Katia Iacono

Dolmetschen im Medizintourismus


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guides definierten Empfehlungen zur Strukturierung des Gesprächsinhalts und Gesprächsablaufs. ÄrztInnen sollen der Kommunikation mit ihren PatientInnen auf der Basis der folgenden fünf Phasen Struktur verleihen, um eine Beziehung zu den PatientInnen aufzubauen:

       Gesprächsinitialisierung

       Informationsakquise

       körperliche Untersuchung

       Befunderklärung und Planung

       Gesprächsabschluss

      Im Zentrum der Kommunikation sollen immer die PatientInnen stehen, was nur durch ein angemessenes Kommunikationsverhalten der ÄrztInnen, das die PatientInnen involviert, gelingen kann. Je nach Phase variieren das kommunikative Verhalten und die Fragetechnik der ÄrztInnen (vgl. Bechmann 2014: 182ff., Klüber 2015, Spranz-Fogasy/Becker 2015: 101). Dabei bilden Fragen während der gesamten ÄrztInnen-PatientInnen-Kommunikation, insbesondere bei der Informationsgewinnung, das Hauptinstrument von ÄrztInnen, um zu gesundheitsrelevanten Informationen zu gelangen. In der Sprachwissenschaft finden sich verschiedene Klassifikationen von Fragen. Spranz-Fogasy und Becker (2015: 100ff.) unterscheiden zum Beispiel zwischen geschlossenen und offenen Fragen. Geschlossene Fragen ermöglichen nur Ja/Nein-Antworten und höchstens das Hinzufügen einer Begründung. Offene Fragen bieten hingegen den PatientInnen die Möglichkeit, ihr Wissen einzubringen und sich aktiv am Gespräch zu beteiligen. Sie können in syntaktische Fragen, die mit einem Verb an erster Stelle beginnen, Deklarativsatzfragen, die eine Präsupposition der ÄrztInnen beinhalten, sowie W-Fragen und Präzisierungs- oder Komplettierungsfragen unterteilt werden (vgl. Spranz-Fogasy/Becker 2015: 101). Präzisierungsfragen nehmen die Aussagen der PatientInnen in der Frage wieder auf, um zusätzliche Informationen zu erhalten und somit das Gesagte zu präzisieren. Bei Komplettierungsfragen verwenden die ÄrztInnen für die Fragestellung die im Gespräch gewonnenen Informationen und das eigene Fachwissen, um zu überprüfen, ob sie die Situation und den Beschwerdesachverhalt verstanden haben. Die effiziente Fragenformulierung vonseiten der ÄrztInnen ist entscheidend für den Erfolg der medizinischen Kommunikation sowie ihre Fähigkeit, eine partizipative Beziehung aufzubauen und aktiv und empathisch zuzuhören (vgl. Hale 2007: 37). Die erste Phase des medizinischen Gesprächs, die Gesprächsinitialisierung, dient dem Aufbau der Beziehung zwischen den AkteurInnen: Dabei werden erste Informationen zu den PatientInnen gesammelt und die institutionellen Rollen für die gesamte Interaktion definiert. Die ÄrztInnen stellen offene Fragen, unter anderem zum Grund für die Konsultation, und zeigen sich durch aktives Zuhören interessiert (vgl. Bechmann 2014: 199). In dieser Phase werden auch etwaige Familienmitglieder, die am Gespräch teilnehmen, involviert (Angelelli 2019: 52). Die zweite Phase ist die Informationsakquise, in der die biomedizinischen Daten, die PatientInnenperspektive und die Hintergrundinformationen erhoben werden. Dabei sollen das Problem und der Bedarf erkannt und die Gesamtsituation analysiert werden, wofür abermals die Technik des aktiven Zuhörens angewendet wird: Die ÄrztInnen konzentrieren sich ganz auf den Redebeitrag der PatientInnen und stellen zuerst offene Fragen, um Symptome und Erwartungen zu erheben, bevor sie zu geschlossenen Fragen übergehen, um „faktisch-objektive Hintergrundinformationen“ (Bechmann 2014: 200) zu erhalten und die Problematik einzugrenzen. „Der Arzt arbeitet in seinen Fragen an den Patienten einen mental gegebenen, aus Ausbildung und Erfahrung gespeisten Symptomkatalog ab und greift jeweils nur bestimmte Anteile der Patientenantworten auf“ (Bührig/Meyer 2009: 192). In dieser Phase werden darüber hinaus zahlreiche non- sowie paraverbale Kommunikationsmittel verwendet. Im Alltag werden PatientInnen in medizinischen Gesprächen allerdings relativ bald unterbrochen. Studien (vgl. u.a. Bechmann 2014: 148, Lahmann/Dinkel 2014: 12) zeigen, dass sie im Schnitt meist nur über 18 Sekunden freier Redezeit verfügen, bevor die ÄrztInnen das Wort ergreifen. In der dritten Phase des medizinischen Gesprächs folgt die körperliche Untersuchung anhand dieser Schritte: „Betrachtung des Patienten, Abtasten, Abklopfen oder Abhören von Körperpartien“ (Spranz-Fogasy/Becker 2015: 104). In dieser Phase verwenden ÄrztInnen zumeist Imperativsätze, mit denen die PatientInnen zur Ausführung bestimmter Handlungen aufgefordert werden (vgl. Crezee 2013: 48). Im Rahmen von Routine-Check-ups können nun einzelne Sub-Untersuchungen stattfinden: die Messung von Blut- und Pulswerten, die Auskultation, die Perkussion und die Palpation. Die körperliche Untersuchung stellt eine intime Phase dar, bei der die Diskretion aller Beteiligten wichtig ist. Die ÄrztInnen zeigen sich einfühlsam und führen möglicherweise ein zur Ablenkung dienendes Gespräch, um die Untersuchung angenehmer zu gestalten (vgl. Bechmann 2014: 200). In der vierten Phase erfolgen die Befunderklärung und Planung, in der im Sinne der partizipativen Entscheidungsfindung eine Wissensvermittlung unter Einbeziehung der PatientInnen vorgesehen ist (vgl. Bechmann 2014: 2004). Da Befunde so aufbereitet werden sollen, dass die PatientInnen die Ursachen und Folgen der Krankheit verstehen, wird oft auf unterstützende Medien zurückgegriffen, die den PatientInnen die Situation leichter verständlich machen. Die Informationen sind im Vergleich zu anderen Phasen reduziert, häufig gibt es aber Verständnisfragen seitens der Behandelnden, anhand derer überprüft wird, ob die PatientInnen den Gesprächsinhalt verstanden haben. Falls emotionale Themen besprochen werden müssen, werden nonkonfrontative Strategien bevorzugt, die die Verwendung von Metaphern, das Angebot eigener Hypothesen als Fragen, den Verweis auf Dritte, indirekte Ich-Fragen und Pausen beinhalten (vgl. Bechmann 2014: 205). Die Interaktion endet mit dem Gesprächsabschluss, bei dem eine für den institutionellen Kontext angemessene Verabschiedung erfolgt und eventuell die Therapieschritte oder die nächsten Schritte nochmals kurz zusammengefasst werden. Beim Gesprächsabschluss werden PatientInnenentscheidungen verbal bestärkt und möglicherweise schriftliche Therapieziele ausgehändigt, damit die PatientInnen diese später noch einmal nachschlagen können.

