brecher« brüllt der Ausguck im Vortopp plötzlich. »Brecher voraus!«

      »Abfallen,