Vogel grummelte zufrieden, bevor er sich an seinen Schlafplatz verzog.
„Anscheinend hast du dich nicht den ganzen Tag mit Thorgil gestritten“, bemerkte der Barde.
„Das war wahrscheinlich das Letzte, was sie mir beigebracht hat, für immer und ewig“, seufzte Jack.
„Zähl deine Drachen nicht, bevor sie geschlüpft sind. Vielleicht ist sie gar nicht so wütend auf dich, wie du glaubst.“ Der Barde holte eine Flöte aus Metall aus einer seiner Truhen. Jack kannte Flöten, die aus Holz geschnitzt waren, aber diese hier sah wesentlich kunstvoller aus.
„Die sieht aus wie der Klöppel von Bruder Aidens Glocke“, stellte er überrascht fest. Die gleichen Flossen und Schuppen zierten die Seiten, und die gleichen runden Augen starrten über einem breiten Fischmaul in die Welt.
„Ah! Dann hast du sie dir also angesehen“, sagte der Barde. „Ich nehme an, dass Aiden dir gesagt hat, es wäre ein Symbol seiner Kirche. Nun, da irrt er sich. Es ist der Lachs, der die Hälfte des Jahres bei den Inseln der Seligen verbringt und im Herbst in die Gewässer seiner Jugend zurückkehrt. Manche nennen ihn den Lachs der Erkenntnis, weil er die Pfade zwischen dieser Welt und der nächsten kennt.“
„Bruder Aiden hat gesagt, dass die Glocke Heitere Wehklage heißt. Wenn die Leute sie hören, werden sie an den Himmel erinnert“, berichtete Jack.
„Sie zeigt den Menschen, was jenseits der untergehenden Sonne liegt. Nenn es Himmel, wenn du willst.“ Der Barde polierte die Flöte mit dem Saum seiner Robe. „Die Glocke hieß schon Heitere Wehklage, lange bevor ein Mönch seinen Fuß auf irischen Boden setzte. Sie wurde für Amergin gemacht, den Begründer meines Ordens. Im Laufe der Zeit kam sie dann in die Hände des heiligen Kolumban, der in jenem Jahr übrigens der Klassenbeste war.“
„Der heilige Kolumban war ein Barde?“, fragte Jack.
„Einer der besten. Er war es, der meine Schule ins Tal der Lieder verlegt hat, um sie vor den Christen zu schützen. Er selbst wurde auch Christ, doch er vergaß nie, was er gelernt hatte. Er konnte Wind herbeirufen und Sturm vertreiben, Wasser aus der Erde locken und mit Tieren sprechen. Als er alt war, kam ein weißes Pferd auf ihn zu und legte den Kopf an seine Brust. Da wusste er, dass der Wind nach Westen wehte und es an der Zeit war zu gehen. Es heißt, dass der heilige Steuermann Brendan ihn auf die Inseln der Seligen gebracht hat.“
Einen Moment lang wusste Jack nicht, was er sagen sollte. Die Vorstellung, wie das Pferd dem alten Barden die letzte Ehre erwies, rührte ihn irgendwie. Vor seinem inneren Auge sah er das Boot, mit dem Kolumban fortgebracht wurde. Es musste ein bescheidenes Boot gewesen sein, wie es sich für einen christlichen Heiligen gehörte, aber sein Platz im Meer war ihm sicher.
„Ich dachte immer … Heilige kämen in den Himmel“, sagte er schließlich.
„Vielleicht tun sie das. Aber die Inseln sind eine Zwischenstation für alle, die ihre Angelegenheiten in dieser Welt noch nicht geregelt haben. Die alten Götter leben dort, aber auch die großen Helden und Heldinnen. Amergin ist dort, es sei denn, er hat sich für eine Wiedergeburt entschieden. Aber es wird spät, und wir haben noch Arbeit zu erledigen.“
Sie gingen nach draußen. „Lass deinen Geist mit dem Wind treiben“, wies der alte Mann Jack an. „Spüre die Lebewesen der Lüfte.“
Der Junge hatte oft den Flug der Vögel verfolgt, das stetige Schlagen ihrer Flügel gespürt. Er hatte sie nur zum Spaß Wendungen und Sturzflüge machen lassen. Er hätte auch eine fette Ente in den Tod stürzen lassen können, obwohl das natürlich streng verboten war. Und jetzt suchte er wiederum den Himmel nach etwas ab, das dort flog. Sehr hoch oben entdeckte er einen Schwarm Gänse. Weiter unten segelte eine Eule auf der Suche nach Mäusen mit dem Wind. Und noch tiefer –
Jack hörte einen feinen, piependen Ton und seine Aufmerksamkeit ließ so weit nach, dass er mitbekam, wie der Barde auf seiner Flöte spielte.
