WIR LÖSEN PROBLEME DES 21. JAHRHUNDERTS MIT DEM DENKEN DES 19. JAHRHUNDERTS
In ähnlicher Weise gibt es auch heute eine Informationskampagne, die die öffentliche Meinung beeinflussen soll, wenn es um uns und die Geschichte unseres Ursprungs geht. Die Theorie der menschlichen Evolution aus dem 19. Jahrhundert wird in heutigen Klassenzimmern als unbestrittenes Faktum gelehrt, wobei man anderen möglichen Erklärungen für das Geheimnis unserer Existenz keinen Raum lässt. Und da die vorherrschende Geschichte jüngste Erkenntnisse nicht mit einbezieht, bereitet sie uns nicht auf die umwälzenden gesellschaftlichen Streitfragen und globalen Herausforderungen vor, mit denen wir derzeit konfrontiert sind, einschließlich aller Probleme von Terrorismus, Tyrannei und Hassverbrechen bis hin zum epidemischen Missbrauch von Drogen und Alkohol unter jungen Menschen.
Da wir so viel auf die Evolutionstheorie gesetzt haben, nehmen wir sie als Richtschnur für unsere Entscheidungen, und folglich ziehen wir Wettstreit und Gewalt gegenüber Zusammenarbeit und Mitgefühl vor. Unter anderem beharren wir darauf, Probleme, die mit unserer rassischen, religiösen und sexuellen Verschiedenheit zusammenhängen, mit Hilfe des obsoleten Konkurrenzdenkens und der Vorstellung vom »Überleben des Stärksten« lösen zu wollen – beide sind Schlüsselkonzepte der Evolutionslehre. Wenn wir darüber nachdenken, ergibt es keinen Sinn, dennoch halten das vorherrschende Erziehungssystem und die Pädagogen aus Gründen von Gewohnheit, Geld, Macht und Ego an einer veralteten Geschichte vom Ursprung des Menschen fest, die inzwischen längst widerlegt ist. Sowohl die Tabakgeschichte als auch die Geschichte vom Ursprung des Menschen verdeutlichen auf perfekte Weise, warum es wichtig ist, unsere Geschichten zu korrigieren – und was passieren kann, wenn wir dies nicht tun.
ÄNDERE DIE GESCHICHTE, UND DU ÄNDERST DEIN LEBEN
Wenn es um die menschliche Familie geht, sind die gemeinsamen Geschichten unserer Erfolge, die Erinnerungen an unsere Tragödien und die inspirierenden Beispiele unseres Heldentums die Fäden, die uns verbinden. Unsere Beziehung ist kraftvoll, wesentlich und notwendig. Ob es sich um die großen Themen von Politik oder Religion handelt oder um Waffenlieferungen an »Freiheitskämpfer« in weit entfernte, vom Krieg zerrissene Länder, oder um intime persönliche Fragen wie das Recht eines homosexuellen Mannes zu heiraten oder die Verfügungsgewalt einer Frau über ihren eigenen Körper – die moderne Technologie erlaubt es uns, die Geschichten, die unsere Entscheidungen rechtfertigen, und die Zukunft, die wir schaffen wollen, mitzuteilen.
Der britische Erzähler Terence David John Pratchett, seinen Fans als Terry Pratchett bekannt, beschrieb die gewaltige Kraft unserer Geschichten sehr schön, als er sagte: »Ändere die Geschichte, und du änderst die Welt.«12 Ich denke, es liegt viel Wahrheit in dieser Aussage. Unser Leben ist eine Reflexion dessen, was wir über uns selbst und den Gang der Welt glauben. Pratchetts Beobachtung ist so universell, dass wir sie auch auf einer anderen Stufe anwenden können.
Im selben Atemzug, in dem wir sagen »Ändere die Geschichte, und du änderst die Welt«, können wir uns auf eine höhere Stufe begeben und sagen: »Ändern wir die Geschichte, so ändern wir unser Leben.« Beide Behauptungen sind wahr. Und beide ermöglichen es uns, selbst in den dunkelsten Augenblicken unseres Lebens auf kraftvolle Art und Weise zu denken.
Leitsatz 6Wenn wir die Geschichte verändern, verändern wir unser Leben.
Das wissenschaftliche Narrativ von der Leere des Kosmos und unserer unbedeutenden Stellung in ihm ist ein hervorragendes Beispiel für den starken Einfluss, den eine Geschichte auf uns haben kann. Sie veranschaulicht auch das Prinzip, dass wir beginnen, eine Geschichte für wahr zu halten, wenn wir sie nur oft genug erzählen.