      2.1.3 Gesprächsformen und Textsorten der medizinischen Kommunikation

      Während ihrer Tätigkeit im Rahmen der dolmetschvermittelten medizinischen Kommunikation werden DolmetscherInnen mit verschiedenen Gesprächsformen und Textsorten konfrontiert, welche in den meisten Fällen der externen Fachkommunikation – der Kommunikation zwischen Fachpersonen und PatientInnen – zuzuschreiben sind (vgl. Bechmann 2014: 170ff., Weinreich 2015). Zu den mündlichen Textsorten gehören alle Gesprächsformen des ÄrztInnen-PatientInnen-Gesprächs (vgl. Weinreich 2015: 394) wie folgt:1

       das Anamnese- und Erstgespräch

       das Aufklärungsgespräch

       das Beratungsgespräch

       das Überbringen schlechter Nachrichten

       das Nachfolge- oder Kontrollgespräch

       das Aufnahme-, Visite- und Entlassungsgespräch

      Das Anamnesegespräch stellt in der Regel das Erstgespräch zwischen ÄrztInnen und PatientInnen dar und dient der Erhebung der wichtigsten Daten zur Krankengeschichte sowie zur sozialen Situation der PatientInnen (vgl. Bührig/Meyer 2015: 305). Im Anamnesegespräch wird in der Regel dem Grund für den ärztlichen Besuch nachgegangen (vgl. Crezee 2013: 44ff.).2 In der Anamnese kommt häufig eine sogenannte unidirektionale „Fragebatterie“ (Bührig/Meyer 2015: 306) zum Einsatz: Hierbei formulieren ÄrztInnen ihre Fragen nicht zufällig, sondern sie lenken durch diesen Fragekomplex das Gespräch in eine Richtung, die ihnen ermöglicht, die gewünschten Informationen vonseiten der PatientInnen zu erhalten.3 Durch diese Fragen sollen die Symptome ermittelt werden (vgl. Crezee 2013: 45). Der Präsentationsstil der PatientInnen während ihres Beschwerdevortrages im Anamnesegespräch (vgl. Spranz-Fogasy/Becker 2015) kann aufgrund von Sprach- und Kulturbarrieren die Normalitätserwartungen (vgl. Knapp 1999: 13) der ÄrztInnen enttäuschen. Genauso könnte das systematische Vorgehen der deutschsprachigen ÄrztInnen den Normalitätserwartungen mancher PatientInnen aus anderen Herkunftsländern nicht gerecht werden, da diese auf eine Gesprächseröffnung mittels Small Talk eingestellt sind (vgl. Bührig/Meyer 2015: 305). In die Beschwerdeschilderung fließen das Alltagswissen zu Körper, Krankheit und Gesundheit sowie das semiprofessionelle Wissen der PatientInnen (vor allem im Fall von chronischen Erkrankungen) ein (vgl. Spranz-Fogasy/Becker 2015: 96).

      Im Aufklärungsgespräch werden auf Basis der bereits erhobenen Befunde Therapievorschläge gemacht (vgl. Bechmann 2014: 172).4 Diese Gesprächsform