Iiii iii iii, machte die Flöte. Ein schlichter Ton, aber dennoch nicht eintönig. Er hatte Schicht um Schicht eine tiefere Bedeutung, ähnlich einem von Blättern übersäten Teich, bei dem man zuerst auch nur die Oberfläche sieht und bei genauerem Hinschauen die Tiefe. Iiii iii iii machte die Luft an hundert Stellen gleichzeitig.
Und plötzlich wirbelten Unmengen von Fledermäusen um den alten Mann herum. Der Barde spielte auf seiner Flöte, und die Fledermäuse antworteten. Jack konnte Unterschiede in Lautstärke und Eindringlichkeit der Schreie heraushören, aber er hatte keine Ahnung, was sie bedeuteten.
Der Barde setzte die Flöte ab. Mit einem trockenen Rascheln verzogen sich die Fledermäuse, und einen Moment später waren sie verschwunden. „Sie machen sich auf die Suche nach Thorgil“, erklärte der Barde. „Ich werde die Tür einen Spaltbreit offen lassen für den Fall, dass eine von ihnen zurückkommt.“
„Ist die Flöte dafür? Um Fledermäuse zu rufen?“, wisperte Jack. Er hätte nicht sagen können, wieso er die Frage flüsterte.
„Man kann viele Dinge mit ihr herbeirufen, und es sind ein paar dabei, die du bestimmt nicht sehen willst. Auf dem Weg nach Bebbas Town werde ich dir zeigen, was sie noch kann.“ Mehr sagte der alte Mann nicht. Jack war trotzdem begeistert. Er würde einen neuen Zauber lernen. Er hatte bereits ein wenig Vogelsprache gelernt und den Schlafzauber. Das Leben war schön.
Jack machte sein Bett am anderen Ende des Hauses. Er hatte keine Lust, die Nacht neben einer offenen Tür zu verbringen, durch die Fledermäuse hereinkamen – ganz zu schweigen von dem Ungeheuer, das im Haselwald herumgeisterte. Er behielt sein Messer in Reichweite und den Blick auf einen dicken Knüppel gerichtet, der im Feuer glimmte, nur für alle Fälle.
Der Barde schlief wie ein Murmeltier und wachte erfrischt auf, als es Jack gerade erst gelungen war, die Augen zu schließen.
Die Meerjungfrau
Es war Bruder Aiden, der Jack etwas später weckte. Der kleine Mönch trat gegen die Tür, weil er mit beiden Händen die Glocke festhielt. „Da ist ein Ungeheuer“, schnaufte er und setzte die Glocke auf dem Boden ab. „Etwas hat den Kampfhahn von John dem Böttcher getötet und all seine Hühner. Und der Älteste hat ein totes Lamm vor seiner Haustür gefunden.“
„Setzt Euch und kommt zu Atem“, befahl der Barde. „Jack, hol unserem Gast etwas Most.“
Jack setzte sich auf und schüttelte sich das Stroh aus den Haaren. Er griff nach dem Schlauch mit dem Most und schenkte einen Becher voll.
Der Mönch stürzte den Most hinunter und hielt Jack den Becher zum Nachschenken hin. „Ich bin so verschwitzt, ich könnte darin baden. Jack hatte recht damit, dass sich irgendein Wesen von der Heiteren Weklage angezogen fühlt. Es hat im Dorf danach gesucht.“
„Vielleicht war der Angriff ein Zufall. Auch ein Bär oder ein anderes wildes Tier könnte die Tiere getötet haben“, gab der Barde zu bedenken.
„Ein Bär tötet, um zu fressen. Aber diese Bestie hat die Tiere in Fetzen gerissen und liegen gelassen. Ich danke Gott, dass sie kein Kind erwischt hat.“ Bruder Aiden setzte den Becher ab. „Der Älteste hat befohlen, dass die Frauen und Kinder in den Häusern bleiben, und John der Böttcher hat einen Suchtrupp aufgestellt.“
„Die werden nichts finden“, bemerkte der Barde ruhig. Er und der Mönch tauschten einen bedeutungsvollen Blick.
„Thorgil!“, rief Jack plötzlich. „Sie war die ganze Nacht draußen!“
„Es geht ihr gut“, versicherte ihm der Barde. „Eine Krähe hat heute Morgen beobachtet, wie sie am Strand saß.“
„Ich werde nach ihr sehen.“
„Sie wird kommen, wenn sie so weit ist“, widersprach der Barde energisch. „Und nun, Aiden, lasst uns über diese Bestie sprechen.“
Jack war hin- und hergerissen. Natürlich wollte er alles über die Bestie hören, aber er machte sich auch Sorgen um Thorgil. Sie fror bestimmt und hatte Hunger. Mit ihrer gelähmten Hand konnte sie nicht