DIE ALTE GESCHICHTE: KLEIN, MACHTLOS UND UNBEDEUTEND
Während der letzten anderthalb Jahrhunderte waren wir in eine kosmische Geschichte versunken, die uns mit dem Gefühl allein ließ, wir wären wenig mehr als Staubkörner im Universum oder eine biologische Randerscheinung im umfassenden Programm des Lebens. Carl Sagan beschrieb dieses Denkmuster ausgezeichnet, als er die wissenschaftliche Auffassung bezüglich unserer Stellung im Kosmos kommentierte: »Wir meinen auf einem unbedeutenden Planeten eines langweiligen Sterns zu leben, verloren in einer Galaxis, die in einer vergessenen Ecke eines Universums versteckt ist, in dem es weit mehr Galaxien als Menschen gibt.«13
Diese Art von Engstirnigkeit, wie sie von der wissenschaftlichen Gemeinschaft gefördert wird, hat uns zu dem Glauben geführt, wir wären mit Blick auf das Leben im Allgemeinen vollkommen unbedeutend und folglich von der Welt, voneinander und schließlich auch von uns selbst getrennt.
Sogar Albert Einstein verlieh dieser Auffassung von unserer Bedeutungslosigkeit Ausdruck, als er beim Aufkommen der Quantenmechanik über den Wahrheitsgehalt der Beweise dafür nachdachte, dass alles auf tiefster Ebene miteinander verbunden ist. Einstein konnte die Tatsache dieser Verbundenheit nicht akzeptieren. Er ließ keinen Zweifel an der Bedeutung, die er den neuen Ideen der Quantenmechanik für die Wissenschaft beimaß: »Wenn die Quantentheorie recht hat, bedeutet sie das Ende der Physik als Wissenschaft.«14 Seine Überzeugungen erlaubten ihm nicht, die Möglichkeit anzuerkennen, dass wir in einer Welt leben, in der alles und jeder so innig verbunden ist.
Einer der Gründe für Einsteins Widerstand gegen die Ideen der neuen Physik lag darin, dass ein Leben in einer Welt von Quantenbeziehungen unsere Fähigkeit impliziert, alles, was in unserem Leben geschieht, zu beeinflussen, sodass wir mit unserer Verantwortung für die Folgen unseres Tuns konfrontiert werden. Letztlich war es Einsteins feste Überzeugung, in einer Welt zu leben, in der die Dinge nicht miteinander verbunden sind, die ihn von der Erfüllung seines Lebenstraums abhielt. Er glaubte leidenschaftlich daran, dass ihn seine Forschung eines Tages zur Entdeckung einer wissenschaftlichen Wahrheit führen würde, durch die alle Naturgesetze verbunden wären, einer »Theorie von allem«. Leider starb Einstein 1955, ohne seinen trügerischen Traum erfüllt zu sehen.
Angesichts der von Einstein und Sagan hinterlassenen Vorstellungen von der menschlichen Bedeutungslosigkeit und Getrenntheit überrascht es nicht, dass wir uns oft hilflos fühlen, wenn in unserem Körper und in unserem Leben etwas geschieht. In einer Welt der Unverbundenheit wird uns beigebracht, dass Dinge einfach so geschehen, wann und wie auch immer. Ist es da ein Wunder, dass wir uns oft ohnmächtig fühlen, wenn wir sehen, wie schnell sich die Welt verändert – dermaßen schnell, dass viele Menschen sagen, sie »gerät aus den Fugen?«.
Charles Darwins Entwurf zur menschlichen Evolution aus der Mitte des 19. Jahrhunderts bildete die Grundlage für die späteren, im frühen 20. Jahrhundert formulierten wissenschaftlichen Schlussfolgerungen hinsichtlich unserer Bedeutungslosigkeit. Die Evolutionslehre beruhte auf der Prämisse, dass wir das jüngste Ergebnis einer Folge zufälliger Ereignisse seien, die niemals beobachtet, bewiesen oder reproduziert werden konnten; und nach dieser Theorie verdanken wir die Tatsache, dass wir immer noch existieren, dem »Überleben des Stärksten«. Diese Theorie, dass wir unsere derzeitige Entwicklungsstufe durch Kampf erreicht haben, impliziert, dass wir hoffnungslos einem Leben von Wettstreit und Konflikt verhaftet sind. Auf kultureller Ebene ist diese Idee in einem solchen Maße akzeptiert, dass viele Menschen glauben, Gewalt wäre das beste Mittel, um etwas am Arbeitsplatz und in der Gemeinschaft der Nationen zu erreichen.
Bewusst und zeitweise auch auf unbewusster Ebene spielt dieser Glauben an Kampf und Streit an jedem Tag unseres Lebens eine Rolle. Und häufig geschieht dies auf überraschende, unerwartete Weise. Wenn wir beispielsweise das Gefühl haben, dass jemand, der uns in intimster Hinsicht ausgezeichnet kennt, unseren »wunden Punkt« getroffen hat, kann selbst der spirituellste Mensch, weil er sich in diesem Moment schützen will, um sich schlagen und ausfallend werden. Der Grund dafür liegt auf der Hand.
Vom Augenblick unserer Geburt an – und auch schon davor, wenn wir uns noch im Mutterleib befinden – lernen wir, die Welt anhand der Gedanken und Gefühle unserer Betreuer zu verstehen und zu bewältigen. Dem Tonfall der mütterlichen Stimme entnehmen wir beispielsweise, wann die Welt sicher ist und wann nicht. Ebenso lernen wir, die Substanzen, die bei Stress und Glück unseren Körper durchfluten, mit den Stimmen, Geräuschen und Erfahrungen zu verknüpfen,